Читать книгу Mörderisches Musical - Annette Meyers - Страница 20

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Weder Carlos noch Silvestri bemerkten sie; sie steckten die Köpfe zusammen, Silvestri redete eindringlich. Carlos hörte zu, nickte. Wie zwei Verschwörer. Was für eine komische Wendung. Sie starrte zur Decke hinauf, die sich hoch über der heruntergekommenen, schmuddeligen Einrichtung wölbte. Alles war in phantasielosen dunklen Braun- und Beigetönen dekoriert.

Showplakate waren ohne System über die freien Wände verteilt. Sam Meidner saß vor einer Suppenschüssel allein an der Theke und löste nebenbei das Kreuzworträtsel im Londoner Observer. Der Hotshot-Komponist entdeckte sie und spitzte die Lippen zu einem Kuß. Würde sie auf seine Annäherungsversuche jemals eingehen, bekäme er sicher Angst vor seiner eigenen Courage.

Als Wetzon näherkam, sah sie, daß der Tisch ein Morast aus verschüttetem Kaffee und aufgeweichten, weggeworfenen Süßstofftütchen war, in dessen Mitte zwei dreckige Becher standen. Silvestri trug ein neues Tweedjackett über einem dunkelblauen Rollkragenpullover, Carlos war von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet. Die zwei waren so in ihr Gespräch vertieft, daß sie sie erst bemerkten, als sie direkt vor ihnen stand.

»Du meine Güte, ihr habt ja eine schöne Schweinerei gemacht.«

»Häschen! « Carlos sprang auf. Sein schlechtes Gewissen war offensichtlich, als er sie überschwenglich umarmte, von sich hielt, um etwas in ihrem Gesicht zu suchen, dann wieder an sich drückte.

Ärgerlich machte sie sich von Carlos los. »Du hast es ihm gesagt«, beschuldigte sie Silvestri.

Silvestri hatte seinen Stuhl zurückgeschoben und war aufgestanden, so daß sie zu ihm aufschauen mußte. Die verschiedensten Emotionen schwirrten in ihr. Sie fühlte sich, als hätte sie vergessen, die Weißwäsche vom Bunten zu trennen. »Das ist nicht fair von euch. Dazu habt ihr kein Recht.« Sie war den Tränen so nah, daß sie selbst erschrak.

»Les«, begannt Silvestri, vermutlich liebenswürdiger, als sie verdiente, »wir haben nicht von dir gesprochen.« Er schob seine Hände in die Taschen und setzte sich.

»Das stimmt.« Carlos’ dunkle Augen funkelten schon wieder ein wenig. Er zog einen Stuhl von einem freien Tisch bei. »Setz dich, Herzblatt, und erzähle Carlos genau das, was er nicht wissen soll.«

Er hörte sich so aufrichtig an, daß Wetzon sich wie ein ungezogenes Kind fühlte und nachgab. Sie kaute auf den Lippen, spürte, daß sie schon aufgesprungen waren. In ihrer Handtasche kramte sie nach Lippenbalsam, geriet dabei in zunehmende Nervosität, die sie nicht kontrollieren konnte. Als sie die Tube fand und aufsah, ertappte sie Silvestri und Carlos, wie sie sich durch Blicke verständigten. »Hab’ ich dich«, sagte sie. Sie redeten nicht über sie? Klar. Sie konnte auf sich selbst aufpassen.

»Wir haben von Dilla gesprochen, Häschen.« Carlos warf einen Blick auf die Uhr. Hinter seinem Stuhl standen ein weicher Bordcase aus Leder und eine dazu passende große Umhängetasche.

