Читать книгу Wall Street Blues - Annette Meyers - Страница 7

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Zwanzig Minuten später zog Wetzon die schwere Eichentür ihres Büros hinter sich zu und hörte das Schloß einschnappen. Sie ging die vier Ziegelsteinstufen zum Trottoir hinauf, eine zierliche Frau mit dem graziösen Gang einer Tänzerin. Das zusammengebundene aschblonde Haar, das spitze Kinn, die gerade Nase und der lange, schmale Hals hätten den Eindruck von Kälte vermitteln können, aber das war nicht der Fall. Sie hatte funkelnde graue Augen und ein breites, gutgelauntes Lächeln. Zum dunkelgrauen zweireihigen Kostüm trug sie eine leuchtend rote Bluse und einen locker umgelegten Kaschmirschal in einem helleren Grau. Die Aufmachung war schick und wirkte selbstverständlich. Sie hatte eine kleine Handtasche bei sich. Ihre Aktentasche hatte sie im Büro gelassen, weil dieses Treffen mit Barry nicht geschäftlich war.

Es war einer jener undefinierbaren Tage Ende März, noch nicht richtig Frühling und nicht mehr ganz Winter. Sie ging an den zwei Sandsteinhäusern in der 49. Street zwischen Second und Third vorbei und hoffte, die Hepburn, die in dem einen wohnte, kurz zu Gesicht bekommen, oder, nicht ganz so aufregend, Steve Sondheim, der im anderen wohnte. Sie war schon immer ein Fan von beiden gewesen. Vor langer Zeit hatte sie Sondheim kennengelernt, als sie in einer Wiederaufnahme der West Side Story getanzt hatte, aber er würde sich wohl nicht mehr an sie erinnern. Die Hepburn hatte sie nie persönlich getroffen.

Sie bog in die 3. Avenue ein und ging sie bis zur 52. Street hoch, bog links ab und überquerte die Straße. Es war schwer, das Four Seasons zu entdecken, selbst wenn man wußte, daß es hier war, weil der einzige Hinweis eine flache, unauffällige braune Markise war. Sie mußte dabei immer an die Geschichte von dem Restaurant denken, das so »in« war, daß es seine Telefonnummer nicht bekanntgab.

Smith und Wetzon waren Stammgäste. Sie hatten ihre Firma bei Drinks im Four Seasons begründet, und jetzt trafen sie sich dort zu festlichen Abendessen, Mittagessen mit Auftraggebern und Drinks mit Kandidaten.

»Hallo, Miss Wetzon«, sagte der junge Mann an der Garderobe, als er sie sah. »Wie geht es Ihnen heute?«

»Prima, J. P.«, antwortete Wetzon. »Sie sehen, kein Mantel, und ich fühle mich immer herrlich, wenn es Frühling wird.«

Sie sah auf die Uhr und wandte sich nach links zur Damentoilette. Sie hatte noch Zeit, ihr Make-up zu kontrollieren.

Auf dem Sofa vor den Toiletten hockte eine winzige Frau in mittleren Jahren, deren Füße kaum auf den Boden reichten, und blätterte ein Buch durch, das wie ein altes Adreßbuch aussah. Die einzige andere Frau überprüfte vor der Reihe der Frisiertische mit den von Glühbirnen umrahmten Theaterspiegeln ihr Augen-Make-up. Die Blondine, die sich die Augenpartie schminkte, sah Wetzon im Spiegel an, taxierte sie automatisch und nahm dann keine Notiz mehr von ihr. Die ältere Frau trug ein klassisches Kostüm und hatte die obligatorische Aktentasche neben sich auf dem Sofa liegen. Sie sah nicht auf, und Wetzon setzte sich vor einen Frisiertisch und musterte sich im Spiegel.

