Читать книгу Wall Street Blues - Annette Meyers - Страница 11

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Donahue & Co. lag im Süden Manhattans am Hanover Square, einer jener kleinen unwahrscheinlichen Oasen in der Gegend der Wall Street. Die Büros blickten auf einen winzigen Park hinunter, ein Rechteck aus Rasen, Bänken und Tauben, Unmengen von Tauben. Bei gutem Wetter war es um die Mittagspause ein Mekka. Makler und Unternehmer, Verkäufer und Kaufleute aßen auf den Bänken ihren Lunch und tauschten Informationen aus. Den heißesten Tip, Klatsch über andere Makler, Insider-Information über eine bestimmte Firma oder Aktie. Jeder Tag war Markttag. Drogen wurden offen gekauft und verkauft, mitten unter den Imbißverkäufern, die ebenfalls den kleinen Platz bevölkerten. Man konnte Chinesisches, Mexikanisches, Indisches, Griechisches, Italienisches, Spanisches oder gute, bewährte amerikanische Hot dogs genießen, alles von Karren verkauft, die an jedem Werktag um die Mittagszeit auf den Platz geschoben wurden.

Das Gebäude am Hanover Square war eine renovierte moderne Version alter Pracht. Angestrichene Säulen, die wie Marmor aussahen, illusionistisch bemalte Decken, die Gewölbe vortäuschten.

Donahue & Co. nahm eine ganze Etage ein. Die Aufzugtüren öffneten sich direkt in einen Empfangsbereich. Wetzon war aus dem Aufzug getreten und hatte sich in dem tristen, fast unmöblierten Raum umgesehen. Eine Bank mit braunen Kunstlederpolstern und drei Stühle aus Metall und Plastik, ohne Sinn für Wirkung, hingestellt. Die Fußböden waren mit strapazierfähigem Teppichboden in einem häßlichen hellen Senfgelb ausgelegt. In solchen Gebäuden schrieben die Mietverträge im allgemeinen irgendeine Auslegware vor, und diese hier war vermutlich die billigste, die Donahue bekommen konnte. Ein ramponierter Empfangstisch aus schwarzem Metall stand am anderen Ende des kleinen Raums links vom Aufzug; auf einem Schild an der Wand über dem Schreibtisch stand JACOB DONAHUE & CO., INC. Eine moderne Telefonanlage auf dem Tisch blinkte und piepte, aber es saß niemand da.

Wetzon blieb eine Weile stehen, dann sah sie sich nach der Bank um. Vielleicht sollte sie sich hinsetzen und warten. Sie war etwas zu früh dran. Auf einem quadratischen Tisch mit Glasplatte und verchromtem Gestell lagen ein paar Zeitschriften, Barron’s, Forbes und Business Week. Auf dem Tisch mit den Zeitschriften stand ein scheußlicher rosa Marmoraschenbecher von beachtlicher Größe. Der Aschenbecher lief über von Kippen, und der strenge Geruch nach Zigaretten hing in der Luft. Es war das Ende eines normalen langen Arbeitstages um die Wall Street.

Sie setzte sich nicht. Sie hatte das deutliche Gefühl, daß Schmutz und Asche auf sie abfärben würden.

Neben dem Empfangstisch gab es eine Tür, die vermutlich in den Hauptraum, in dem die Börsennotierungen ausgehängt wurden, und zu den anderen Büros führte. Es unterschied sich nicht sehr von den Büros im Textiliendistrikt, aber warum auch? War das nicht die Branche, aus der Jake Donahue gekommen war?

Sie dachte darüber nach, was sie über Jake Donahue und seine Anfänge gelesen hatte, als die Aufzugtüren aufgingen und eine junge Frau heraustrat. Sie trug enge Jeans und Sandalen mit Pfennigabsätzen. Von der Zigarette zwischen ihren Fingern stieg Rauch auf. Sie hatte Dutzende von dünnen Goldkettchen unterschiedlicher Länge um den Hals, während der Rest von ihr von dem engen roten T-Shirt mit dem in großen schwarzen Lettern aufgedruckten Spruch BROKERS DO IT ON THE FLOOR kaum verhüllt wurde. Ihre Frisur war eine struppige Mähne, streifig Blond in Blond, und sie hatte eine Papiertüte im Arm, Essen oder Limo oder Zigaretten.

»Hallo«, sagte die Blondine freundlich. »Kann ich etwas für Sie tun? Jackie macht scheint’s Pause.« Jackie war offenbar die vermißte Empfangsdame.

