Читать книгу Wall Street Blues - Annette Meyers - Страница 17
ОглавлениеEs gab tausend Gründe, warum sie nicht ins York Hospital wollte, aber Silvestri und die Sanitäter bestanden darauf, und Wetzon hatte nicht mehr die Kraft, mit ihnen zu streiten.
Lichter von den Polizeiwagen und dem Sanka wirbelten wie ein Kaleidoskop um sie herum und machten sie fast verrückt. Ihr Kopf beklagte sich immer noch laut über die heftige Begegnung mit dem Armaturenbrett, und obwohl der Sanitäter die Stelle mit einem Pflaster versorgt hatte, spürte sie das warme Gefühl des durchsickernden Bluts.
Sie berührte ihr Haar und fuhr zusammen, weil ein jäher Schmerz durch ihr Kreuz schoß. Auch das noch. Gelungenes Ende eines gelungenen Tages: ihr Kreuz streikte. Sie versuchte, nicht auf die Schmerzen zu achten, und steckte ungeschickt ihr Haar fest, nicht so ordentlich, wie sie es gern getan hätte, aber wenigstens einigermaßen.
Es herrschte eine scheinbar ausgelassene Stimmung, die der Tatsache widersprach, daß ein Unfall und eine Schießerei stattgefunden hatten. Die Funktelefone in den Polizeiautos knackten und gaben oder empfingen Informationen.
Sie schienen abzuwarten, bis Silvestri mit der Polizei vor Ort fertig war, bevor sie losfuhren. Wetzon sah, daß die Verbindungsstraße auf beiden Seiten von Polizeiautos abgesperrt war, und vermutlich war auch je ein Auto am östlichen und westlichen Eingang zum Park postiert. Das Parkgelände über ihr schien ebenfalls hell angestrahlt zu werden, demnach mußten sie nach denjenigen gesucht haben, die den Unfall verursacht und irgendwie den Diplomatenkoffer gestohlen hatten.
Sie saß auf einer Tragbahre im Sanka und bemühte sich, die Gedanken zu sammeln. Ihr Gesicht schien ihr schmutzig zu sein, Lippen und Zunge dick und trocken. Sie berührte ihr Gesicht. Schmutz und verkrustetes Blut. Toll. Ein schönes Bild mußte sie abgeben. Sie kramte in ihrer Handtasche, zog ein Erfrischungstuch heraus, riß die Hülle auf, faltete das Tuch auseinander und betupfte behutsam ihr Gesicht.
»Was zum Teufel machen Sie denn da?« Silvestris Ankunft war so unerwartet, daß sie das Tuch fallen ließ. Der zweite Sanitäter half ihm in den Wagen. Er trug seine Pistole in der Lederhalfter unter dem rechten Arm.
»Ich säubere mich. Oder was haben Sie gedacht?«
»Tragen Sie immer ein feuchtes Handtuch mit sich herum?« Er wirkte mißmutig und sauer, als er sich auf die Tragbahre gegenüber setzte. Er sah schrecklich aus.
»Ja.« Ihr Ton war barsch. Er war nicht der einzige, der mißmutig und sauer war.
Irgendwer schlug die Türen zu und schloß sie ein. Eine Sirene heulte auf.
»Am besten würden Sie sich hinlegen«, sagte die Sanitäterin vom Fahrersitz aus.
»Tut mir leid«, entschuldigte sich Silvestri kleinlaut bei Wetzon, ohne auf die Sanitäterin zu achten. »Ich bin mißmutig und sauer.«
Sie versuchte ein kleines, steifes Lächeln. »Ich auch.«
»Stellen Sie sich nicht an«, sagte der Sanitäter. »Wir wissen, daß Sie tapfer sind, aber jetzt wird sich hingelegt.«
Wetzon zog die Füße hoch und legte sich hin, erstaunt, wie gut das tat. Sie sah zu Silvestri hinüber. Er hatte das gleiche getan. Sie starrten einander durch den Wagen wie von Doppelbetten aus an. Schämst du dich nicht? fragte sie sich. Nein, antwortete sie.