Sie zog ein Kleenex aus dem Spender an der Wand und tupfte eingebildeten Staub von ihrer glatten Haut. Im nächsten Raum wurde eine Toilette gespült, eine Tür geöffnet und geschlossen, Hände wurden gewaschen und vermutlich eine der angebotenen Hautcremes oder -lotions verwendet. Münzen klirrten auf den Teller, und eine große attraktive Frau erschien. Die sehr hohen Absätze, die sie trug, machten sie noch größer, und ihr schulterlanges Haar war glänzend kupfern, unverwechselbar und ungewöhnlich. Sie trug einen schwarzen Hut mit breiter, gebogener Krempe und eine große dunkle Brille. Ihre Kleidung war leger und seidig glänzend, und sie hatte einen dunklen Nerzmantel um die Schultern gelegt. Sie musterte sich rasch von Kopf bis Fuß im Spiegel neben der Tür und ging in einer Wolke von Maiglöckchenduft hinaus. Dior vielleicht. Die Frau auf dem Sofa räusperte sich leise. Ihre Augen trafen Wetzons Blick im Spiegel. Schwestern. Beide dachten: Dieses Mädchen verdient seinen Lebensunterhalt nicht durch Arbeit, wenigstens nicht durch unsere Art von Arbeit. Sie lächelten sich zu.

Wetzon zog die Lippen ein wenig nach und stand auf. Es war fast fünf, und Barry Stark war entweder schon da oder mußte jeden Moment kommen. Sie bürstete die Schultern und Ärmel ihrer Kostümjacke ab, zog die Strumpfhose von den Knöcheln her glatt, warf einen Blick auf ihr Spiegelbild in dem hohen Spiegel und ging auf die Treppe zu, um Barry zu treffen.

An der Wand vor der Damentoilette hing ein großes Farbfoto mit Bäumen im Frühling, und als sie oben an der Treppe ankam, sah sie auf der linken Seite Bäume in Töpfen stehen, ebenfalls frühlingshaft mit dicken Knospen. Die jungen Männer und Frauen, die im Restaurant arbeiteten, trugen alle schon ihre Frühlingsuniformen, blaß lachsrosa Jacken zu braunen Hosen. Sie sahen frisch und strahlend aus. Links von ihr waren drei Sessel unter die Topfbäume gerückt. Barry war nicht da.

Rechts, auf der anderen Seite der Treppe, befand sich die große Bar, ein Quadrat mit abgerundeten Ecken, an dem sich wie immer um diese Uhrzeit die Leute drängten. Und laut war es. Jeder versuchte zu demonstrieren, wie sehr er sich amüsierte. Ihr Blick fiel kurz auf die Frau mit der Sonnenbrille und dem glänzenden Haar, die sich an einem der kleinen Tische nahe der Bar angeregt mit einem großen Mann unterhielt.

Als sie sich wieder nach den Stühlen umdrehte, lief sie Leon Ostrow, ihrem Anwalt, direkt in die Arme.

»Um Himmels willen, Wetzon.« Leon hielt eine Hand über die Augen und schaute auf sie herab. Seine Brille saß wie immer auf seiner Nasenspitze, was ihn wie einen zerstreuten Professor aussehen ließ.

»Leon, was für eine Überraschung. Wie geht es Ihnen?«

»Gut, danke«, sagte Leon herzlich, indem er seine Brille die Nase hinaufschob. »Was machen Sie denn hier?« Er trat etwas zur Seite, so daß er zwischen ihr und dem Barbereich stand.

»Einen Makler treffen natürlich. Und Sie?«

»Einen Klienten natürlich. Ich würde Sie bitten, sich zu uns zu setzen, während Sie warten, aber …« Er sah verstohlen über ihre Schulter zur Bar hinüber.

»Nein, vielen Dank«, unterbrach sie ihn. »Meine Verabredung wird jeden Moment hier sein. Ich wollte mich gerade dort drüben hinsetzen.« Sie zeigte auf die Sessel unter den Topfbäumen.

Leon legte seine Hand ein wenig fester als nötig auf ihre Schulter und führte Wetzon zu den Sesseln.

»Wir müssen bald mal zusammen zu Abend essen«, sagte er freundlich und schlenderte auf die Bar zu, ein sehr langer, linkisch wirkender dünner Mann mit etwas krummem Rücken.

Wetzon zuckte die Achseln. Immer ein bißchen verrückt, der Leon, aber ein guter Anwalt.

