Читать книгу Mörderisches Musical - Annette Meyers - Страница 17

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Sie gaben ihre Mäntel an der Garderobe ab und gingen langsam die mit einem Teppich ausgelegte Treppe hinauf. Wie immer drehten sich Köpfe nach Smith. Sie waren spät dran. Wetzon war so darauf bedacht, pünktlich zu sein, daß sie immer zu früh kam, doch wenn Smith mit von der Partie war, kamen sie stets zu spät.

Für Wetzon war das Four Seasons ein magischer Ort. Achtzehn Stufen führten in das aufregendste Restaurantambiente in New York. Die Decken spannten sich wenigstens sieben Meter hoch. Da Winter war, enthielten die Blumenkübel nackte, pfeilgerade Ruten weißer Birken. Das Personal trug braune Uniformen. Das ganze Jahr über fand man sich im Restaurant ein, um bei einem Drink Geschäfte einzufädeln, um im Grillroom beim Mittagessen Arbeitsgespräche zu führen oder im Poolroom Erfolge mit einem Abendessen zu feiern.

Sie und Smith waren von dem Mann, der damals ihr gemeinsamer Rechtsanwalt gewesen war, ins Four Seasons eingeführt worden. Sie hatten ihre Firma bei Drinks im Grillroom gegründet. Wetzon traf sich hier zu Besprechungen mit Börsenmaklern. Einer – Barry Stark – war in der Telefonzelle gleich neben dem Vorraum im Parterre ermordet worden. Der Detective, der den Fall bekommen hatte, war Silvestri gewesen.

Obwohl Wetzon sich immer noch im Four Seasons mit Maklern verabredete, konnte sie die Panik, die sie jedesmal überfiel, wenn sie diese Treppe hinaufging, nicht überwinden.

Ohne jedes Gefühl von Zeitdruck ließ Smith sich darauf ein, Höflichkeiten mit Paul Kovi auszutauschen, einem der Besitzer, der heute hinter dem Reservierungspult stand. Wetzon sah sich im Raum um. Wie sie vermutet hatte, waren alle da, sogar Mort, der genauso notorisch unpünktlich wie Smith war. Sie saßen an einem der rechteckigen Tische vor der mit Rosenholz getäfelten Rückwand unter dem Balkon.

Die Männer sprangen mit entschieden mehr Schwung auf, als Wetzon für nötig hielt. Mort, dessen Säcke unter den blutunterlaufenen Augen heute besonders auffielen, spielte die Rolle des kreativen Genies, in Jeans und rotem Cashmerepullover – zweifellos passend zu den Augen –, Tweedjackett und auffälliger Seidenkrawatte. Die Schildpattbrille hatte er auf seiner kahlen Platte geparkt. Er hatte nur Augen für Smith.

Twoey Barnes, der gute Twoey, trug sein Herz im Gesicht. Goldman Barnes II. war ein schlaksiger, rothaariger, kurzsichtiger Softie, über einsachtzig groß. Ein Hai im Börsensaal vielleicht, aber ein Blatt im Sturm, wenn Smith im Spiel war.

»Mort, meine Geschäftspartnerin Xenia Smith«, machte Wetzon sie bekannt. Sie hatte das Gefühl, überhaupt nicht zum Geschehen zu gehören.

»Mort Hornberg«, sagte Mort, ohne Wetzon zu beachten. Er fiel praktisch über Smith’ ausgestreckte Hand her und ließ den Blick nicht von ihren Beinen. Er war dem weiblichen Geschlecht gegenüber bekanntermaßen zwiespältig eingestellt. Dennoch hatte er gern attraktive Frauen um sich. Beine waren seine Sache. Und Smith hatte sagenhafte Beine.

»Sehr erfreut«, sagte Smith.

»Und das ist Sunny Browning. « Mort bedeutete Sunny Browning, ihren Stuhl zu tauschen, damit Smith neben ihm sitzen konnte. Er trank irgendeine seltsame braune Brühe aus einem Glas.

Smith’ Blick streifte Sunny Browning in ihrem Armanijackett, dem steifen weißen Hemd und der lose geknoteten purpurfarbenen Seidenkrawatte und ging dann weiter zu Twoey. »Zuckerstück, ich habe dich schrecklich vermißt.« Ihre Stimme war heiser. Sie lächelte ihn strahlend an und wandte sich wieder an Mort.

Wetzon bemerkte Sunnys Blick. Der Frau entging nicht viel. Man konnte beinahe sehen, wie sie die Dinge zusammenzählte. Wetzon küßte Twoey flüchtig auf die Wange und setzte sich zwischen ihn und Sunny. Smith spielte ihre üblichen Tricks aus: Verführung und Manipulation, und wieder einmal hatte Wetzon einen Randplatz.

