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Psychologische Aspekte der Hierarchie
ОглавлениеSeit es Hierarchien gibt, wird auch diskutiert, ob sie durch Furcht oder durch Liebe funktionieren sollen. Die so viel schönere Vorstellung vom Gehorsam aus Liebe wurde schon früh durch das angeblich realistischere Prinzip der Macht durch Angst infrage gestellt. „Mögen sie mich hassen, solange sie mich fürchten“ soll der römische Kaiser Caligula gesagt haben.
Macchiavelli, einer der ersten Autoren, die versucht haben, den Fragen der Macht systematisch und rational nachzugehen, widmet in seinen Untersuchungen zur Dynamik der guten Regierung (Der Fürst) dieser Frage ebenfalls viel Aufmerksamkeit. Er kommt zu dem bis heute in der Praxis der meisten hierarchischen Systeme gültigen Antwort, dass es weder um Liebe noch um Furcht gehe, sondern um Respekt. Um geachtet zu werden, müsse der Fürst notfalls auch auf die Liebe seiner Untertanen verzichten. Werde er in seiner Funktion jedoch auch geliebt, sei das umso angenehmer. Es dürfe ihn jedoch keinesfalls dazu verführen, sich durch Verzicht auf seine Vorrechte beliebt machen zu wollen.
Jedes Glied in einer hierarchischen Kette kann in zwei Richtungen versagen: durch Anbiederung und durch Machtmissbrauch. Häufig treten beide Entgleisungen, die doch eigentlich unterschiedlich gerichtet erscheinen, tatsächlich bei denselben Personen auf. Ein Chef, der mit seiner Truppe Brüderschaft trinkt und sexuelle Verhältnisse pflegt, ist oft auch der, der seine Macht missbraucht, um Fehler zu vertuschen oder Privilegien einzuheimsen, die der Organisation schaden, die ihn eingesetzt hat.
In beiden Fällen ist aber nicht allein der Funktionsträger verantwortlich. Auch seine Vorgesetzten und seine Untergebenen haben versagt, haben sich zu Komplizen machen lassen, ihre Aufsichtspflicht vernachlässigt. Wenn sich ein hierarchisches System als korrupt erweist, ist es sinnlos, die Akteure auf den niedrigen Rangstufen allein anzuklagen. Das Sprichwort „Der Fisch stinkt vom Kopf her“ bringt das auf eine anschauliche Formel.