Leon Ostrow war für Smith und Wetzon der erste Schritt zum eigenen Geschäft gewesen. Er hatte ihren Gesellschaftsvertrag aufgesetzt und ihre Eintragung veranlaßt. Er war ihnen empfohlen worden, und sie hatten ihm von Anfang an vorbehaltlos vertraut. Leon war in erster Linie ein Anwalt, der sich mit kleinen Firmen, Kapital- und Personengesellschaften sowie Immobiliensachen befaßte, und als Wetzon und Smith alle Rechtsanwälte, die sie kannten, auflisteten, war sein Name auf beiden Listen aufgetaucht. Er gewährte Künstlern und künstlerischen Belangen kostenlosen Rechtsbeistand, und Wetzon hatte ihn kennengelernt, als sie sich in einer Gruppe engagiert hatte, um zwei Broadway-Theater vor dem Abriß zu retten. Smith hatte ihn in ihrer Zeit als Personalchefin der Gordonflow Corporation kennengelernt. Sie hatte ihn konsultiert, als ihr Gebäude in eine Genossenschaft umgewandelt wurde.

Wetzon sah zur Bar hinüber, weil sie hoffte, den oder die Klienten zu entdecken, aber es war dort sehr voll geworden.

Die stark geschminkte Blondine schwebte die Treppe herauf und hielt nach jemandem Ausschau. Sie ging auf die Bar zu und wurde von zwei konservativ gekleideten Gästen mit einem begeisterten Hallo begrüßt. Sie lächelte, stellte sich kurz in Positur und ging dann mit leicht wiegendem Gang auf die beiden zu.

Wetzon überblickte den Grillroom vor sich: große bequeme Stühle, feines Leder, oder vielleicht PVC der Spitzenqualität, auf Metallrahmen. Geräumige Stühle für geräumige Hintern, dachte sie. Um diese Zeit waren die Tische nicht gefragt, aber zur Essenszeit hatten die erfolgreichsten Männer New Yorks hier ihre reservierten Plätze.

Martin, der sehr englische Oberkellner des Grillrooms, hatte gerade seinen Dienst angetreten und lief geschäftig hin und her, ein adretter Mann mit schwarzer Fliege. Er entdeckte sie, wie er jeden entdeckte, und winkte.

Plötzlich erschien Barry und stieg schnell die Treppe links von ihr hinauf. Er sah völlig daneben aus, sogar ängstlich, dachte sie bestürzt, und er war ungepflegt – für seine Verhältnisse. Sie nahm das nur wahr, weil sie ihn kannte. Jeder andere, der ihn betrachtete, würde einen gutaussehenden jungen Mann mit dunkler Brille sehen, überdurchschnittlich groß, der einen elegant geschnittenen dunkelblauen Nadelstreifenanzug, ein weißes Hemd mit Umschlagmanschetten und eine dunkelblau und rot gemusterte Ripskrawatte trug. Ein junger Mann in Eile. Er trug einen großen Diplomatenkoffer. Er nahm die dunkle Brille nicht ab, und als er näher kam, sah Wetzon die rötliche Schramme am Kinn und die aufgeplatzte Lippe.

»Ich habe Verspätung«, sagte er mit seltsam normaler Stimme, nicht in seiner gewohnten dröhnenden Lautstärke, und dabei wendete er den Kopf hin und her, sah sie nicht richtig an, sondern überblickte den Raum, den Barbereich. »Ich bin früh aus dem Büro gegangen, aber ich mußte – ich werde beobachtet.« Er atmete schwer, und sein lockiges Haar fiel ihm in die Stirn. Er schüttelte energisch ihre Hand und zuckte zusammen. Sie blickte auf seine Hand. Die Knöchel waren wund und rot.

»Sie sehen furchtbar aus«, stellte Wetzon fest.

»Ich weiß«, sagte er todtraurig. »Ich wollte nichts anderes, als mir ein gutes Auskommen sichern, und jetzt stecke ich tief in der Patsche.«

Martin erschien mit Elan neben ihnen. »Balkon?« fragte der Oberkellner, weil er wußte, daß Wetzon diesen Bereich wegen seiner Ungestörtheit vorzog.

»Ja«, antwortete Barry, bevor Wetzon ein Wort sagen konnte.

Der Grillroom bestand eigentlich aus drei getrennten Bereichen. Auch der Barbereich gehörte dazu und war vom eigentlichen Grillroom durch große Rauchglasscheiben abgeteilt. Diese »Schutzschirme« waren nicht mehr als eineinhalb Meter hoch, gerade ausreichend, um die Bar und ihre lärmenden Spaßvögel vom konservativeren Publikum zu scheiden, das den eigentlichen Grillroom bevorzugte.