Sie bestellten gebackenen Lachs. Ein Kellner in einem braunen Bolero nahm ihre Speisen- und Getränkewünsche entgegen, und Mort bestellte zusätzlich eine Flasche Champagner. Smith strahlte. Mort machte es goldrichtig.

»Es tut mir leid, daß wir Sie haben warten… « Wetzon wurde mitten im Satz durch Smith’ strengen Blick aufgehalten. Smith’ Motto war, entschuldige dich nie, ergänzt durch: Wenn sie geben, nimmst du, und wenn sie nehmen, schreist du.

Smith lächelte Mort herzlich an und tätschelte seine Hand. »Fahren Sie bitte fort. Wir werden einfach wie stille kleine Mäuschen dasitzen und zuhören.«

»Ich habe gerade Mr. Barnes erzählt…«

»Twoey bitte.« Um Twoeys Augen erschienen Lachfältchen hinter der goldgeränderten Brille.

»Twoey also«, sagte Mort mit einem neuerlichen Ausbruch von Herzlichkeit und bürstete eingebildete Schuppen erst von einer Schulter, dann von der anderen. »Ich habe Twoey gerade erzählt, daß Hotshot Musical mit zehn Rollen ist, sechs Tänzer und vier Schauspieler, aber jeder ist selbstverständlich gleich wichtig für das Ganze.« Er nahm einen Schluck von der Brühe und lächelte Smith an. »Jeder Schauspieler ist ein Hauptdarsteller ohne genaue Festlegung. Carlos Prince, unser Choreograph, hat natürlich die Arbeit, die ihm auf den Leib geschnitten ist. Schauspieler für Revuestücke zu bekommen ist meine Aufgabe; sie zum Tanzen zu bringen ist seine.« Er zwinkerte Wetzon übertrieben zu. »Und er hat wieder einmal ein erstaunliches Kunststück vollbracht.«

Ein Kellner kam mit den Tellern, und ein anderer brachte eine Flasche Champagner in einem Eiskübel. Kelche wurden halb gefüllt. Wetzon vertrug Champagner nicht, also ließ sie ihn im Glas perlen und flüsterte dem Kellner zu: »Amstel Light.«

»Wir haben Hotshot mit fünf Millionen veranschlagt, unter Berücksichtigung unseres dreiwöchigen Probelaufs in Boston…äh, Twoey.« Mort rollte Twoeys Namen auf der Zunge. »Sunny kann Ihnen das Budget geben. Wir haben ein Ensemble, keine Stars, deshalb können wir die Kosten niedrig halten.«

»Keine Stars?« fragte Smith unschuldig, dann setzte sie den Treffer. »Wie gedenken Sie dann, Ihre Investoren auszuzahlen?«

Mort schien verblüfft. Hatte er Smith für dumm gehalten? Überraschung, Überraschung.

»Mit der Überzeugungskraft des Buches und der Musik.« Zum erstenmal meldete sich Sunny zu Wort. Sie zog ein paar Papiere aus einer Aktentasche und reichte rasch je einen Satz an Twoey, Smith und Wetzon. »Die oberste Seite ist das Budget. Auf der zweiten Seite finden Sie eine Aufschlüsselung der Gewinnanteilsliste, mit einer geschätzten Gewinnschwelle am Colonial in Boston und hier in New York.«

Mort lächelte Twoey, der das Budget überflog, wohlwollend an. »Ich habe von Leslie gehört, daß Sie allen Ernstes Produzent werden wollen.«

»Mort, alter Kumpel.« Ein großer Mann in einem Zweitausend-Dollar-Anzug, mit dunklem Haar, das gerade den richtigen Anflug von Weiß an den Schläfen aufwies, umklammerte Morts Schulter. Sie gaben sich feierlich die Hand. »Wie geht es? Furchtbar traurig, die Sache mit Dilla. Was für eine Tragödie.«

»Ja, wir werden sie vermissen«, erwiderte Mort mit genau dem richtigen Grad wohlüberlegter Melancholie, »aber sie hätte gewünscht, daß wir weitermachen.«

Klar, dachte Wetzon. Das Leben ging weiter – The Show must go on.

Sie erkannte den Mann im Zweitausend-Dollar-Anzug. Joel Kidde war der exzentrische Leiter der in der Welt führenden Talentagentur. Kidde warf einen Blick auf Smith und stand so lange herum, bis Mort alle miteinander bekannt machte. »Tja…«, sagte Kidde, und sein Blick ruhte auf Smith. »Dann sehen wir uns in Boston, Mort.« Er ging einen Tisch weiter, wo er weitere Bekannte traf.

