Читать книгу Mörderisches Musical - Annette Meyers - Страница 14
Оглавление»Dann wissen Sie vielleicht, wo sie geblieben ist« meinte Bernstein liebenswürdig.
»Wie sollte ich? Detective Gross kam mich holen, und ich habe die Tasche danach nicht mehr gesehen. Wissen Sie genau, daß sie nicht einfach in Verwahrung genommen wurde?«
»Kaum. Sind Sie sicher, daß Sie sie gesehen haben?«
»Ja.« Es kam sehr bestimmt. »Ich bin sicher, daß auch Carlos sie gesehen hat. Wir haben beide direkt daneben gestanden.«
»Er hat sie nicht gesehen.«
»Was?«
»Ich habe gerade mit ihm gesprochen, und er sagt, er hat sie nicht gesehen.«
»Er muß… « Halte den Mund, Wetzon. »Ich kann mich ja auch geirrt haben. Wir waren beide ziemlich durcheinander.«
»Ich habe etwas anderes gehört.«
»Wie bitte?«
»Detective Gross berichtet, daß Sie sich halb totgelacht haben.«
»Wir standen unter starkem Streß.« Wetzon überlegte genau, was sie sagte. »Detective Gross hat es falsch verstanden. «
»Wirklich? Dann wünsche ich Ihnen eine gute Nacht, Ms. Wesson.« Er betonte das Ms.
Nach dem Gespräch mit Bernstein lag Wetzon lange still und ließ den Strom der Erinnerung vorbeiziehen. Dillas Tasche hatte auf dem Tisch gelegen, als Detective Gross sie abgeholt hatte. Das wußte sie genau. Und auf der Bühne und in den Kulissen waren nicht viele Leute gewesen. Mort Hornberg, Gerry Schoenfeld. Die Frau bei Mort, die sie nicht kannte. Vermutlich Aline Rose und der wohlgestaltete Edward. Sam Meidner. JoJo Diamond. Walt Greenow mußte sich irgendwo in den Seitenkulissen oder hinten aufgehalten haben, obwohl Wetzon ihn nicht gesehen hatte. Phil möglicherweise. Und Carlos.
Sie machte Licht und rief Carlos an. Sein Anrufbeantworter verkündete: »Welch glücklicher Zufall. Sie haben die Residenz von Prince Margolies erreicht. Keiner der Hoheiten kann im Moment ans Telefon kommen, doch wir möchten gern mit Ihnen sprechen. Hinterlassen Sie bitte eine Nachricht.« Piep.
»Carlos? Hallo? Ich bin’s. Carlos? Nimm ab. Carlos?« Er nahm nicht ab. Seltsam. Mit einem unguten Gefühl legte sie auf. War bei Carlos irgend etwas nicht in Ordnung? Er war entschieden dagegen gewesen, daß sie zu ihm kam. Mein Gott. Ihre blühende Phantasie führte sie auf ungewisse Pfade. Sie warf einen Blick auf den digitalen Radiowecker. Elf. Sie tastete nach der Fernbedienung, schaltete den Fernseher ein und hörte die Lokalnachrichten von CBS.
»… einen brutalen Mord in einem Broadway-Theater. Klingt wie Stoff für ein Stück, doch die Wirklichkeit schlug mit der Wucht eines Vorschlaghammers ein, als die Koordinatorin der Produktion – Koproduzentin – Dilla Crosby auf dem Rang des Imperial Theatre erschlagen wurde. Keine Verdächtigen, räumt die Polizei ein, doch viele Hinweise.« Sie blendeten ein Foto von Dilla aus dem Artikel in Mirabella ein, auf dem sie ausgelassen wirkte, in glänzenden silbernen Leggings und einer langen maßgeschneiderten Jacke, ein Bein und einen Arm von einer Leiter wegstreckend. »Die Polizei bittet alle, die sachdienliche Hinweise auf die Umstände von Dilla Crosbys Tod geben können, sich unter der Rufnummer null-vier-sieben-sechs-sieben-null-null zu melden. Alle Anrufe werden vertraulich behandelt.«
Genug! Schluß mit dem Fernseher. Licht aus. Sie kam um vor Hitze. Sie stand auf und öffnete das Fenster weiter, drehte die Heizung ab, dann kroch sie völlig fertig wieder ins Bett.
Der Traum kam wieder, wie so oft, und sie wehrte sich dagegen. In den Strudel des Schreckens gesogen, sah sie den Blitz der Flamme, roch das Pulver, spürte den Stich. Dann etwas Neues: ein heftiger Schmerz. Der Schmerz stach sie wach, und sie lag um Atem ringend in der Dunkelheit. Ein Herzanfall. Nein. Sie war zu jung. Ihr Herz war in Ordnung. Es war ein verdorbener Magen.
Scharfe Graupelnadeln attackierten ihre Fenster, klirrten auf dem Kasten der Klimaanlage. Ihr Herz jagte. Sie setzte sich auf und war im Nu schweißnaß. Sie konnte nicht atmen. Sie schwang die Füße auf den Boden und stand auf, voller Angst, aber ihre Beine gaben nach. Sie sackte auf den Boden. Dieser Schmerz. Ruf die 911. Nein, das konnte sie nicht. Sie würde vor Verlegenheit sterben. Es war einfach ein verdorbener Magen, ein dummes Virus. Sie kam auf die Knie hoch, dann auf die Füße und taumelte, an die Wand gestützt, ins Bad, wo sie das kalte Wasser aufdrehte und die Handgelenke unter den Hahn hielt. Dann spritzte sie sich kaltes Wasser ins Gesicht.