Wetzon musterte sie und fühlte sich unangenehm overdressed.

»Ja«, sagte Wetzon. »Ich möchte zu Barry Stark.«

»Kein Problem, er hat das Büro auf der rechten Seite, ganz hinten. Gehen Sie einfach hier durch.«

Sie riß die Tür auf und ließ einen derartigen Lärm heraus, daß Wetzon unwillkürlich einen Schritt zurückwich. Es war wie ein Überfall, eine Kakophonie von Stimmen, erhoben oder gedämpft, plärrende Telefone und Fernschreiber, Lautsprecher, die Informationen über besondere Aktien herausdröhnten. Sie trat in den Raum, und die junge Frau warf die Tür mit der Sitzfläche ihrer Jeans hinter sich zu.

»Ganz dort hinten.« Die Blondine zeigte über ein gedrängtes Durcheinander von Schreibtischen. Es sah in jeder Hinsicht nach einem Gefängnisfilm aus den dreißiger Jahren aus, die langen Reihen von Kantinentischen und die vielen Reihen von Männern, die sich zusammendrängten und alle in andere Richtungen bewegten. Doch das hier war die Wall-Street-Version, deshalb befanden sich ein paar Frauen darunter, und auf den Tischen waren die Quotron-Geräte und Loseblatt-»Bücher« die Kundenkarteien der Makler. Jeder pries Produkte an, und der Lärm war ohrenbetäubend. Hier, in Jake Donahues Fall, waren ihre Neuemissionen das Produkt. Donahue brachte Gesellschaften zu einem fast alarmierenden Emissionspreis auf den Markt, und die Nachfrage nach diesen Neuemissionen war so groß, daß Donahue & Co. keine Pakete an die anderen Wertpapierhäuser zu geben brauchte. Sie behielten alles im Haus, teilten es unter ihren speziellen Kunden, und der fünfzigprozentige Anteil des Maklers an den Bruttoprovisionen war ein außergewöhnlich attraktives Lockmittel für Stellensuchende. Außerdem, wußte Wetzon, hatte Donahue vorab dicke Schecks ausgestellt, um die besten, die heißesten Verkäufer der Wall Street zu bekommen.

Kaffeebecher aus Pappe, zerknüllte Papiertüten, angebissene Brötchen, die vermutlich vom Frühstück übrig waren, Sandwiches, Coladosen und Behälter für chinesisches Essen lagen mitten in dem Chaos auf den Tischen. In der Luft hing eine einzige dicke Wolke aus Zigarettenrauch, und der Geruch im Raum war eine schale Mischung aus Schweiß, Parfüm, Zigaretten, gedünstetem Reis und – »Gier«, sagte sie, »vergiß nicht den gemeinsamen Nenner.« Sie hatte es laut und deutlich gesagt, aber bei diesem Krach hörte es niemand.

Das war es also, weshalb Barry bei Merrill gekündigt hatte. Das und über zweihunderttausend Dollar.

Die Makler waren unterschiedlich gekleidet, von Jeans und T-Shirts zu Kostümen, die so ähnlich wie ihres waren, aber letztere waren eindeutig in der Minderheit. Sie konnte nicht zwischen den Frauen unterscheiden, von denen einige Börsenmaklerinnen und einige Verkaufsassistentinnen waren. Wetzon schaute sich um und entschied, daß diejenigen, die wie teure Callgirls aussahen, die Maklerinnen sein mußten. Ihr Verhalten am Telefon und ihr sonstiges Gebaren drückten einen elektrisierenden Sinn für Macht aus. Das Durchschnittsalter in dem Raum konnte nicht mehr als fünfundzwanzig sein. Und bei einer schnellen Zählung kam sie auf mehr als siebzig Personen, die in diesen kleinen Raum gezwängt waren.

Wetzon mußte zugeben, daß es etwas Aufregendes an sich hatte, so schäbig es erschien, die Aufregung des Geldscheffelns.

Makler schrieben, den Telefonhörer zwischen Ohr und Schulter geklemmt, Beleg auf Beleg aus, als sie vorbeiging, und verständigten sich untereinander, in dem sie hin und her schrien.