Sie setzten sich in Bewegung.
»Was ist eigentlich passiert?« fragte sie leise.
»So ein Scheißkerl in einem Lieferwagen hat uns überholt und geschnitten …«
»Ich habe keinen Lieferwagen gesehen.«
»Nein, es müssen zwei gewesen sein, weil der eine, der den Wagen fuhr, sich davonmachte und der andere den Diplomatenkoffer schnappte, während wir mit dem Unfall beschäftigt waren.«
»Konnten Sie ihn sehen?«
»Nicht gut genug. Er trug einen schwarzen Trainingsanzug und etwas vor dem Gesicht, eine Skibrille. Ich rannte ihm nach, und er schoß auf mich.« Sein Mund zuckte, aber es war kein echtes Lächeln. »Ein Glück für mich, daß er nicht gut war.«
Wetzon betrachtete seinen verbundenen Arm. Der Verband hatte rote Flecken. Sie hatte noch nie eine Schußwunde gesehen. Freilich hatte sie auch noch nie einen Ermordeten gesehen, bis heute. Oder besser gestern.
»Ich meine, ich hätte mehr als einen Schuß gehört«, sagte sie.
»Ja, ich habe ihm ein paar nachgeschickt, aber er ist entwischt. Sein Kumpel im Lieferwagen hat vermutlich gewendet und ihn irgendwo im Park aufgelesen.«
»Sie müssen uns abgepaßt haben, als wir Smith’ Wohnung verließen. Sie sahen, wo Sie den Koffer hinlegten, und folgten uns.«
»Klar.« Er hörte sich angeekelt an. »Ich bin ein richtiger Stümper. Ich hätte vorsichtiger sein müssen.«
»Man kann nicht an alles denken«, sagte sie.
»Ich soll an alles denken. Das ist mein Beruf.«
Ihr Kopf klopfte, und in ihren Ohren hatte sie ein eigenartiges Gefühl. Silvestris Stimme war komisch. Seine Lippen bewegten sich, aber sie bildeten keine Laute.
»Was könnte in dem Koffer gewesen sein, was so wichtig war?« fragte sie, aber die Frage schien von weither zu kommen.
Sie sah, wie sich Silvestri zu ihr hinneigte, als sie langsam von der Tragbahre rutschte. Sie fiel gegen etwas Weiches, das aber nicht nachgab.
»Autsch«, sagte Silvestri.
Das ist absurd, dachte sie, aber sie konnte sich nicht rühren. Silvestris Gesicht schwebte undeutlich über ihr.
»Ich weiß nicht«, sagte er wie von ganz weit weg. »Sagen Sie es mir.«
»Du, Pulasky, weißt du, daß sie die Spinde durchsuchen?«
»Ich hab’s gehört. Deshalb bin ich hier.«
»Du bist ein bißchen spät dran, Mann.«
»Uns nehmen sie als nächste vor.«
»Die Sache ist ernst.«
»Ich hab’ keinen Spaß gemacht.«
»Na gut, dann wirf lieber die …«
»Später. Wir kriegen Gesellschaft.«
Dröhnender Lärm. Als wäre sie in einer Cafeteria, wo Leute laut redeten und Geschirr und Metalltabletts hinknallten. Wie sollte sie dabei schlafen? Sie versuchte, die Augen zu öffnen. Ihr Kopf schmerzte. Das plötzliche Licht stach ihr in die Augen. Über ihr waren zwei verschwommene Gesichter, ein schwarzes, ein weißes, und beide trugen weiße Kittel.
