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Unregierbar

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Die Verwirbelungen, die in jeder Hierarchie durch die kleinen, eigenen Hierarchien der Spezialisten auftreten, führen häufig zu dem Stoßseufzer, bestimmte Berufsgruppen (etwa Ärzte oder Psychologen) und Institutionen (etwa Forschungsinstitute oder Krankenhäuser) seien unregierbar. Das ist, wenn man dem Ideal der Befehlskette folgen möchte, auch richtig. In komplexen Systemen kann die Zielfindung nicht einfach von oben nach unten vorgenommen werden, weil dann unentbehrliche Informationen aus dem Netzwerk der regierten Experten verloren gehen.

Ein klassisches Modell, um gemeinsame Ziele zu definieren, ist die Spiegelung der großen Gruppe in einem kleineren Gremium, in dem dann diskutiert und entschieden werden kann. Dieses Modell gilt für die parlamentarische Demokratie ebenso wie den Kleingartenverein: Immer wird eine Gruppe gewählt, deren Zusammensetzung unterschiedliche Positionen der „Bevölkerung“ (des Landes, der Kleingartenanlage) spiegelt.

In Betrieben und Konzernen, in denen viele Fachleute zusammenarbeiten, werden eigene Gremien konzipiert und besetzt, welche die einzelnen Untergruppen bzw. Aufgabenbereiche spiegeln sollen: Finanzen, Marketing, Konstruktion, Personal.

Überall in solchen aus vielen formellen und informellen Gruppen aufgebauten Organisationen treten Rivalitäten auf und überschneiden sich Einflussbereiche. Während an der Spitze noch „alte“ Verhältnisse gespiegelt sind, hat sich die Basis erheblich verändert. Jene Gruppe, welche diese Veränderung trägt, kämpft irgendwann darum, auch an der Spitze stärker gespiegelt zu werden, da sonst an ihren Interessen vorbei entschieden wird.

Ein Beispiel sind die Laientheologen in der katholischen Kirche. In einem Bistum werden jährlich noch zwei Priester geweiht, gleichzeitig aber zehn Laientheologinnen und Laientheologen eingestellt. Diese sind akademisch ebenso qualifiziert wie Priester, können sich aber nicht zum Zölibat entscheiden. Sie werden in der Gemeindearbeit, in der Jugendarbeit, im Bildungsbereich und in der Klinikseelsorge eingesetzt.

Im Führungsgremium des Bistums, dem Domkapitel, dem der Bischof vorsteht, werden die Laientheologen dem Generalvikar zugeordnet, dessen Funktion der des Personalchefs in einem Betrieb entspricht. Die geweihten Priester sind daneben noch durch mehrere Domkapitulare vertreten, die für Seelsorge und liturgische Fragen zuständig sind, während die Laientheologen, deren Zahl ständig wächst und die in den jüngeren Jahrgängen der theologischen Funktionsträger längst in Überzahl sind, sich sozusagen nur in einem Bruchteil (den sie relativ klein einschätzen) des Generalvikars im Domkapitel gespiegelt fühlen. Irgendwann hat ein Laientheologe ausgerechnet, wie viel Geld für die Fortbildung seiner Gruppe ausgegeben wird und welche Kosten die Fortbildung und Betreuung der geweihten Priester verursacht. Das Missverhältnis ist krass.

Dabei stellt sich auch heraus, dass für das bistumseigene Priesterseminar, das in den letzten fünf Jahren jährlich ein bis zwei Priester ausbildete, nach wie vor ein Regens und ein Subregens beschäftigt werden, zwei hochbezahlte Fachleute, deren Stellen eingerichtet wurden, als noch jedes Jahr die Weihe von zwanzig neuen Priestern anstand.

Solche Situationen wirken auf den ersten Blick absurd, verraten auf den zweiten aber viel über die Beharrungskraft von religiös geprägten Hierarchien, die – anders als wirtschaftlich orientierte – den Druck einer veränderten Realität länger neutralisieren können und zäh an dem Überkommenen festhalten. Wir müssen uns nur fragen, wie lange ein Automobilkonzern eine Unterabteilung finanzieren würde, in der mit demselben Personal wie vor zwanzig Jahren zehn Prozent der damaligen Produktivität geleistet werden.

Man kann einwenden, dass es in einer Kirche um anderes geht als um wirtschaftliche Rationalität. Das ist richtig, aber auch eine religiöse Einrichtung lässt sich danach beurteilen, wie professionell sie arbeitet, wie viel von ihren Zielen sie mit den eingesetzten Mitteln erreicht und wo diese Mittel sinnvoller eingesetzt werden könnten als bisher.

Ein anders Beispiel über die Beharrungskräfte einer Hierarchie kommt aus der britischen Armee. Irgendwann fiel einem Beobachter auf, dass dort beim Abfeuern einer Kanone neben den mit Einrichten, Laden und Zielen beschäftigten Soldaten zwei Männer strammstanden, deren einzig Funktion es zu sein schien, beim Abfeuern des Geschützes Haltung anzunehmen. Der Beobachter fragte nach, was denn diese beiden Männer für eine Aufgabe hätten. Die erste Antwort war, es sei Vorschrift, sie seien schon immer so dagestanden. Genauere Nachforschung ergab nun, dass diese beiden Männer früher, als die Artillerie noch von einem Vierergespann in Stellung gebracht wurden, eine wichtige Funktion hatten. Sie mussten die Pferde festhalten, die beim Lärm der Explosion sonst durchgegangen wären. Der Dienstvorschrift war entgangen, dass motorisierte Zugmaschinen lärmunempfindlich sind.

Im Bauch des Wals

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