Читать книгу Mörderisches Musical - Annette Meyers - Страница 13

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Als Wetzon die Tür zu ihrer Wohnung aufschloß und sie aufstieß, hatte sie das eigenartige Gefühl, daß sie die falsche Tür geöffnet hatte. Chez Wetzon war immer noch chez Wetzon, doch die Umgebung hatte sich dank Louie Armstrong, der außergewöhnlichen Bauunternehmerin, von Grund auf verändert.

Louie war es gewesen, die Wetzon überredet hatte, die Wand zwischen Wohn- und Eßzimmer einzureißen, anstatt sie neu zu verputzen. Jetzt reichte die Diele großzügig in das Wohn-Eßzimmer. Der ganze Bereich hatte einen eindeutig loftartigen Charakter. Ausgreifender, offener Raum.

Ihre Barre war mitsamt der Spiegelwand zwischen dem Eßbereich und ihrem Schlafzimmer aufgestellt und Louie hatte zwar einen wunderschönen alten chinesischen Wandschirm für sie gefunden, ganz aus rotem Lack und langbeinigen Kranichen, aber Wetzon benutzte ihn lieber zur Dekoration hinter einem Zweiersofa denn als Raumteiler. Sie wollte sich nicht die große Freude nehmen, die sie jedesmal empfand, wenn ihr klar wurde, daß das ihr Zuhause war.

Sie schaltete alle Tischlampen an, hängte den Mantel an den Türknauf und breitete die untere Hälfte zum Trocknen auf dem Boden aus. Der Regen war in Graupelschauer übergegangen, dann wieder in Regen und weder in Graupelschauer. Es war kühl in der Wohnung, und sie schaltete die Heizung an.

Trotz der anheimelnden Atmosphäre war sie immer noch nervös, während sie durch die Wohnung ging und die Heizkörper in jedem Zimmer aufdrehte. Der Mord an Dilla, dann das Treffen mit Smith forderten ihren Tribut. Ihre Nerven lagen bloß.

Was soll’s, dachte sie. Sie zog sich bis auf Leggings und Hemd aus und schnickte die Stiefeletten weg. Die Barre lockte. Sie legte die Kassette mit den Goldberg-Variationen in den Ghettoblaster. Sie begann mit battements tendus, ging von simples zu grandes jetés, bis sie spürte, daß sich ihr Gleichgewicht wieder einstellte. Es war prima, daß ihr Körper immer noch auf die Bewegungen reagierte.

Sie hob den Pullover und die Stiefel auf, wo sie sie hingeworfen hatte, ging durch den kurzen Gang zum Schlafzimmer und legte alles weg.

Das Schlafzimmer war ebenfalls vollkommen renoviert und neu eingerichtet worden. Es sah aus, als hätte sie es aus einem englischen Landhaus mitgehen lassen. Alton war dabei gewesen, als sie alles gekauft hatte, doch die endgültige Version kannte er nicht. Aus Gründen, die sie nicht in Worte zu fassen vermochte, verbrachte sie die Wochenenden in Altons Wohnung im Beresford in der 81. Street und die Wochentage solo in ihrem ganz privaten Reich.

Seit acht Monaten traf sie sich mit Alton Pinkus, und er schien mit ihrer Beziehung zufrieden, jetzt, wo Silvestri von der Bildfläche verschwunden war. Wenigstens drängte er sie nicht, die Bindung enger zu gestalten.

Alton war zwanzig Jahre älter als Wetzon. Er hatte drei erwachsene Kinder und war seit fünf Jahren Witwer. Zwar war er nicht mehr berufstätig, verfügte aber über eine stattliche Pension und Anlagen, und wegen seiner Sachkenntnis in der amerikanischen Gewerkschaftsbewegung wurde er oft als Berater zugezogen, besonders seit dem Zerfall der Sowjetunion. Sein Ruhm hatte sogar auf sie abgefärbt, und sie stellte fest, daß es ihr gefiel.

Nach einer heißen Dusche und einem kalten Guß wickelte Wetzon den Kopf in ein Handtuch, den Körper in ein großes Badetuch und ging in die Küche, um nach dem Anrufbeantworter zu sehen. Zwei Nachrichten. Sie spielte sie ab. Carlos. Detective Bernstein.

Carlos nahm beim ersten Klingeln ab.

