Читать книгу Wall Street Blues - Annette Meyers - Страница 8

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Wetzon putzte den Rest des würzigen Tatars weg und streckte die Beine unter dem Tisch aus. Ihr rechter Fuß stieß an etwas Hartes. Sie schob vorsichtig den Stuhl zurück und blickte nach unten. Es war Barrys Diplomatenkoffer.

»Jetzt wissen wir wenigstens, daß er zurückkommt«, murmelte sie und fragte sich, in was für Schwierigkeiten er stecken mochte. Sie hatte ihn nie verunsichert gesehen.

Wieder rief sie sich ihre erste Begegnung mit Barry ins Gedächtnis, ebenfalls im Four Seasons. Er war damals so überzeugt von seinem Erfolg gewesen.

»Nicht jede Firma«, hatte sie ihren Versuch gestartet, »ist schließlich die richtige für jeden Makler. Es kommt sehr stark auf die Atmosphäre zwischen Ihnen und der Firma, zwischen Ihnen und dem Chef an. Eine Menge hängt von der Art der Geschäfte ab, die Sie tätigen, ob sie gemischt sind, die ganze Palette umfassen oder nur Aktien und festverzinsliche Wertpapiere. Machen Sie besonders in Wertpapieren? Oder privaten Anlagen?«

»Nee«, hatte er gesagt. »Jetzt meistens Aktien. Aktien und Optionen.«

»Dann wäre Ihnen also nicht mit einer Firma gedient, die auf Kommanditgesellschaften und festverzinsliche Wertpapiere spezialisiert ist?«

»Hören Sie.« Er hatte mit den Fingern auf dem Tisch getrommelt. »Sie sind eine nette Frau, deshalb sitze ich hier und rede mit Ihnen, aber wenn ich mich verändere, ist das einzige Atmosphärische, was mich interessiert, die Kohle, kapiert?«

»Auch wenn es eine schwache Firma ist?«

»Wer fragt schon nach der Firma? Was schert mich das? Ich bekomme das Geld im voraus, wenn also was passiert, habe ich das Geld.«

»Aber was ist mit Ihren Kunden?«

»Sie gehen mit mir, wohin ich auch gehe, weil sie wissen, daß ich Geld für sie mache, und wenn sie nicht mitgehen wollen, sollen sie es bleibenlassen. Ich habe sie so leicht bekommen, dann kann ich auch andere bekommen. Der springende Punkt für mich ist das Geld.«

»Von wieviel Geld reden Sie?« fragte Wetzon mit ruhiger Stimme.

»Vierzig, fünfzig Prozent vorab. Ich habe das Angebot bereits.«

Sie zog die Luft ein, spürte, wie sie bis zum Haaransatz rot wurde. »Das kann man fast nicht glauben. Es ist das Höchste, was ich je gehört habe.«

»Kennen Sie irgendeine andere Tätigkeit, bei der ein armer Junge aus der Bronx auf legale Art absahnen kann?«

»Das ist mehr, als unsere sämtlichen Kunden zu bieten bereit sind. Das Geschäft ist tatsächlich so gut, daß ich mich frage, worauf Sie noch warten. Warum haben Sie noch nicht zugegriffen?«

»Ich warte, daß es mehr wird – wenn ich brutto auf vierhundertfünfzig Mille für die laufenden zwölf Monate komme, springe ich ab. Dann mache ich die Fliege. Ich will einen Scheck in der Tasche über zwei und ein Viertel.«

Wetzon nickte. Die Vorausabsprachen beruhten auf der Bruttoleistung eines Maklers in den letzten zwölf Monaten. Und auf diesem Tummelplatz der Spekulanten brachte jeder Monat, den Barry auf seinem Platz blieb, ihn seinem Ziel näher. »Wie sind Sie an diese Firma herangekommen?«

»Man hat mich angerufen. Ich habe Beziehungen.« Er zog ein kleines, flaches, ausländisch aussehendes Etui aus der Innentasche, nahm ein Zigarillo heraus und steckte das Etui wieder weg. »Hören Sie, ich verrate Ihnen die Firma, aber Sie müssen mir versprechen, daß Sie es für sich behalten. Ich kenne den Typ, der die Firma leitet. Ein echt gerissener Typ. Hat seine Schäfchen ins trockene gebracht. An Jake kommt keiner heran. Er ist der beste. Ich kann dort eine Menge Geld machen, abgesehen von der Vorauszahlung. Es ist die Art, wie sie mit den Neuemissionen umgehen. Ich sahne groß ab und steige aus. Ich habe nicht vor, das für den Rest meines Lebens zu tun.«

»Das nenne ich allerdings gute Beziehungen.« Wetzon wußte, ohne zu fragen, daß Barry über das Wunderkind der Finanzwelt sprach, Jake Donahue, der aus einer glücklichen Heirat und einem forschen Sprung in das kleinere Versicherungsgeschäft ein Vermögen gemacht hatte.