»Aha, sehen Sie«, sagte die schwarze Person im weißen Kittel. »Schön, daß Sie wieder da sind.«
Sie machte Anstalten, sich aufzusetzen, aber er legte seine Hand leicht auf ihre Schulter. Unwillkürliches Aufstöhnen. Sie ließ sich wieder auf den Tisch fallen. »Warten Sie einen Augenblick, bevor Sie etwas tun. Dann packen wir Sie auf einen Rollstuhl.«
»Einen Rollstuhl?«
»Ich möchte nur ein paar Röntgenaufnahmen machen, um genau zu sehen, daß nichts gebrochen, angerissen oder gesplittert ist«, erklärte er. Er hatte ein Stethoskop in seiner Brusttasche stecken und ein Namensschild an der Tasche, das sie nicht lesen konnte. Dr. Soundso. Der andere Mann im weißen Kittel zwinkerte ihr zu und verschwand. Einen Moment dachte sie, er sei möglicherweise überhaupt nie dagewesen.
Silvestri steckte seinen Kopf durch die nicht richtig schließenden Vorhänge und zog die Schwester, die seinen Arm gerade neu verband, hinter sich her.
»Einer von meinen Uniformierten ist hier«, rief er ihr zu. »Wenn man Sie laufenläßt, bringt er Sie nach Hause. Unbeschadet«, fügte er kleinlaut hinzu.
In dem grellen Licht konnte sie einen muskulösen Arm und viel schwarzes Haar sehen. Behaart, dachte sie und kam sich albern vor.
»Sergeant, halten Sie bitte still, sonst fängt es wieder an zu bluten«, sagte eine ungeduldige Stimme, und Silvestri verschwand hinter dem Vorhang.
Sie schoben sie im Rollstuhl durch eine Batterie von Röntgengeräten und malträtierten sie stundenlang, wie ihr schien, dann ging es hinunter zum Arzt in der Notaufnahme.
»Alles in Ordnung«, teilte er ihr mit. »Sie Glückspilz. Keine Stiche, keine Brüche, bloß mächtige Kopfschmerzen. Ich behalte Sie über Nacht hier.«
»Kommt nicht in Frage.« Wetzon war fest entschlossen. »Wenn ich aufstehen und gehen kann, möchte ich nach Hause in mein warmes Bett.«
»Schon gut, schon gut, Sie brauchen nicht grob zu werden.« Der Arzt warf spöttisch die Arme hoch. »Hier haben Sie etwas gegen die Kopfschmerzen.« Er gab ihr ein paar Kapseln in einem kleinen weißen Plastikbeutel, der ihr bekannt vorkam.
»Was ist das?« fragte sie mißtrauisch.
»Aspirin, was glauben Sie wohl? Nur mit etwas Coffein.«
»Tut mir leid, ich nehme nicht gern Pillen. Muß das sein?«
»Nicht, wenn Sie sie nicht brauchen.«
»Wo haben Sie meine Jacke versteckt?« fragte sie. Sie stand vorsichtig auf. Alles schien noch zu funktionieren. »Ich fühle mich wie durch den Wolf gedreht, aber es wird schon gehen.« Sie besah ihre Bluse. An der Schulter war ein Riß, und ihre Kleider waren voller Schmutz und Blut, wahrscheinlich von Silvestris Autoboden und ihrem verletzten Kopf.
»Sie haben einen bösen Schlag am Kopf abbekommen«, sagte der Arzt, »und Sie werden die kommende Woche oder so in allen Regenbogenfarben schillern, aber ich sage Ihnen voraus, Sie werden’s überleben.«
Eine Schwester brachte ihre Jacke und Handtasche und rollte sie zum Ausgang, wo ein uniformierter Polizist wartete. Genaugenommen gab es eine ganze Menge Polizisten im und um den Notaufnahmeraum herum. Silvestri mußte sie gerufen haben, aber es schien jetzt ein wenig überflüssig, wo der Koffer weg war. Um auf Wiedersehen zu sagen und sich zu bedanken, drehte sie sich noch einmal nach dem Arzt um, aber er versorgte bereits den nächsten Notfall.
Die Fahrt nach Hause ging schnell, und als sie vor ihrem Haus waren, beugte sie sich vor, um auszusteigen. »Sie können mich einfach hier absetzen.«
»Nein, Ma’am, ich habe Anweisung, Sie in Ihre Wohnung zu begleiten und sie zu durchsuchen, bevor ich Sie allein lasse.«
»Ach.« Sie wollte nicht mit ihm darüber diskutieren. Sie war erleichtert, daß Silvestri daran gedacht hatte. Aber das war, wie er gesagt hatte, sein Beruf.
