Читать книгу Mörderisches Musical - Annette Meyers - Страница 11

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»Geht ein bißchen leiser, bitte? Wir fangen jetzt mit den Aussagen an. Haben Sie bitte Geduld, und wir sehen zu, daß Sie so schnell möglich wegkommen.« Bernstein stand im Zuschauerraum und lehnte über dem Orchestergraben.

Mit fünf krachenden Akkorden beendete Sam seinen bizarren Vortrag und ließ sich mit angewinkelten Armen auf die Tasten fallen. Er sah aus wie ein großer Vogel, angeschlagen, ertrunken.

Die Unterbrechung lenkte Wetzons Blick nur kurz von Carlos ab. »Was willst du damit sagen, du hättest Dilla umbringen können?«

Carlos machte einen deprimierten Eindruck. »Genauso habe ich empfunden, als ich gestern abend hier weggegangen bin, Häschen. Ich wollte meine Hände um den Hals dieser intriganten Schlange legen und zudrücken…« Er packte Wetzons Hand und zog sie nach rechts in die Kulissen. Der abgestandene Geruch des geschlossenen Theaters war hier noch aufdringlicher. »Die verstorbene berühmte Killa Dilla hat auf meinen Rausschmiß hingearbeitet. Und meine lieben Freunde und Mitarbeiter sind nicht gerade zu meiner Verteidigung herbeigeeilt. Anscheinend hat ihr großer Geldgeber darauf bestanden, Gideon Winkler als Choreographen zu bekommen. Das Weibsstück hat Mort erzählt, meine Arbeit wäre vollkommen abgekupfert und würde die Show herunterziehen.« Er wandte den Kopf von ihr weg und blinzelte nervös.

»Oh, Lieber.« Wetzon drückte ihn an sich, Wange an Wange. Er war ihr bester Freund, seit sie zum erstenmal zusammen getanzt hatten. Wenn ihm etwas weh tat, spürte sie den Schmerz. »Und was, wenn ich fragen darf, haben deine Mitarbeiter dazu gesagt?«

»Gekniffen haben sie.«

»Die Feiglinge. Und du sagst, Wall Street sei dreckig.«

»Ich habe ihnen gesagt, macht, was ihr wollt, und bin abgehauen, das kann ich dir sagen. Zu Hause habe ich sofort Arthur angerufen – er ist seit Donnerstag in Virginia, um eine komplizierte Treuhandgeschichte zu regeln –, und wir sind gründlich meinen Vertrag durchgegangen. Scheiße, finanziell stehe ich gut da – sie müssen mich bezahlen oder abfinden –, aber der kreative Teil von mir hat eine Schlappe erlitten.«

»Showbusineß! « Wetzon spie das Wort fast aus. Sie war selbst überrascht, wie bitter es klang.

»Tja, dann hat Mort mich um halb eins angerufen und gesagt, ich soll mir keine Sorgen machen, daß er mich liebt, daß mich alle lieben, und sie würden nicht daran denken, die Show ohne mich zu machen.«

»Machst du Witze? Und Dilla und das Phantom von Geldgeber?«

»Mort hat gesagt, er hätte das mit Dilla erledigt.«

»Hm?«

»Genau das waren seine Worte.«

»Der gute Mort hatte immer eine seltsame Art, sich auszudrücken, meinst du nicht?« Wetzon und Carlos lächelten sich an.

»Mort hätte sie niemals getötet.«

»Wie kannst du dir so sicher sein, Carlos? Wenn ich in den letzten Jahren eines gelernt habe, dann ist es, daß wir alle fähig sind zu töten…und wenn man unter sehr viel Druck steht… «

»Nicht Mort, Schatz. Der ist dazu nicht Manns genug.«

»Und was verschiebt und streichelt er immer in der Hose?« Sie konnte das Lachen nicht zügeln, das in ihr hochstieg. Carlos anscheinend genauso wenig. Es war plötzlich unbeschreiblich lustig. Doch im Hinterkopf wußte Wetzon, daß es nicht so komisch war. Nicht viel mehr als hundert Meter von ihnen durchkämmte die Polizei den blutbefleckten ersten Rang nach Beweisstücken, die Dillas Mörder verraten könnten.