»Was meint der Leichenbeschauer?« Sie bemerkte Silvestris Ärger an der steifen Haltung seiner Schultern. »Ich stecke mit drin, Silvestri, bis zu den Ohren. Du kannst mich nicht heraushalten. Ich kenne alle Akteure besser als du. Außerdem war ich dabei, als Dillas Leiche gefunden wurde.«

»Was soll das nutzen, verdammt noch mal, wenn du das weißt? Du bekommst nur noch mehr Streß zu den Problemen, die du ohnehin schon hast.«

»Ich habe keine Probleme«, erwiderte sie arrogant. »Und vielleicht könnte ich helfen.«

»Ach ja? Und wann hast du deine Dienstmarke bekommen?«

»Bitte, Kinder, spielt schön miteinander. Papi verreist für ein Weilchen – er muß für seinen Lebensunterhalt tanzen –, und er möchte gern sicher sein, daß seine Kleinen sich nicht gegenseitig umbringen, solange er fort ist.«

Silvestri gab zuerst nach, und Wetzon empfand das prickelnde Gefühl des Sieges. »Das Opfer war mit Erbrochenem bedeckt.«

»Phil Terrace mußte sich übergeben, als er sie sah. Ich habe ihn gehört.«

»Ja, soweit also haben wir einen Mord durch mehrfache Hiebe mit einem stumpfen, zylindrischen Gegenstand.«

»Dann wurde sie mit einem Stock oder Rohr erschlagen?«

»Möglich.«

»Manchmal«, grübelte Wetzon laut, »hatte der Kassenleiter einen Polizeiknüppel im Kassenraum.«

»Mein Häschen ist so clever!«

Wetzon sah Carlos verächtlich an. Er benahm sich insgesamt zu schmeichelhaft, als wollte er ihr den Rücken stärken. Sie warf ihm einen, wie sie hoffte, vernichtenden Blick zu, doch er kniff nur spöttisch ein Auge zu.

»Okay.« Silvestri kritzelte etwas in sein Notizbuch.

»Du hast gesagt, Schläge?« fragte Carlos nachdenklich.

»Ihr Schädel wurde eingeschlagen und sie für tot liegengelassen.«

»Ein Verbrechen aus Leidenschaft?« Wetzon winkte der Kellnerin, einer großen, korpulenten Frau in engen Hosen und Cowboystiefeln. Um den Hals hatte sie lose einen knallroten Schal gebunden. Wetzon verspürte plötzlich einen Bärenhunger. »Kann ich einen Schoko-Milkshake haben?«

»Sie kannte ihren Mörder«, fuhr Silvestri fort.

»Jeder, der Dillas Bekanntschaft gemacht hat, wollte sie irgendwann umbringen. Sogar Susan«, sagte Carlos.

»Du meinst Susan Orkin?« Silvestri hielt den Kuli in Bereitschaft.

»Susan? Wirklich?« fragte Wetzon. Auf dem College war Susan immer ein freundlicher Mensch gewesen, immer auf der Suche nach einer vierten fürs Bridge. Genaugenommen war Susan eine aggressive Spielerin gewesen, mit dem starken Drang zu gewinnen. Aber schließlich, dachte Wetzon, verhalten sich alle so beim Bridge.

»Ich will nicht aus der Schule plaudern, aber Dilla war ein ziemliches Luder. Sie hat es überall probiert, und die sexuelle Ausrichtung spielte kaum eine Rolle.« Carlos blickte in seinen fast leeren Becher. »Dilla zu kennen bedeutete, sie zu hassen. Sie wollte mich aus der Show werfen.« Er legte die flache Hand auf die Brust und stammelte: »Also habe sogar ich ein Motiv.«

»Und Sam Meidner?« Silvestri stand auf und holte die Kaffeekanne von der Theke an den Tisch. Er füllte die Becher nach und brachte die Kanne zurück.

Er sah sehr sportlich aus, dachte Wetzon, und dann ertappte er sie bei dem Blick und las ihre Gedanken. Sie nahm ihm sein Grinsen übel. »Sam sitzt drüben an der Theke«, sagte sie. »Also bitte unauffällig.«

»Er fahrt mit uns«, sagte Carlos.

»Weiter«, half Silvestri nach.

»Er ist ein bißchen masochistisch«, erklärte Carlos.

»Sind wir das nicht alle?« Es trat eine Pause ein, während der Wetzon Carlos prüfend betrachtete, doch er wich einem Blickkontakt aus.

»Ist das so ungewöhnlich?« hakte Silvestri nach.

»Nur wenn man sich von sexy Mädchen gern fesseln und schlagen läßt.«

»Dann sind diese Geschichten über ihn also alle wahr?« Wetzon war nicht überrascht. Die Geschichten über Sam gingen seit Jahren herum.