Der Grillroom war nach hinten durch eine Wand mit Rosenholztäfelung abgeschlossen, zu deren beiden Seiten eine Treppe mit etwa einem Dutzend Stufen zu einem offenen Balkon mit zwei langen Tischreihen führte, von wo aus man den Hauptraum überblickte. Der Balkon bot die beste Sicht auf den gesamten Bereich. Von diesem Platz aus konnte man jeden kommen und gehen sehen.

Barry legte seine Hand auf ihren Ellbogen, als sie die Treppe hinaufgingen, eine seltsame, fast drollige Geste bei ihm. Der letzte Mann, der das getan hatte, war ein sehr höflicher älterer Broadway-Produzent gewesen, der Wetzon einige Male zum Essen ausgeführt hatte, weil er sie für eine Produktion gewinnen wollte. Sie lächelte, als sie daran dachte.

Sie wählten einen Tisch, und Martin zog die Stühle für sie vor.

»Das Übliche?« fragte Martin und lachte Wetzon mit den Augen an.

»Ja, bitte.«

»Was darf ich Ihnen bringen?« fragte er Barry.

»Eine Bloody Mary.« Barry lachte kurz auf.

Er ließ sie allein, und ein lachsrosa befrackter junger Mann eilte mit einem Tellerchen gesalzener Nüsse herbei.

Barry war immer aufgekratzt, aber Wetzon hatte ihn noch nie so aufgeregt erlebt. Seine Hände zitterten, als er nach den Nüssen langte. Und er suchte pausenlos die untere Ebene des Grillrooms ab und studierte jeden, der kam oder ging. Er zuckte zusammen, als das Salz an den Nüssen seine aufgeplatzte Lippe berührte.

»Was hat die Sonnenbrille zu bedeuten?« fragte sie leichthin.

»Ich mußte Sie sehen.« Barry überging die Frage. »Ich muß Sie um einen Gefallen bitten.« Er hob die dunkle Brille an und senkte sie schnell wieder, so daß sie kurz ein schlimm zugerichtetes Auge zu sehen bekam. Sie schrak zurück.

»Okay, ich bin da. Wo liegt das Problem?«

»Das ist eine lange Geschichte.« Er seufzte und strich nervös sein Haar zurück. »Du meine Güte, schauen Sie sich meine Hände an«, fuhr er fort. »Ich hatte alles hinbekommen – ich hatte es geschafft.« Es klang fast überheblich. Er schlug mit der Faust auf den Tisch, die Stimme trotzig erhoben. »Ich weiß nicht, wie er mir auf die Schliche gekommen ist …«

»Barry«, versuchte Wetzon, ihn zu beruhigen, »erzählen Sie doch einfach, was …«

»Ach, Scheiße.« Plötzlich fiel die ganze zur Schau gestellte Sicherheit von ihm ab, und er stützte den Kopf in die Hände. »Sie wissen doch, daß Jake sich ziemlich intensiv mit Ersteinführungen befaßt«, sagte er.

»Weiß ich, aber genau das haben Sie doch gewollt, oder?«

»Klar, ich wollte den Teil des Geschäfts lernen, weil ich mir vorstellte, daß da in den nächsten paar Jahren das große Geld gemacht wird.«

Barry hatte ständig eine neue Theorie, wo und wie das große Geld verdient wurde. Erst war es der Freiverkehrsmarkt, dann waren es Übernahmepakete, bei denen der Erfolg häufig auf Insider-Informationen beruhte. Jetzt waren es Ersteinführungen – Neuemissionen –, womit er bei Jake Donahue zu tun hatte.

»Ich dachte wirklich, diesmal hätte ich es geschafft.« Sein Lachen war bitter. »In dieser Branche kann man nie zuviel wissen, aber dieses eine Mal weiß ich wohl zu viel …«

»Barry, wollen Sie mir nicht endlich sagen, worum es geht?«

»Ich bin tot«, sagte er. »Ich …« Ihre Drinks kamen auf einem kleinen braunen Tablett mit einer lachsrosa Serviette unter jedem Glas. Ohne zu warten, bis die lachsrosa Jacke verschwunden war, nahm Barry einen kräftigen Schluck.

»Wissen Sie, was wir als Repos bezeichnen?«

»Irgendwas mit Bundesanleihen, aber ich weiß es nicht genau«, antwortete Wetzon. Seine Aufgeregtheit bereitete ihr Unbehagen.