Und da Arthur verreist war, hatte Carlos kein Alibi für vergangene Nacht.

»Wo ist Miss Wesson? Wir fangen mit ihr an.« Bernstein wieder.

Wetzon verschluckte das Lachen und schnappte hustend nach Luft. Carlos schlug ihr auf den Rücken. Lachen drang durch die auf Münder gepreßten Hände. »O Gott.« Sie konnte nicht mehr. »Wir werden besser normal.«

Carlos kniff ein Auge halb zu. »Du vielleicht, Häschen, aber ich nicht.«

Das genügte, daß sie wieder losprusteten.

»Miss Wesson?« Eine Polizistin. Eine Frau, doch deutlich eine Polizistin. Wie erkannte sie das? Wetzon konnte es nicht erklären. Haltung? Ton? Gesten?

»Sie wünschen dich, Miss Mazola, Schatz.« Carlos kicherte. Sie sahen sich starr in die Augen und fielen sich mit einem neuen Lachanfall in die Arme.

»Reiß dich zusammen, Sohn«, keuchte sie. Das war der Lieblingssatz ihrer Freundin Laura Lee Day.

Die Polizistin betrachtete sie neugierig. »Miss Wesson?«

Wetzon kicherte. »Entschuldigung. O Gott. Tut mir leid. Die Nerven.«

Carlos kehrte ihr den Rücken. Seine Schultern bebten. Sie konnte nicht hinschauen. Statt dessen konzentrierte sie sich auf die Polizistin: unerschütterlich, breitärschig, kurzes braunes Haar, markante Nase, blasse Haut frei von Make-up. Sie trug eine locker sitzende braune Gabardinehose und eine offene Daunenjacke in einem auffälligen Blauton.

»Detective Bernstein möchte mit Ihnen beginnen, Miss Wesson.«

»Ich heiße Wetzon.« Wetzon buchstabierte: »W-e-t-z-o-n«, und wieder kitzelte ein Kichern sie in der Kehle. Carlos brüllte jetzt vor Lachen. Er hing über dem Inspizientenpult, der eigentlich nur ein kleiner Tisch mit einer Schublade war, den man in die Seitenkulisse unter einen Computer gestellt hatte. Auf dem Tisch lagen eine große schwarze Handtasche, ein Schirm und ein abgetragener Burberry.

»Ich bin Detective Renee Gross«, sagte die Frau. »Wenn Sie bitte mitkommen möchten.« Sie sprach abgehackt und konnte an Wetzons Belustigung sichtlich nichts Lustiges finden. Sie wirkte sogar entrüstet. Ihre Miene ließ Wetzon innehalten.

»Carlos, wir unterhalten uns später.«

»Was hältst du vom Abendessen?« Er hatte sich wieder in der Gewalt, doch Tränen standen ihm im Gesicht.

»Kann nicht. Ich esse mit Smith.«

»Ach so! Wenn du lieber mit dem Barrakuda ißt…«

»Bitte! Du bist ein unmögliches Geschöpf.« Carlos konnte ihre Geschäftspartnerin Xenia Smith nicht ausstehen, und die Abneigung war gegenseitig. Sie teilten, über Wetzon, ständig Hiebe gegeneinander aus. »Aber allerliebst.« Sie drückte ihm einen Kuß auf die Wange, dann folgte sie Detective Gross über die Bühne.

Sam saß rittlings auf der Klavierbank und unterhielt sich, den Kopf im Nacken, mit Aline und JoJo. Er erwischte Wetzons Hand, als sie vorbeiging. »Oh, wunderbare Leslie, daß wir uns so wiedersehen. Später?« Er küßte ihre Handfläche.

»Klar, Sam.« Er war sofort wieder auf die schmalzige Masche verfallen, mit der er es vor Jahren bei ihr probiert hatte.