»Zehn Mille, klar, mehr Spielraum.«

»Hören Sie, ich will versuchen, mehr für Sie zu bekommen, aber ich kann nichts versprechen. Jeder will einsteigen.«

»Zwei Punkte höher heute. Morgen mehr. Ja. Gut, Sie könnten fünf verkaufen, die Gewinne mitnehmen und den Rest behalten, bis der Sturm überstanden ist.«

»Mit der werden wir alle reich!«

Wetzon wußte, daß fünf nicht fünf Stück und vermutlich auch nicht fünfhundert Stück bedeutete. Die großen Spieler wurden von dem Markt mit neuen Emissionen angezogen. Sie mochten ein reguläres Konto bei Merrill Lynch oder Shearson für ihre Kassageschäfte haben – ihr Cashmanagement-Konto –, aber wenn sie Nervenkitzel suchten, kamen sie zu Donahue.

Barrys Büro hatte keine Tür, aber es war ein Büro mit Fenster und genauso mit Papieren, Büchern und weggeworfenen Fast-food-Behältern übersät wie der Raum, aus dem sie gerade kam. Barry war in Hemdsärmeln, Jackett über der Stuhllehne, Füße auf dem Schreibtisch, und rauchte eine Zigarre. Das schmutzige Fenster hinter ihm gab den Blick auf ein weiteres schmutziges Fenster frei. Offenbar rechtfertigte seine Tätigkeit keinen malerischen Blick auf Hanover Square. Das war immer noch Wall Street, der alte Wall-Street-Bereich war ein Gewirr aus engen Straßen und hohen, alten Gebäuden, die den Schmutz von Generationen trugen. Firmen wie Jacob Donahue überließen die vornehmen Fassaden und eleganten Interieurs den großen Firmen. Hier lief alles auf Dollar und Cent oder besser auf Dollar und Köpfchen hinaus. Drücke die allgemeinen Kosten, beeindrucke die Leute mit dem Geld, das du für sie rausholst, und es ist ihnen völlig egal, ob du von einer Telefonzelle an der Ecke 42. und Broadway aus arbeitest. Hauptsache, es funktioniert.

Barry winkte ihr mit seiner Zigarrenhand zu, als er sie in der Türöffnung sah, und zeigte auf den Stuhl. Oder zumindest auf etwas, das vermutlich ein Stuhl war. Man konnte ihn unter dem Stapel von Zeitungen und Aktieninfos kaum sehen. Sie winkte zurück, blieb aber stehen.

»Ja, Puppe, ich verspreche es dir«, sagte Barry überschwenglich, »das hier bricht alle Rekorde. Warte, bis du das hörst …« Er senkte die Stimme. »Die haben da ein neues Verfahren, ein Thermometer, das mit einem PC verbunden ist, das sagt dir alles, deinen Cholesterinspiegel oder ob du schwanger bist.« Er brach ab und lachte boshaft. »Wirklich, Schatz? Ich hatte keine Ahnung.« Er machte spöttische Bewegungen mit dem Kopf, zog eine Schau für Wetzon ab. »Du nimmst mich auf den Arm. Ich hab’s bestimmt nicht an deiner Stimme gemerkt. Ach, komm, das ist doch nicht alt. Wie alt wärst du, wenn du nicht wüßtest, wie alt du bist, hat der alte Satchel Paige immer gesagt.« Er hörte zu und lachte wieder. »Klar, natürlich weiß ich, wer Satchel Paige war.«

Er machte fegende Bewegungen mit der Hand, so daß Wetzon schließlich den ganzen Wust vom Stuhl nahm und auf den Boden legte. Als sie sich aufrichtete, grinste er breit, und ihr wurde klar, daß sie sich, ohne etwas dabei zu denken, wie eine Tänzerin gebückt hatte, aus der Hüfte heraus statt mit geknickten Knien.

Er war ja so leicht zu durchschauen. Sie setzte sich. Sie war aus dem einzigen Grund hier, seinen Arbeitsplatz zu sehen und Barry zu einem Drink einzuladen, um ihm für die Liste der Makler bei Merrill zu danken, die er ihr geschickt hatte.

»Also, Liebste, warum nimmst du dann nicht zehn Mille?« sagte er. »Das Risiko, daß sie sinken, ist ganz gering. Sie eröffnen bei fünf, und ich garantiere dir, du verdoppelst dein Geld.« Sein zweites Telefon läutete. »Bleib dran, Zuckerstück.« Er klemmte den Hörer mit der Schulter fest und nahm den anderen ab. »Stark.« Er runzelte die Stirn. »Nur zwei Mille. Ich habe jemanden, der zehn nimmt, überlegen Sie nicht zu lange.« Er legte auf und sprach wieder in das erste Telefon. »Also, was meinst du, Schatz?«

Wetzon war fasziniert von ihm. Er war wirklich gut, wirklich überzeugend. Entweder wußte er es nicht, was unwahrscheinlich war, oder, was wahrscheinlicher war, er kümmerte sich nicht darum, daß es rechtswidrig war, den Leuten auf diese Art Gewinne zu versprechen.