»Also das sind Rückkaufabsprachen. Wir und vergleichbare Firmen verkaufen Bundesanleihen an Banken, Kommunen und Privatkunden, und dann vereinbaren wir, daß wir sie später mit Gewinn für die Bank oder Stadt zurücknehmen – das nennt sich Rückkauf. Oder wir machen es umgekehrt und kaufen ihre Bundesanleihen, wenn sie Bargeld brauchen, und sie können sie zu einem festgelegten späteren Termin von uns rückkaufen. Kommen Sie mit?«

»In anderen Worten, die Firma verkauft Bundesanleihen an jemanden und kauft sie dann zu einem höheren Preis an einem im voraus verabredeten Tag zurück.«

»Genau, irgendwo zwischen dreißig und zweihundertsiebzig Tagen danach. Der Preisunterschied macht den Profit des Kunden aus. Und eine umgekehrte Repo ist, wenn wir die Anleihe von dem Kunden kaufen und verabreden, sie ihm später wieder zu verkaufen.« Er schaufelte eine Handvoll Nüsse vom Teller auf und schob sie zwanghaft in den Mund.

»Okay.«

»Sie kennen mich doch. Ich nehme es keinem übel, wenn er Geld machen kann«, sagte Barry. »Ich bin nur einfach neugierig. Ich hätte gern ein Stück davon, wenn ich es kriegen kann.« Er lächelte beinahe. »Ich höre zu. Ich bleibe länger da. Ich schnüffle ein bißchen herum. Ich möchte wissen, was vor sich geht. Auf diese Weise lerne ich.«

»Ich wußte nicht, daß Jake sich mit Bundesanleihen abgibt – scheint etwas zu zahm für ihn. Was haben Sie also herausgefunden, Barry?«

»Jake mischt überall mit, wo Geld zu holen ist. Deshalb bin ich ja ursprünglich hingegangen. Aber irgendwas geht dort vor, das nicht koscher ist. Ich habe Beweise. Ich muß mich absichern, oder? Kein Mensch wird mich schützen?«

»Beweise wofür? Wovor schützen?«

»Hören Sie zu, vor etwa sechs Monaten … Scheiße, vergessen Sie’s … Sie müssen etwas für mich tun, Wetzon. Es geht um meine Versicherung. Es ist eine Vertuschung … das FBI …«

Eine lachsrosa Jacke kam mit einem Vorspeisentablett vorbei. Es war genau nach Wetzons Geschmack, Tatar auf kleinen Stücken Schwarzbrot. Barry nahm zwei Stücke, dann nahm Wetzon eins und noch eine Serviette. Als sie sich Barry wieder zuwandte, war sein Gesicht käsig. Angst breitete sich vom Grübchen in seinem Kinn über die zusammengepreßten Kiefer aus. Über dem weißen Hemdkragen schwollen die Sehnen an seinem Hals an und wurden hart. Sein Kopf begann krampfhaft auf und ab zu zucken.

»Was haben Sie denn, Barry?« Wetzon hatte plötzlich Angst, er würde ohnmächtig werden. »Barry?« Sie sah über den Balkon in die Richtung, in die Barry starrte, sah aber nichts Ungewöhnliches. Niemand stand auf der Treppe, niemand sah zu ihnen herauf.

»Ich muß telefonieren.« Barry stand abrupt auf, stieß dabei an den Tisch und verschüttete den Rest seiner Bloody Mary. Die rote Flüssigkeit ergoß sich über die glänzende Nußbaumplatte.«Entschuldigung – bin gleich zurück.« Er entfernte sich mit schnellen Schritten.

Wetzon saß sprachlos am Tisch mit den roten Flecken und dem Rest ihres Perriers, das nicht umgefallen war. Sie hielt immer noch das unangebissene Stück Tatarbrot in der Hand, während sie Barry eilig die Treppe hinunterspringen sah und fast damit rechnete, daß er stürzte. Dann blieb er stehen, warf einen Blick auf die Bar, sah dann zu ihr hoch und lief weiter, bis sie ihn nicht mehr sah.

Martin sah von der unteren Ebene fragend zu ihr hoch. Sie schüttelte den Kopf und formte mit den Lippen: »Alles in Ordnung.«

Wall Street Blues

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