Sie sah die Frau nicht, die vorher mit Mort auf die Bühne gekommen war, doch Mort, der in ein Gespräch mit Gerry Schoenfeld vertieft war, bedeutete ihr, daß alles in Ordnung war, und zwinkerte ihr auffällig zu, als hatten sie sich verschworen. Sie spürte, daß ihr Schoenfelds Blick folgte, und sie fragte sich, was Mort dem Theaterbesitzer wohl erzählte.

Als Wetzon und Detective Gross die Seitentreppe hinabstiegen, sah Wetzon, daß die sechs Tänzerinnen und Tänzer fortwaren. Und von ein paar Polizisten abgesehen war der Zuschauerraum des Theaters leer. Immer noch keine Spur von Phil. Was konnte mit ihm passiert sein? Ein Licht blitzte von oben auf, dann noch eines. Jemand rief eine Frage; körperlose Stimmen antworteten. Die Leute von der Spurensicherung der New Yorker Polizei waren noch bei der Arbeit.

Sie folgte Gross den Mittelgang hoch zum Ende des Parterres, bis hinter die Sitzreihen. Ein uniformierter Polizist stand an der geschlossenen Tür zum Büro des Hausverwalters, das Schoenfeld für die Ermittlung zur Verfügung gestellt hatte. Er hatte einen kleinen roten Metallapfel an den Kragen seines Rocks gesteckt. Gross klopfte, machte dann die Tür auf und steckte den Kopf hinein. »Können wir rein?« Ein Schwall beißenden Zigarettenrauchs wehte heraus.

»Zuerst du Gross.«

Detective Gross zog entschuldigend die Schultern hoch, schlüpfte ins Zimmer, schloß die Tür und ließ Wetzon stehen. Sie konnte Bernsteins und Gross’ Stimmen durch die geschlossene Tür hören. Der uniformierte Polizist achtete nicht auf sie. Sie schlenderte einige Schritte auf den beleuchteten Kassenraum zu. Auch diese Tür war geschlossen, doch nicht ganz eingerastet.

Drinnen sagte eine Frau: »Das hat nichts mit uns zu tun.«

»Aber ich sollte ihnen sagen…« Die Stimme, die antwortete, gehörte Phil.

»Nein! Ich…«

»Kommen Sie bitte«, sagte Gross laut.

Wetzon wandte sich um und ging auf das Büro des Hausverwalters zu. Hinter sich hörte sie die Tür auf- und zugehen. Als sie zurückblickte, sah sie gerade noch Phil aus dem Kassenraum kommen.

Bernstein legte das Telefon auf und winkte Wetzon herein. »Suchen Sie sich einen Stuhl.«

Bernstein hatte sich hinter einem uralten Schreibtisch verschanzt. Die Kunstlederplatte war fleckig und zerkratzt; alte Rillen überzogen das lackierte Eichenholz. Bernstein hatte einen Pappbecher und ein Notizbuch vor sich. Das Zimmer war kalt und ungelüftet.

Wetzon saß auf einem unbequemen Stuhl, dessen Lederbezug durchgescheuert war, trocken und aufgeplatzt, mit schwarzem Isolierband geflickt. Auf dem Boden lag ein Teppich, so dünn, daß ganze Stücke abgetreten waren und auf großen Flächen das Untergewebe zum Vorschein kam. Jemand hatte eine Kaffeemaschine auf den Tisch gestellt, dazu einen Turm Pappbecher, einen Milchbehälter und einen Pappteller mit Zucker und Süßstofftütchen. Kaffee tropfte von der Tülle in einen Becher, plop, plop, plop.

Überflüssigerweise verkündete Gross: »Detective Morgan Bernstein, Ms. Wesson.«

Bernstein wirkte beinahe leutselig. Er schob seinen Kaffee beiseite, schüttelte eine Zigarette aus einem Marlboro-Päckchen und zündete sie an. Sein buschiger Schnäuzer war neu, wenigstens erinnerte sie sich nicht an einen Schnäuzer. »Kaffee, Miss Wesson?«

»Nein, danke. Und mein Name ist Wetzon.«

»Das habe ich doch gesagt. Setz dich, Gross. Du machst mich nervös.«

Detective Gross zog einen weiteren wackligen Stuhl um die Tischkante herum, so daß sie Wetzon gegenübersaß. Ihr Gesicht war ausdruckslos. Sie zog einen Block und einen Kuli aus ihrer Jackentasche.