»Ich will Ihnen was sagen«, fuhr Barry großherzig fort,«Sie sind wirklich nett und haben sich mein Gemecker und Gejammer monatelang angehört, ohne mich zu drängen. Ich weiß das zu schätzen. Wenn Sie also etwas anderes auf den Tisch legen, das in Frage kommt, höre ich zu. Schaden kann es jedenfalls nicht.«

»Jake Donahue.« Sie wickelte gedankenverloren ihre Serviette um das Rührstäbchen. »Das überrascht mich. Donahue fährt nur auf einer Schiene, oder? Sie geben sich doch nur mit Neuemissionen ab. Ihren Neuemissionen.«

»Eben, und ich werde in der Lage sein, die Hand auf so viele Anteile, wie ich will, zu legen – zehn Mille, fünfzig Mille –, nicht wie bei Merrill, wo zu viele Mäuler zu stopfen sind und man Stiefel lecken muß, um was zu bekommen. Und bei Jake können wir sie hochtreiben, bevor wir sie verkaufen.«

»Aber manövrieren Sie sich damit nicht aus dem normalen Geschäft heraus? Was ist, wenn der Markt mit Neuemissionen austrocknet? Das hat es schon gegeben, und inzwischen kaufen Ihre Kunden ihre Aktien, festverzinslichen Wertpapiere und Investmentfonds woanders.«

»Im Moment macht man mit Neuemissionen das große Geld, und da bin ich richtig. Aber Jake expandiert, steigt bei anderen Sachen ein, und ich werde dabeisein. Ich werde zur Stelle sein.«

»Barry«, hatte sie gesagt und dabei das Rührstäbchen ausgewickelt, »ich möchte furchtbar gern mit Ihnen zusammenarbeiten. Sie sind wirklich gut, aber wie könnte ich Ihnen raten, bei so einem Geschäft nicht zuzugreifen? Sie wären verrückt, wenn Sie es nicht machen würden. Vielleicht arbeiten wir irgendwann in Zukunft einmal zusammen.«

»Hören Sie, Wetzon, vielleicht kann ich etwas für Sie tun.« Er hatte sich auf dem großen Ledersessel zurückgelehnt, das schlanke Zigarillo angezündet und sie über einen dünnen Rauchkringel selbstbewußt angesehen. »Am Tag, an dem ich Merrill verlasse, schicke ich Ihnen das Verzeichnis der Makler in meinem Büro, und ich schreibe Ihnen auf, was jeder macht und was für eine Schwäche jeder hat. Wäre das nichts?«

Wetzon lachte laut auf, als sie daran dachte. Jener andere Barry, so arrogant, so sehr von sich überzeugt, war ganz anders als der aufgeregte junge Mann, der sie vor zehn Minuten allein gelassen hatte. Was war passiert, daß er so verändert war?

Sie griff in ihre Handtasche, nahm den Terminkalender heraus, schlug ihn auf. Sie war müde und sehnte sich nach ihrer Wohnung und einem heißen Bad.

Die kleinen Perlen, aus denen die Vorhänge an den hohen Fenstern bestanden, bewegten sich, wogten, schimmerten, als wären es Seidenbahnen. Alles in allem war es ein wunderbarer Ort. Gleichzeitig elegant, intelligent und höchst maskulin. Wie eine Jagdhütte ohne Hinweise auf den Jäger – und den Gejagten. Und sie wußte, daß das Jägerspiel hier sehr gut gespielt wurde.

Sie trank in kleinen Schlucken ihr Perrier aus dem langstieligen Weinglas und sog die Eisstückchen ein. Dann goß sie den Rest aus der Flasche ins Glas und stieß die Limonenscheibe mit der Spitze des Rührstäbchens an. Sie tupfte die verschüttete Bloody Mary mit den Servietten auf und sah nach, was von den gesalzenen Nüssen übrig war.

Der Balkon füllte sich jetzt nach und nach. Martin dirigierte geübt das Zusammenrücken von zwei Tischen in der Nähe, an die eine Gruppe japanischer Geschäftsleute mit zwei Alibiweißen gesetzt wurde. Von der Bar kam eine Lachsalve herüber.

»Dürfen wir Ihnen noch etwas bringen, Miss Wetzon?« fragte der Kellner.

»Nein, danke.« Sie wurde langsam zapplig. Verflixter Barry! Dachte er etwa, er könne sie hier bis in alle Ewigkeit sitzen lassen?