»Außerdem hat Sam klebrige Finger.«

»Er ist Kleptomane?« Silvestri rieb sich die Nase, als versuchte er, sich an etwas zu erinnern. »Sagen wir einfach, Sam wird von glänzenden, kostbaren Gegenständen angezogen. Ich wette, er hat ein meilenlanges Strafregister«, sagte Carlos.

»Okay.« Silvestri machte sich eine weitere Notiz. »Ich möchte mit euch beiden ein paar Leute durchgehen.«

»Carlos, Baby!« Carlos sprang auf und verschwand praktisch in Daisy Roberas voluminösem rotem Samtschal, als sie ihn an sich drückte. »Wann fährst du?« Daisy trug eine Tänzerinnentracht aus Leggings und Legwarmers unter einem kurzen Faltenrock. Die alternde Tänzerin hatte im letzten Jahr die Desiree Armfeldt in einer Wiederaufnahme von A Little Night Music an der City Opera gespielt. »Jeden Moment. Das ist Silvestri und…«

»Leslie! Bist du’s wirklich! Ich bin in Eile, aber ruf doch an, dann verabreden wir uns zum Essen. Ich kann dich aufs laufende bringen, wie ich sämtliche alten Rollen von Angie Lansbury bekomme.«

Wetzon lachte. »Ich rufe bestimmt an.«

»Hals- und Beinbruch, schöner Knabe«, sagte Daisy zu Carlos, und weg war sie, in einem heftigen Wirbel aufregend blonden Haares, vorbei an der Kellnerin, die Wetzons Milkshake brachte.

Die Schokolade stimmte sie mit dem ersten Zug aus dem Strohhalm heiter. Besser als jeden Tag Valium. Sie seufzte zufrieden und hob den Kopf. Carlos und Silvestri beobachteten sie wie zwei alte Glucken. »Ihr zwei…« setzte sie an, dann fiel ihr ein, daß sie heiter war. »…okay, Silvestri, dann frag schon.« Sie knöpfte ihren Mantel auf.

»Aline Rose.« Er blätterte zu einer leeren Seite um.

»Hatten sie und Dilla nicht mal was miteinander?« Wetzon sah Carlos an.

»Aline war mit einem millionenschweren Kleiderfabrikanten verheiratet. Sie gab ihm den Laufpaß und zog zu Dilla, der Mann ließ sich scheiden und bekam das Sorgerecht für die Kinder – ich glaube, es waren drei oder vier. Aline hat nichts bekommen, nicht einmal das, was sie in ihrem Kleiderschrank gelassen hatte. Das war vor ihrer ersten Show. Dilla hat sie dann wegen eines wichtigen Agenten fallengelassen, jemand, der aus ihr einen Filmstar machen wollte.«

»Klar, jetzt erinnere ich mich. Das war Dillas großer Traum. Sie hätte gemordet, um Filmstar zu werden.« Wetzon hielt sich die Hand vor den Mund. »Tut mir leid.« Sie hatte den Shake erst halb getrunken, fühlte sich aber satt und ein wenig aufgekratzt. Sie schob das Glas beiseite. »Aber ich weiß nichts von einem Verhältnis mit einem Agenten.«

»Du warst damals dabei, dich von uns zu verabschieden, Häschen.«

»Sie hat es wohl beim Film nicht geschafft?« Silvestri warf einen Blick auf den Shake. »Fertig?«

»Ja.«

Er ließ den Strohhalm auf den Tisch fallen und trank mit einem einzigen großen Schluck aus, was noch im Glas war.

»Die Kamera mochte sie nicht«, erklärte Carlos. »Und aus gutem Grund. Der Agent kümmerte sich um anderes. Dilla kam zum Broadway zurück und tat sich mit Mort zusammen, und der Rest ist Geschichte.«

»Wer war der Agent?« überlegte Wetzon laut.

»Der Sultan von BAM.«

»Was bedeutet BAM?« fragte Silvestri.

»Best Artists Management, die große Künstleragentur«, antworteten Carlos und Wetzon einstimmig.

Dann sagte Wetzon: »Moment mal, Carlos, du meinst doch nicht… «

»Richtig, Schatz. Der Strahlemann persönlich. Joel Kidde.«

Mörderisches Musical

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