Читать книгу Wall Street Blues - Annette Meyers - Страница 14
ОглавлениеSmith hatte sie also erwartet. Wie hatte sie es wissen können?
»Mom hat gesagt, du kommst heute abend«, sagte Mark stolz.«Ist sie nicht wunderbar?«
»Das kann doch nicht … es ist zu früh … ist es schon in den Nachrichten gekommen?« Wetzon stotterte und versuchte zu begreifen. »Hat jemand angerufen und es ihr gesagt?«
»Niemand hat mir etwas gesagt«, erwiderte Smith, eine körperlose Stimme, die von irgendwoher aus der Wohnung kam.
»Ich las es in den Karten. Ich wußte, daß etwas Böses passiert war und du damit zu tun hattest. Die Karten lügen nie.« Sie stand theatralisch im Türbogen zum Wohnzimmer. Sie trug etwas Weites, Wallendes, ein lebhaft rot und schwarz gemustertes Hauskleid von Marimekko, und das turbanartig um den Kopf gebundene Handtuch bedeutete, daß sie die Haare gewaschen hatte, aber sie sah damit aus wie eine exotische Wahrsagerin. Sie hatte wieder ihre Tarock-Karten gedeutet.
Smith nahm Wetzon in die Arme und drückte sie in einer Wolke von Obsession an sich. Dann wich sie zurück. »Du siehst furchtbar aus«, sagte sie. »Nun sag schon. Erzähle mir alles. Ich bin so froh, daß dir nichts passiert ist. Du bist immer wieder von Gefahr und Tod umgeben aufgetaucht.«
»Stimmt«, nickte Wetzon. »Und ich muß mich sofort hinlegen, bevor ich umfalle.« Sie fühlte sich schlapp und benommen. Außer den kleinen Vorspeisen im Four Seasons hatte sie seit Mittag nichts mehr gegessen.
Sie taumelte, auf Smith gestützt, ins Schlafzimmer, kickte die Schuhe fort und fiel auf das Bett, das, typisch für Smith, vom Morgen noch nicht gemacht war und die gesammelte Unordnung mehrerer Tage aufwies. Wetzon fand sich inmitten von Kleidern, die Smith getragen hatte, Papieren, die sie gelesen hatte, Büchern, einer Haarbürste voller Haare, Laken und Bettdecken, Bonbonpapieren und einem Fön ruhend.
Normalerweise fühlte sich Wetzon von dem Chaos in Smith’ Zuhause abgestoßen, aber jetzt war es willkommen. Sie war einfach zu müde, um sich darum zu kümmern. Wahrscheinlich lagen irgendwo auf dem Bett diese verdammten Karten, aber um die sollte Smith sich sorgen. Sie legte sich bequem hin und schloß die Augen, machte sie wieder auf und erschrak. Sie sah sich von der Decke herunterblicken. Smith hatte an der Decke über dem Bett Spiegel anbringen lassen.
»Hey, Smith«, begann sie.
Smith war so anständig zu erröten. »Mark, Liebling«, sagte sie.
»Ja, Mom?«
»Tee und Toast für unsere müde Freundin.«
Mark war ein häuslicher Zwölfjähriger, frühreif in der Schule, fürsorglich zu Hause. Smith war von seinem Vater geschieden, seit er zwei war, und sein Vater war beim amerikanischen Nachrichtendienst, irgendein CIA-Posten, über den Smith nie reden wollte. Wetzon hatte ihn nie kennengelernt. Es gab keinen Kontakt zwischen Mark und seinem Vater, und Mark schien sich nicht daran zu stören.
»Okay«, befahl Smith, sobald Mark aus dem Zimmer war. »Raus mit der Sprache.« Sie zog den Sessel mit der niedrigen Lehne vom Frisiertisch ans Bett, setzte sich Wetzon gegenüber hin und fügte dem Durcheinander auf dem Bett ihre nackten Füße zu.
Wetzon holte tief Luft und bemühte sich, das, was sie sagen wollte, irgendwie in die Realität zu holen. »Barry Stark wurde heute abend im Four Seasons ermordet.«
»Du lieber Himmel, und wo warst du?«
Wetzon redete Stunden, wie ihr schien, berichtete die Geschichte, beantwortete die Fragen, mit denen Smith sie bombardierte.