»Sag mal, hast du auf dem Telefon gesessen?«

»In der Nähe, Häschen…«

»Wie geht es dir…« Sie hatten gleichzeitig geredet und brachen beide ab. »Es tut mir leid…«

Carlos sagte: »Um deine Frage zu beantworten, ich weiß es nicht. Ich mußte einfach reden. Ich bin mit Bernstein und seinem Schatten hinaufgegangen, um mit Susan Orkin zu sprechen…«

»Susan Orkin? Was hat sie damit zu tun? Die einzige Susan Orkin, die ich kenne, ist die, die mit unserem schönen, etwas zurückgebliebenen Abgeordneten Greg Orkin verheiratet ist.«

»War.«

»War?«

»Verheiratet war. Weißt du noch, als Greg vor sechs oder sieben Jahren sein Coming-out hatte?«

»Ja.«

»So, und dann kam heraus, daß Susan und Dilla seit der High-School liiert waren.«

»Du machst Witze!«

»Denkst du. Sie haben seit fast sechs Jahren zusammengelebt.«

»Ich weiß nicht, warum mich das überrascht. Ich wußte immer, daß Dilla lesbisch ist – oder wenigstens bi.«

»Laß dir von mir sagen, sie war nichts anderes als lesbisch«, sagte Carlos. »Alles andere war für den Profit. Von Männern ließ sie sich nur vögeln, um voranzukommen.«

Wetzon kicherte. »Ich bin nur froh, daß ich das nicht gesagt habe.«

»Und du sagst, ich bin schlimm.« Doch der Funke fehlte. Carlos hörte sich bedrückt an.

»Wann kommt Arthur zurück?«

»Morgen.«

»Möchtest du, daß ich rüberkomme und dich in die Arme nehme und über Nacht bleibe?«

»Ja, oder besser nein. Susan hat es schwer getroffen. Sie ist ziemlich zart, glaube ich, oder vielleicht sieht sie auch bloß zerbrechlich aus. Sie hat so eine durchscheinende Haut, daß man die blauen Äderchen durchsieht. Ich konnte immer nur denken, wenn Arthur irgend etwas zustoßen würde…«

»Ach, Carlos. Ich komme sofort rüber.«

»Nein! Schlafe lieber. Ich liebe dich. Ich spreche morgen mit dir.« Er legte auf, bevor sie noch ein Wort sagen konnte.

Wetzon starrte auf den Hörer in ihrer Hand, dann legte sie auf. Sie tappte ins Bad und hängte die nassen Tücher auf. Eine tiefe Traurigkeit überkam sie, und sie versuchte nur halbherzig, sie abzuschütteln. Sie massierte Feuchtigkeitscreme ein und kämmte ihr Haar, schaute angestrengt in den Spiegel, während ihre Fingerspitzen die winzige Vertiefung unmittelbar über dem Haaransatz suchten und fanden. Das Haar war um die Ränder nachgewachsen, doch sie würde sich nie mehr kämmen, ohne sich an das sengende Licht, den Knall, den Pulvergeruch zu erinnern. Unwillkürlich schauderte es sie. Sie fror.

Im Schlafzimmer begann sie, Schubladen aufzuziehen, suchte nach einem Nachthemd und stieß auf ein altes T-Shirt, das mit dem V-Ausschnitt – eines von Silvestri, das sie sich angeeignet hatte. Sie zog es an und ging zu Bett. Eine Minute später war sie wieder im Wohnzimmer, um alle Lampen auszuschalten. Sie schloß die Tür doppelt ab und legte sich wieder ins Bett. Auf ihrer Uhr war es halb elf. Sie fühlte sich ausgepumpt. Sie langte nach oben, um das Licht auszuschalten, lag in der sanften Dunkelheit und ließ sich in den Schlaf gleiten.

Das Telefon läutete und riß sie aus dem wunderbaren Gefühl, in ein Federbett zu sinken. Ihre Hand zitterte, als sie zum Telefon griff und den Hörer abnahm. »Hallo?«

»Miss Wesson«, sagte Bernstein beinahe fröhlich. »Hoffe, ich störe nicht.«

»Sie stören nicht.« Sie dachte nicht im Traum daran, ihn merken zu lassen, daß er sie gerade beim Einschlafen erwischt hatte. »Was wünschen Sie?«

»Halten Sie nichts davon, Anrufe zu beantworten?«

»Legen Sie sich nicht mit mir an, Bernstein.«

»Das gefällt mir so an Ihnen, meine Dame. Sie kommen immer gleich zum Kern.«

»Was ist der Kern, Detective?« Sie haßte dieses Katz-und-Maus-Spiel, das er anzettelte.

»Wir fanden Dilla Crosbys Regenmantel und Schirm auf einem Tisch an der Seite der Bühne, wo Sie und Carlos Prince standen.«

»Wir haben in der Kulisse gestanden, Detective, rechte Bühnenseite.«

»Genau. Aber wir wissen, daß sie immer eine große Handtasche dabei hatte, und die haben wir nicht gefunden. Haben Sie sie zufällig gesehen?«

Wetzon schloß die Augen und sah den Bereich vor sich, wo sie und Carlos gestanden und sich unterhalten hatten.

»Hallo? Sind Sie noch da?«

»Sekunde. Detective, ich versuche mich zu erinnern. Auf dem Inspiziententisch habe ich einen Regenmantel gesehen – einen Burberry, glaube ich – und einen Schirm – er war naß – und… « Sie öffnete die Augen und starrte in die Dunkelheit.

»Und was, Ms. Wesson?«

»Eine große schwarze Ledertasche.«

Mörderisches Musical

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