Читать книгу Im Bauch des Wals - Annemarie Bauer - Страница 27
Autoritäre Strukturen veralten
ОглавлениеIn Fortbildungen für Führungskräfte wird heute betont, dass es die zentrale Leitungsaufgabe ist, Mitarbeiter zu motivieren, mit ihnen zu kommunizieren, ihre Anregungen zu beachten. Das ist nicht modisch, sondern logisch. Heute aber arbeiten die meisten größeren Organisationen auf einem so hohen Niveau der spezialisierten Arbeitsteilung, dass die Führung nur dann alle Kompetenzmöglichkeiten erschließt (und so die Wettbewerbsfähigkeit sichert), wenn sie die unterschiedlichen Spezialisten optimal einbindet.
Das bedeutet, dass an sich jeder Mitarbeiter, der eine gute Idee hat, auch den Anspruch äußern kann, dass sie umgesetzt wird. Wenn seine Vorgesetzten nicht mitspielen, kann er sich beschweren: sie wollen nicht tun, wofür sie (meist gut) bezahlt werden.
Moderne Professionalität fordert Führung; sie entzieht sich ihr nicht. Wer leitet, wird von einem professionell denkenden Mitarbeiter in Anspruch genommen. Er soll etwas für ihn tun, er soll ihn fördern, ihm zuhören, seine Verbesserungsvorschläge umsetzen helfen. Umgekehrt wird der Vorgesetzte respektiert und der Dialog mit ihm gesucht; es ist nicht so wie in der Sklaverei, wo die Arbeiter sogleich ihr Werkzeug fallen lassen, wenn ihnen der Boss den Rücken kehrt oder dem Aufseher die Peitschenschnur reißt.
In einer professionellen Zusammenarbeit wird die alte, absolute Autorität durch eine neue, die sogenannte Sachautorität ersetzt. Absolute Autorität ist diktatorisch; der Leiter weiß alles besser und muss nichts begründen. Sachautorität ist begründet; sie hat also einen Inhalt und eine Grenze.
Seit den Entwicklungen der Neuzeit bestimmen die Individuen nicht mehr durch Geburt, sondern durch Geschick und Leistung ihren Platz in der Gesellschaft. So ist die allseitige Rivalität als Prinzip möglich geworden. Der Mensch ist des Menschen Wolf. Gegen diesen rufen die Staatstheoretiker der Neuzeit den Leviathan3 auf den Plan, der diese Neigungen zur notfalls auch gewalttätigen Expansion des Einzelnen eingrenzen muss. So wird Führung zu einer doppelten Aufgabe: Wer sie beansprucht, muss einerseits sich selbst verwirklichen, anderseits seinen Platz im sozialen Organismus behaupten. Ohne die erste Qualität bleibt er ein Rädchen im Getriebe; ohne die zweite wird er bestenfalls ein Räuberhauptmann.