»Was ist aus Irma geworden?« Wetzon glaubte, daß dies der Name von Bernsteins Partnerin vor drei Jahren gewesen war, als sie ihm zum erstenmal begegnet war.

Bernstein zog ausgiebig an seiner Zigarette und sah sie argwöhnisch an, dann ließ er eine dicke Rauchwolke ausströmen. Er hatte den Hut abgesetzt; seine blaue gehäkelte Jarmulke war mit einer Haarklemme an dem krausen Haar befestigt. Er hatte einen Haarschnitt nötig, und er sah aus, als hätte er zugenommen. Genaugenommen war er einfach fett.

»Detective Ignacio ist bei der Mordkommission. Ich schule sie gut.« Er grinste Gross an. »Stimmt das nicht, Gross?«

Gross nickte ernst, doch Wetzon bemerkte, wie sie eine Augenbraue leicht hochzog. Ihre Blicke begegneten sich für den Bruchteil einer Sekunde, dann sah Gross wieder nach unten auf den Block.

»Ich habe gerade mit Ihrem Freund gesprochen.« Bernsteins blaue Augen waren Eis unter buschigen Brauen.

»Wie bitte?« Sprach er mit ihr oder mit Detective Gross? Nein, er redete mit ihr. Er meine Silvestri. »Ach«, meinte sie nichtssagend. Scheiße, fügte sie stumm hinzu.

»Mhm. Ich habe ihm gesagt, daß Sie wieder in Schwierigkeiten stecken.« Er grinste sie höhnisch an.

»Warum haben Sie das getan, verdammt noch mal?« Vor Zorn sprang sie auf. Sie und Silvestri hatten sich vor acht Monaten getrennt. Sie hatten sich darauf geeinigt, sich eine Weile nicht zu sehen.

»Setzen Sie sich, Miss Wesson. Ich wollte vermeiden, daß er mir ins Gesicht springt, wenn er es herausbekommt.«

Sie wollte Silvestri ebenfalls nicht vor Augen haben, wie er auf seinem weißen Roß herbeisprengte, um sie vor dem Drachen zu retten.

Verdammt! Sie kochte und hätte an die Decke gehen können. Der Schweiß brach ihr aus. Silvestri würde glauben, sie sei unfähig, selbst auf sich aufzupassen. Das war ja gerade eines von den Dingen, wegen denen sie sich gestritten hatten. Hör auf, Wetzon, befahl sie sich. Was kümmerst du dich, was Silvestri denkt? Plötzlich fühlte sie sich unwohl und benommen. Sie hatte das Mittagessen übersprungen. Sie ließ sich auf den Stuhl fallen.

»Er hat mir freundlich für die Mitteilung gedankt«, fuhr Bernstein fort. Anscheinend versuchte er, ihre Reaktion zu ergründen.

Das ist alles? Sonst hat er nichts gesagt? dachte sie und sagte bestimmt: »Ich bin hier keine Verdächtige.«

»Nein?« Bernstein inhalierte Rauch und blies ihn mit bewußter Selbstsicherheit aus. Er war ganz Drache. »Wie kommen Sie darauf?«

»Ich war letzte Nacht nicht allein. Oder heute morgen…«

Bernstein sah sie herausfordernd an und kratzte sich unter der Jarmulke. »Also?« Seine Augen waren spöttisch.

»Also, Dilla wurde letzte Nacht ermordet.«

»Wie können Sie so sicher sein?« Er drückte die Zigarette auf dem Kunstlederbezug des Schreibtisches aus, verstreute dabei Asche und fügte der Vielzahl der schon vorhandenen Narben eine neue hinzu.

»Stimmt es denn nicht?« Worauf wollte er hinaus? »Wann dann? Das Theater war fest verschlossen, als wir kamen.«

»Wann war das?«

»So um halb zwölf.«

Bernstein nickte. Er genoß ihre Entrüstung. »Tja. Aber sie war noch warm, als wir kamen.«

Mörderisches Musical

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