»Er muß etwas gesagt haben, Wetzon. Irgendeinen Hinweis darauf, was da läuft.«
»Er hatte Angst, glaube ich.«
»Woher wußtest du, daß er tot war?«
»Smith, um Himmels willen, glaub mir, das merkt man. Er verblutete praktisch vor mir.«
Smith schüttelte den Kopf und runzelte die Stirn. »Etwas mußt du doch gesehen haben.«
»Nichts. Wirklich nichts.«
»Manchmal erstaunst du mich, Wetzon. Du siehst nicht, was direkt vor dir …«
»Smith, gönnst du mir eine Pause? Laß mich in Ruhe. Ich habe mich müde geredet. Barry Stark wurde erstochen, und ich fand ihn. Ich kann das jetzt nicht brauchen.«
»Ist ja gut, Entschuldigung.«
Wetzon seufzte und schloß die Augen. Sie fiel in einen oberflächlichen Schlaf und kam zu sich, immer wieder. Irgendwann zog sie die Jacke aus und legte sich wieder zurück. Sie war sicher, daß Smith enttäuscht war, nicht im Four Seasons gewesen zu sein.
Mark erschien mit einem Tablett, auf dem eine Kanne duftenden Tees, an der die Papierstreifen der Teebeutel an den Seiten herunterhingen, und ein Teller voll mit Butter bestrichener Toastscheiben standen. Wetzon setzte sich auf und begann zu essen, und allmählich fühlte sie ihre Lebensgeister wiederkehren.
»Mark, das ist sehr lieb von dir«, sagte sie.
»Ja, er ist ein richtiger kleiner Hausmann geworden, nicht wahr, mein Zuckerstück?« Smith winkte ihn mit dem gekrümmten Zeigefinger zu sich. »Komm her, ich muß dir einen Kuß geben.« Mark kam um das Bett herum, um sich seinen Kuß abzuholen. »Er sorgt so gut für mich. Ich wüßte nicht, was ich ohne ihn anfangen sollte.«
Der Junge strahlte vor Freude und machte es sich auf dem Teppich bequem, um zuzuhören.
»Einen Augenblick«, sagte Smith. »Dieser Diplomatenkoffer. Wo ist er?« Sie sah sich im Zimmer um.
»Ich habe ihn mitgebracht. Ich weiß, ich hatte ihn bei mir …«
»Er steht im Flur, ich hole ihn.« Mark rannte hinaus und kam mit dem Koffer zurück. »Oh, Mann, ist der schwer.«
»Ich muß sofort Silvestri anrufen und ihm Bescheid sagen«, meinte Wetzon.
»Wer ist Silvestri?«
»Ein Detective, mit dem ich sprach. Er war offenbar der Verantwortliche. Er ist richtig nett, Xenia«, fügte sie hinzu.
»Er hat dir gefallen? Kaum zu glauben. Der Bulle hat dir gefallen? Das darf doch nicht wahr sein.«
»Er ist Detective. Und er ist attraktiv.«
»Verschon mich.«
»Wo habe ich seine Karte gelassen? Ich weiß, er hat mir seine Karte gegeben.« Wetzon entdeckte ihre Handtasche im Chaos auf Smith’ Bett und begann sie zu durchkämmen. Schließlich schwang sie ihre Füße vom Bett, beugte sich vor und schüttete den Inhalt auf den Teppich, weil auf dem Bett einfach zuviel Konkurrenz war.
»Keine Karte. Macht nichts. Ich rufe einfach das Revier an und lasse es ihm ausrichten.«
Sie wählte die Auskunft und dann das Revier. Es läutete und läutete. »Dreißig … fünfunddreißig … vierzig. Das gibt es nicht!« Sie legte auf. »Da kann man sich ja zu Tode warten. Oh, das wollte ich nicht sagen. Ich probiere es nachher noch mal.« In ihrem Kopf begann es zu hämmern.
Smith musterte den Diplomatenkoffer abwägend. Sie hatte jenes wohlbekannte Glitzern in den Augen.
»Mark, Liebling«, sagte Smith, »Du solltest längst im Bett sein. Morgen ist Schule.«
»Och, Mom, ich möchte auch sehen, was in dem Koffer ist …«
»Wir machen ihn erst auf, wenn der Detective hier ist«, sagte Smith bestimmt. »Du verpaßt also nichts.«
»Und ich bin überzeugt, daß nur Papierkram drin ist«, beruhigte ihn Wetzon.