Nun kamen ständig Leute die Treppe hoch, von denen manche beim Oberkellner stehenblieben, um sich für den Speiseraum anzumelden, während andere am Eingang zum Grillroom warteten, daß ihnen ein Tisch zugewiesen wurde. Sie sah auf die Armbanduhr. Von Barry keine Spur, und es wurde spät. Er war schon über eine halbe Stunde weg. Was ihn wohl aufhielt? Er war so verrückt. Wahrscheinlich würde er wiederkommen, ganz der alte, als wäre alles in Ordnung. Darauf würde ich wetten. Okay, wenn er kommt, gönnen wir uns Tekamaki zum Essen. Sie gab ihm noch zehn Minuten.

Sie seufzte, sah sich nach dem Kellner um und signalisierte ihm mit dem Finger, daß sie zahlen wollte. Was für eine Zeitverschwendung das war.

Es herrschte nun ein ständiges Kommen und Gehen.

Sie reichte ihre American Express Gold Card und unterschrieb auf der Rückseite der Rechnung. Und wartete, daß der Kellner zurückkäme.

Sie streckte zielstrebig beide Beine unter dem Tisch aus, legte sie um Barrys Diplomatenkoffer und zog ihn zu sich heran. Die Kreditkarte und der Beleg kamen auf einem Teller zurück, dazu ein Kuli zum Unterschreiben, was sie tat, indem sie das Trinkgeld hinzufügte, dann zog sie automatisch das unterste Blatt und die zwei Durchschreibeblätter ab. Sie riß sie in Schnipsel, legte sie in den Aschenbecher, griff nach dem Diplomatenkoffer und stand auf.

Sie trug den Koffer so natürlich, wie sie normalerweise ihren eigenen trug, aber dieser hier war schwer. Voll falscher Goldbarren zweifellos. Es war unvorstellbar, daß Barry immer noch telefonieren sollte, und genauso unvorstellbar, daß er nach dem ganzen theatralischen Getue, wie sehr er sie brauche, ohne seinen Koffer und ohne eine Wort zu ihr weggegangen sein sollte.

Sie ging die Treppe hinunter und wich nach links aus, als ihr zwei Paare entgegenkamen. Die Telefonzellen befanden sich auf der anderen Seite der Lobby. Es gab zwei geschlossene Mahagonizellen, sehr solide und konservativ an der Wand gegenüber, und einen Marmorsims mit Telefonbüchern darunter an der Wand am Eingang.

Und da stand Barry über das Telefon gebeugt und redete immer noch. Sein Rücken war ihr zugewandt. Sie war plötzlich wütend. Diese Kerle waren alle egoistisch, die dachten an nichts anderes als an sich. Was machte es schon, daß sie dort oben saß und auf ihn wartete? Ihre Zeit war nicht so wertvoll wie seine. Smith sah die Typen richtig. Rücksichtslos, rücksichtslos, rücksichtslos.

Jetzt reichte es ihr. Sie ließ den Diplomatenkoffer fallen und schüttelte ihre Hand aus, dann klopfte sie an das Glas der geschlossenen Tür und zwang sich zu einem Lächeln. Er sollte nicht sehen, wie wütend sie war, wenn er sich umdrehte. Er hielt es nicht einmal für nötig, sich umzudrehen. Das war wirklich lächerlich.

»Barry«, sagte sie und klopfte kräftiger.

Das war zuviel. Sie stieß die Tür ein wenig auf, und endlich drehte er sich zu ihr um. Nur daß er seltsam zusammensackte, als er sich bewegte und nach unten rutschte in der Zelle, die zu eng war, um ihn zu halten, so daß er die Tür aufdrückte. Sie trat unwillkürlich zurück und schnappte nach Luft, als Barry Stark seitlich auf den Boden sackte. Erschrocken versuchte sie auszuweichen und stolperte dabei über den Diplomatenkoffer, der mit einem lauten Knall auf den Boden schlug. Barrys Kopf kam auf ihre Füße zu liegen, die dunkle Brille lächerlich verrutscht.

Erstarrt beobachtete sie den Blutfaden, der aus dem Mundwinkel lief. Reiß dich zusammen, dachte sie. Er ist ohnmächtig geworden oder hat einen Anfall gehabt. Sie bückte sich und berührte seine Schulter. »Barry …« sagte sie. Und dann sah sie seine Augen, das lädierte geschlossen, das andere leer starrend. Sein Gesicht war seltsam verzogen, der Unterkiefer aus Angst oder heftigem Schmerz krampfhaft verzerrt.

Während sie ihn anstarrte, sah sie den kleinen Griff des Messers, vor Blut kaum zu erkennen, der aus seiner Brust ragte. Sie hatte so etwas noch nie gesehen, aber sie wußte Bescheid. Barry war tot.

Wall Street Blues

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