Er hatte seinen Auftrag in der Tasche und legte den Hörer auf. »Wunderbar, wun-der-bar«, jubelte er. »Ich …«

Ein Geräusch wie eine Polizeisirene übertönte seine selbstgefällige Stimme. Wetzon sprang erschrocken auf. »Was war das?«

»Schluß. Jerry Walsh macht das jeden Tag um vier. Gehört einfach hier zum Betrieb.«

»War der Markt heute lebhaft? Der Vorderraum schien unter Hochspannung zu stehen.«

»Die Wahrheit ist«, erwiderte Barry, indem er sich aufsetzte, die Füße auf den Boden stellte und die Hemdsärmel herunterrollte, »der Dow und die Wertpapierbörse oder die anderen Börsen sind uns scheißegal, Entschuldigung. Wir interessieren uns nur für den OTC-Markt und besonders für unsere Aktien. Das gefällt mir hier so. Wir konzentrieren uns. Wir spezialisieren uns. Da steckt die Kohle drin. Hier wird abgesahnt.«

Ein schmächtiger Junge mit Aknenarben steckte seinen Kopf durch die Türöffnung. »Noch Aufträge, Chef?«

»Ja, warte, ich muß noch den Auftrag von der alten Zimmerman ausfüllen.« Barry kritzelte rasch etwas, legte das letzte Blatt auf den Stapel und hielt dem Laufburschen den ganzen Packen hin. »Bitte sehr, mein Sohn«, sagte er großspurig und wedelte mit dem dicken Stoß von Aufträgen. »Und das ist bloß von der letzten Stunde.«

»Alle Achtung, Alter«, sagte der Junge, schnappte die Aufträge und verschwand.

In dem großen Raum setzten plötzlich laute Rockmusik und Gesang ein. Als Barry und Wetzon aus Barrys Büro kamen, tanzten alle in den engen Gängen.

»Mann, hab’ ich einen Durst«, sagte Barry.

Aus dem Lautsprecher kam krächzend und tief Jake Donahues Stimme: »Ein Rekordtag, Kinder, deshalb bekommt jeder fünfhundert als Sonderprämie nur für diesen Arbeitstag und fünfzig für die Assistentinnen.« Lautes Geschrei war die Antwort. »Nur weiter so.«

Barry zwinkerte Wetzon zu. »Nicht schlecht, was? Himmelweit entfernt von Mutter Merrill, die mir nicht einmal auf die Schultern klopfte, wenn ich mehr Konten eröffnet hatte als jeder andere in Groß-New York.«

»Großzügig von Jake, so zu teilen«, stimmte Wetzon zu.

»Er kann es sich leisten«, sagte Barry dankbar. »Wir machen einen Haufen Geld für den Knaben. Wo wäre er ohne uns? Wenigstens das ist ihm klar.«

Als sie sich durch den Raum kämpften, in dem alle außer Rand und Band waren, kamen sie an der attraktiven kleinen Assistentin in den engen Jeans vorbei, die Wetzon vorher den Weg gezeigt hatte. Sie wackelte zur Musik mit fliegenden Haaren und hüpfenden Brüsten. Barry ließ seine Hand über ihr kompaktes Hinterteil gleiten, und sie grinste ihn an.

»Ein süßer Käfer«, bemerkte Wetzon, die in Barrys Schlepptau ging. »Macht ihr sicher Mordsspaß, für euch verrückte Makler zu arbeiten.«

»Wer, Margie?« sagte Barry über die Schulter. »Du machst wohl Witze. Margie ist keine Assistentin, sie ist Maklerin.«

Wetzon hatte ihre Überraschung nicht verbergen können. »Ich kann’s nicht glauben.«

»Ja, eine von den besten Kräften im Büro. Letzte Woche kam sie brutto auf mehr als fünfzig Mille, und das heißt, sie bekam ungefähr fünfundzwanzig auf die Hand.«

»Ich glaube, ich bin in der falschen Branche«, hatte Wetzon verblüfft gesagt.

Wall Street Blues

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