»Och, seid ihr langweilig«, kommentierte Mark.
»Gute Nacht, mein Schatz«, sagte Smith und hielt ihm die Wange hin.
Widerstrebend gab Mark ihr einen Kuß und verzog sich. Sie warteten, bis sie seine Tür zugehen hörten, dann sprangen beide auf den Diplomatenkoffer zu.
Wetzon kicherte. So was Albernes. »Zwei, die es nicht lassen können. Sind wir nicht schrecklich?«
»Warte«, sagte Smith. Sie schloß leise die Tür. »Probiere es noch mal im Revier. Ein einziges Mal noch.«
Wetzon wählte. »Zwanzig … fünfund-«
»17. Revier. Rivera.«
»Ah, ja, Sergeant Silvestri, bitte«, sagte Wetzon. Smith sah enttäuscht aus. Wetzon war erleichtert.
»Silvestri nimmt nicht ab.« Riveras Reaktion war mechanisch. »Ich lasse ihn ausrufen.«
»Er ist anscheinend nicht da«, sagte Wetzon zu Smith. »Sie lassen ihn ausrufen.« Smith strahlte.
»Hören Sie, er ist momentan nicht hier.«
»Kann ich eine Nachricht hinterlassen?«
»Bitte.«
»Sagen Sie ihm bitte, er möchte Leslie Wetzon anrufen und zwar unter …« Sie gab ihm Smith’ Nummer, buchstabierte ihm ihren Namen zweimal vor und legte auf.
Sie fielen über den Koffer her.
»Was meinst du, was hier drin ist?« fragte Wetzon, während sie mit den Händen über das dicke, edle schwarze Leder strich.
»Verdammt, abgeschlossen«, brummte Smith. »Wäre wohl zuviel des Guten gewesen, wenn er nicht verschlossen wäre.«
Sie hockten auf dem Boden, der Koffer zwischen ihnen.
»Vielleicht mit einer guten altmodischen Haarnadel«, sagte Wetzon, griff nach oben, tastete und zog eine aus ihrem Knoten. Eine Locke rutschte heraus und ringelte sich um ihr Ohr.
Smith lachte und nahm die Haarnadel. Das Telefon läutete. »Verflixt«, sagte Wetzon. »Ob das schon Silvestri ist?«
»Laß es klingeln«, sagte Smith, die mit der Haarnadel zugange war. »Ich mache Fortschritte.«
»Nein, wir schaffen es nicht«, seufzte Wetzon.
Smith stand auf. »Hier.« Sie reichte Wetzon die Haarnadel.«Versuch du es.« Das Telefon läutete immer noch. Sie ging übertrieben langsam darauf zu. »Ist der hartnäckig.« Nach dem zehnten Läuten hörte es auf. »Aha«, sagte sie, »schon besser.« Sie kam zum Diplomatenkoffer zurück.
»Mom«, rief Mark laut aus seinem Zimmer, »es ist für Wetzon. Sergeant Silvestri, NYPD.«
»Himmel«, sagte Smith. »Dieses Kind kann’s nicht lassen.«
Smith und Wetzon sahen einander an. Smith nahm die Haarnadel und beugte sich über das Schloß. Wetzon hob das Telefon ab.
»Hallo, Sergeant Silvestri.«
»Was gibt’s?« Er war kurz angebunden.
Sie fühlte sich von seinem Ton abgekanzelt. »Ich habe nur etwas vergessen, das wichtig sein könnte.«
»Okay, dann machen Sie’s kurz.«
»Ich kann es nicht kurz machen.« Wenn er barsch sein konnte, dann konnte sie es auch. »Ich muß es Ihnen zeigen.«
»Ich bin im Augenblick hier sehr beschäftigt, Miss Wetzon. Kann das nicht bis morgen warten?«
»Nein, es kann nicht warten«, beharrte sie. Sie hatte nicht vor, den verdammten Diplomatenkoffer eine Minute länger als nötig zu behalten.
»Wo sind Sie?«
»Bei meiner Partnerin zu Hause. Die Adresse ist …«
»Die habe ich.«
Ein lautes Klicken kam vom Boden, wo Smith sich über den Diplomatenkoffer beugte.