Ihre Wohnung war dunkel und still. Sie machte in allen Zimmern Licht, und der Polizist ging durch und sah sich rasch um. Es gab wirklich keinen Platz, wo sich jemand verstecken könnte. Die Tür war zweimal verschlossen gewesen, wie sie sie verlassen hatte.
»Nichts dagegen, wenn ich die Schränke durchgehe?«
»Machen Sie nur.«
»Gibt es eine Feuerleiter an diesem Gebäude?«
»Nein.«
»Einen Hinterausgang?«
»Ja. Hier lang.«
Er öffnete die Hintertür. Alles in Ordnung. Er schloß sie und drehte den Riegel um. »Dann sage ich gute Nacht.« Sie ließ ihn hinaus und schloß die Tür zweimal ab. Daran gelehnt kickte sie ihre Schuhe fort.
»Mann oh Mann, was für eine Nacht!« Sie warf einen Blick auf die Armbanduhr. Es dauerte eine Weile, bis sie die Zeiger erkennen konnte. Drei Uhr dreißig.
Sie ließ Jacke und Handtasche auf das Bett fallen und ging über den Flur ins Bad. Sie knipste das Licht an und entdeckte eine scheußliche schwarze Wasserwanze mitten auf dem Boden.
»Oh, nein!« schrie sie. »Das ist zuviel.« Sie mußte sie tottreten, weil sie den Gedanken nicht ertragen konnte, daß eine lebendige Wanze irgendwo durch ihre Wohnung krabbelte.
Dafür, daß sie so angeschlagen war, bewegte sie sich flink und trat mit dem bestrumpften Fuß auf das eklige Tier. Sie spürte entsetzt, wie es sich unter ihrem Fußballen krümmte, aber sie drückte so lange, bis sie die kalte Kachel des Bodens spürte.
Würgend zerrte sie ein Bündel Kleenex aus der Box auf dem Bord, wischte die Geschichte von ihrem Fuß und vom Boden ab und spülte das Beweisstück die Toilette hinunter. Sie riß ihre Strumpfhose herunter und ließ sie auf den Boden fallen, beugte sich über die Toilettenschüssel und erbrach die Reste des Tees und der Toastbrote, die sie bei Smith vor so vielen Stunden zu sich genommen hatte. Schweiß und Tränen rannen über ihr Gesicht. Sie drehte die Dusche auf, stellte sich mit den Kleidern darunter und riß sie sich unter dem heißen Wasser vom Leib. Die Platzwunde an der Stirn stach scheußlich, aber die Hitze und der Dampf wirkten reinigend. Langsam begann sie sich zu entspannen. Sie zog die restlichen Nadeln aus dem Haar, legte sie an den Badewannenrand und ließ das heiße Wasser über sich laufen.
Sie verließ das Bad, in ein großes himbeerfarbenes Badetuch gehüllt, und mit einem anderen Tuch um den Kopf. Sie ging geradewegs auf das Bett zu, zog die Steppdecke zurück und kroch hinein.
Irgend etwas klirrte auf den blanken Boden. Sie stöhnte und spähte über den Bettrand. Ihre Jacke und Handtasche waren auf den Boden gefallen, aber weder das eine noch das andere konnte den metallischen Klang verursacht haben. Was nun schon wieder? dachte sie.
Auf dem Boden neben ihrer Jacke lag ein Streichholzheft. Es hätte eigentlich nicht dieses Geräusch machen dürfen. Sie beugte sich vor und griff danach. Die Anstrengung war qualvoll. Ihre Hand schloß sich um das Heft. Sie drehte es in der Hand um. Es war grau. Etwas Metallisches war zwischen die Streichhölzer geklemmt und sah aus dem Heft vor. Sie zog es heraus. Es war ein kleiner Schlüssel.