»Was für ein interessanter Mann«, murmelte Smith.

Was habe ich getan, dachte Wetzon.

Inzwischen hatte Mort seinen Kommentar zum Budget wieder aufgenommen. »Womit wir nicht gerechnet haben, Twoey, ist, daß wir keine Vorbestellungen für die vollen drei Wochen in Boston bekommen würden. In den ersten beiden Wochen stehen wir gut da, was bedeutet, daß wir in der dritten Woche einbrechen könnten, falls die Kritiken langweilig oder gemischt sind.«

»Wieviel, denken Sie, werden Sie brauchen?« fragte Twoey.

»Eine Million würde mit Sicherheit alles abdecken und uns einen Tilgungsfonds geben.«

Twoey studierte die Budgetposten. »Das ist machbar.«

Sunny bemerkte: »Wenn Sie etwas nicht verstehen, fragen Sie bitte.« Ihr schulterlanges Haar war sandfarben mit gebleichten Strähnen. Sie hatte es aus dem ein wenig pferdeartigen Gesicht nach hinten gekämmt und hielt es mit einem schwarzen samtenen Stirnband.

Twoey grinste sie an; sie lächelte zurück. Daß Sunny ihn mochte, war offensichtlich.

Mit halb heruntergelassenen Augenlidern betrachtete Smith Twoey, dann Sunny und wieder Twoey. Gefahr, dachte Wetzon. Gefahr – Gefahr – Gefahr.

»Wir schätzen unsere Gewinnschwelle – das heißt, das wöchentliche Betriebsbudget – auf ungefähr vierhundert-zweiundneunzigtausend. Auf der Grundlage von wöchentlichen Kasseneinnahmen bei der Kapazität eines Broadwaytheaters von sechshundertfünfzigtausend wäre der wöchentliche Betriebsgewinn eins achtundfûnfzig. Bei vollen Häusern wurden wir etwa einunddreißig Wochen brauchen, um die Investition zurückzuzahlen. Und der Abstecher ist eine Sache für sich. Da gibt es betriebsbedingte Kosten, höhere Gagen, Reisespesen und Kosten für das Ein- und Ausladen. Wir rechnen nie damit, daß wir bei Gastspielen Geld verdienen, aber wir wollen auch kein Geld verlieren.«

»Müssen Sie nach Boston gehen?« erkundigte sich Smith. »Warum keine Voraufführungen in New York? Würden Sie da nicht eine Menge Geld sparen?«

Mort schüttelte den Kopf, und sein Lächeln war beinahe gönnerhaft. »Ja, aber ich weiß, daß man in New York an keiner Show feilen kann, wo jeden Abend diese verdammten Besserwisser hereinkommen und einen hinterher kritisieren und sagen, was man falsch macht.«

»Außerdem«, warf Sunny ein, »sind wir dem Colonial verpflichtet. Sie haben in gutem Glauben Karten vorverkauft. Wir müssen fahren.«

»Was ist mit dem Mord?« Twoey schrieb mit einem goldenen Federhalter Notizen zum Budget auf.

»Der sollte uns überhaupt nicht beeinträchtigen«, antwortete Sunny. »Obwohl er vielleicht auf eine perverse Weise den Kartenverkauf steigern wird.«

»Dilla war eine liebe Freundin«, stimmte Mort an, »aber für uns steht hier eine Menge auf dem Spiel.«

»The Show must go on«, murmelte Wetzon.

»Selbstverständlich, Leslie hat völlig recht. Es ist noch nicht lange her, daß sie eine von uns war, und was uns betrifft, ist sie es immer noch.«

»Danke, Mort«, sagte Wetzon. »Das glaube ich auch.« Sie sah zu Smith hinüber, die ganz gegen ihre Art schweigsam war. Smith lächelte von einem Ohr zum andern.

Mort zog seine Brille wieder auf die Nase und streichelte seine Platte. »Hören Sie, wenn Sie interessiert sind, Twoey, bin ich bereit, Sie als Koproduzenten anzunehmen und Ihnen beizubringen, was ich weiß. Sunny ist mein Zahlenknacker, sie kann sich also mit Ihnen zusammensetzen und…«

An dieser Stelle schlug Smith zu. »Die Smith & Wetzon-Pensionskasse«, verkündete sie vergnügt, »wird fünfzigtausend Dollar in Hotshot investieren.«

Mörderisches Musical

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