Der Schmerz verlagerte sich und legte sich bedrückend auf den Magen. Sie krümmte sich vor Qual. Es mochte eine Verdauungsstörung sein, doch sie starb daran. Wer würde es überhaupt erfahren, wenn sie hier sterben würde? Alton hielt sich in Südamerika auf. Sie würde morgen nicht zur Arbeit erscheinen, und vielleicht würde Smith Nachforschungen anstellen, wenn nicht etwas Wichtigeres anlag. Wenn sie nicht solche Angst hätte, könnte sie darüber lachen. Noch ein stechender Schmerz und noch einer. Sie umklammerte die Kante des Waschbeckens. Sie würde es nicht durchstehen.
Als sie wieder Luft bekam, dachte sie: Es ist eine Eierstockzyste. Vor Jahren hatte sie schon einmal eine gehabt. Dr. Hirschs Nummer. Schweiß rann ihr über die Stirn, über den Nacken. Fieber. Sie glühte vor Fieber. Ihr Adreßbuch steckte in der Handtasche. Mit zitternden Händen fand sie die Nummer und kroch in die Küche, griff nach dem Telefon und zog es zu sich auf den Boden.
Es läutete. Schrillte in ihrer Hand. Viermal. Sie riß den Hörer an sich. Keuchte heiser hinein. Sie hätte die eigene Stimme nicht erkannt.
Es trat eine Pause ein, als würde die Person am anderen Ende überlegen, ob sie die richtige Nummer hatte, dann: »Les? Was ist los?«
»Hilfe…« war alles, was sie herausbrachte, während der Schmerz über ihr zusammenschlug. Der Hörer rutschte ihr aus der Hand und sprang einmal vom Boden ab, bevor er liegenblieb. Ihr Zeitgefühl war aufgehoben. Ein Geräusch an der Versorgungstür riß sie in die Wirklichkeit zurück, ließ sie vor Schreck fast ohnmächtig werden. Sie kroch schwer atmend ins Wohnzimmer, bevor ihr klar wurde, daß es nur die nächtliche Müllabfuhr war.
Durchgefroren fand sie unter dem Eßtisch Zuflucht, den Kopf auf den Knien, die Knie mit beiden Armen fest umschlungen. Ihre Zähne klapperten in ihrem eigenen Takt. Langsam fühlte sie sich vergehen…
»Les?« Sie hörte seine Stimme. Das Licht ging an. »Wo steckst du? Les?« Sie versuchte, ihn zu rufen, brachte jedoch keinen Ton heraus. Er ging in die Küche; sie hörte ihn den Telefonhörer auflegen, den sie liegengelassen hatte. »Les?«
Angst. Sie hörte es aus seiner Stimme. Seine Schritte kamen über den Flur zum Schlafzimmer, wieder zurück in den Flur. Sie wollte rufen: »Hier bin ich!«
»Les.« Seine Stimme wurde weich. »Les. Was machst du da?« Er ging auf die Knie und zog sie aus ihrem Versteck.
Ich muß entsetzlich aussehen, dachte sie.
»Aber, aber, komm her, ist ja gut. Es kommt alles in Ordnung.« Zärtlich löste er ihre Hände von den Knien und betrachtete sie prüfend. »Bist du verletzt? Wo? Zeig es mir.«
Er hob sie hoch, trug sie, und sie spürte die Schulterhalfter durch seine Freizeitjacke an ihrer Brust. Er brachte sie zu Bett und deckte sie mit der Steppdecke und der Wolldecke in Rot, Weiß und Blau zu, die sie und Carlos anläßlich der Zweihundertjahrfeier der Vereinigten Staaten gehäkelt hatten, als sie zusammen in Bob Fosses Chicago auftraten. Das Zittern wollte nicht aufhören.
»Kalt«, stöhnte sie. »Schmerzen. Was ist los mit mir?«
Er strich über ihr Haar und beugte sich über sie. Seine Augen waren tief türkis, und sie versuchte, ihm für sein Kommen zu danken, brachte jedoch kein Wort heraus.
»Les, hör zu. Verstehst du mich?«
»J-j-ja. So…kalt.« Sie schloß die Augen und überließ sich dem Zittern. Er ging im Schlafzimmer herum. Dann war er neben ihr am Bett, drückte sie an sich.
»Les.« Sein warmer Atem ließ ihre Haut prickeln. Er strahlte Wärme aus. »Ganz langsam atmen.« Er hielt sie fest. »Ich bin da. Hab keine Angst.«
Sie fröstelte, dann lehnte sie den Kopf an seine Brust. Das Zittern ließ nach, das Herz beruhigte sich. Seine Wärme ging auf sie über. Das beklemmende Gefühl in der Brust löste sich. »O Silvestri«, murmelte sie. Sie schlang die Arme um ihn und hielt sich fest, als hinge ihr Leben an ihm.