Читать книгу Mörderisches Musical - Annette Meyers - Страница 22

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Das Taxi, aus gerade gestiegen war, wurde von dem Portier von Susan Orkins Haus für ein älteres Paar in Abendkleidung mit Beschlag belegt. Die Frau trug ein Nerzcape lose um die mageren, knochigen Schultern. Ihr Gesicht zeigte den erstarrten Ausdruck von einem Lifting zuviel. Ihr Gefährte war einer jener auf androgyne Weise schönen weiß-haarigen Männer mit auffälliger Sonnenbräune und elegantem Goldschmuck, die häufig reiche Witwen und geschiedene Frauen in der Stadt begleiteten. Es war so typisch für die East Side, daß Wetzon lachen mußte. Ihre Upper West Side mit der Mischung aus Schauspielern, Tänzern, Musikern, Schriftstellern und Zabar’s-süchtigen Yuppies war mehr nach ihrem Geschmack.

Sie blieb einen Augenblick stehen, um dem Wind zu lauschen, der die Markise über ihr knattern ließ, dann stieß sie fest gegen die schwere Eingangstür und durchquerte eine Vorhalle, die größer war als das Büro, das sie mit Smith teilte. Zwei Stufen tiefer schloß sich eine weitere Halle von der Größe ihrer ganzen Wohnung an. Die Einrichtung bestand aus schokoladenbraunen Ledersofas und soliden Stilmöbeln aus Nußbaum. Wächserne Blattpflanzen füllten breite, mit Steinchen gefüllte Messingkübel. Wandhohe Fenster gegenüber blickten auf einen winterlich kahlen Garten mit braunen gestutzten Hecken und Pfaden.

Ein zweiter alter Portier, das Gesicht ein Netz aus geplatzten Äderchen, stand an einem Telefonschaltbrett. Er wartete, mit blassen braunen Augen blinzelnd, bis sie ihn ansprach.

»Mrs. Orkin«, sagte sie.

»Ihr Name, Miss?« Sein irischer Tonfall klang ausgesprochen vornehm.

»Ms. Wetzon.«

Er stöpselte ein Kabel in die interne Sprechanlage und meldete sie an, wobei er ihren Namen tatsächlich richtig aussprach, ihm aber eine romantische Melodie gab. »Ms. Wetzon möchte zu Ihnen, Mrs. Orkin.« Er trennte die Leitung und nickte Wetzon zu. »Fahren Sie gleich nach oben. Achtzehn C. Der Aufzug ist dort rechts.«

Dieses Gebäude an der Fifth Avenue nahm das ganze Quadrat ein, mit einer Front zur Madison und einer zur Fifth. Es war berühmt für Größe und Zuschnitt der Wohnungen. Ohne Beziehungen konnte man sich nicht einkaufen, und der Verwaltungsrat war bekannt für seine strenge Auswahl. Wetzon hatte gehört, daß die Preise hier nicht einmal im Gefolge der Rezession, die den enormen Immobilienpreisen in New York gehörig geschadet hatte, zurückgegangen waren. Die Leute warteten geduldig jahrelang, daß Wohnungen in diesem Gebäude auf den Markt kamen.

Der Aufzug war holzgetäfelt, die Messingteile auf Hochglanz poliert. Der junge Aufzugführer musterte Wetzon neugierig, als sie den achtzehnten Stock nannte. Wessen Wohnung war es gewesen? fragte sie sich. Dillas oder Susans? Der konservative Verwaltungsrat dieses Gebäudes würde ein lesbisches Paar nicht gerade wohlwollend betrachten, das stand fest. Man weigerte sich konsequent, Unterhaltungskünstler und sogar klassische Musiker aufzunehmen.

Auf dem achtzehnten Stock gab es nur zwei Wohnungen, C und D. Der kleine Flur war mit rostfarbenen Keramikfliesen und maulwurfsgrauen Tapeten mit rostfarbenen Blümchen verschönt. Vier alte Blumendrucke in schlichten schwarzen Rahmen hingen in einer Reihe an der Wand gegenüber dem Aufzug. An jeder Tür klebte ein fotokopierter Brief an alle Mieter, der darüber informierte, daß die Verhandlungen mit der Gewerkschaft des Hausverwaltungspersonals abgebrochen worden waren und daß gestreikt wurde. Sie hatte an diesem Morgen eine ähnliche Bekanntmachung im Aufzug ihres eigenen Gebäudes gesehen.

Wetzon klingelte an der C und hörte statt der leisen Glöckchen, mit denen sie fest gerechnet hatte, eine schnarrende Klingel und unmittelbar darauf Gekläffe wie von einem kleinen Hund.

Wetzon hätte die Frau, die die Tür öffnete, niemals als die Susan Cohen vom College erkannt. Das Haar dieser Frau war zuckerwatteweiß, ohne jede Farbe, an der Seite gescheitelt und um das kleine Gesicht aufgeplustert, wodurch dieses noch kleiner wurde. Durch soviel Haar wirkte Susans Kopf zu groß für ihren Körper, der noch genauso winzig war wie vor fast zwanzig Jahren. Susan war genaugenommen eine Miniaturfrau, kleiner als Wetzon, mit hübschen Rundungen, ohne dick zu sein.

Sie starrten sich einen kurzen Moment lang an, dann gaben sie sich die Hand, und Susan zog Wetzon in die Wohnung und schloß die Tür. Das Gekläffe nahm an Lautstärke zu. Susan achtete nicht darauf.

»Ich hätte dich nie erkannt«, sagte Wetzon. »Dein Haar…es ist so schön.« So viele Dinge an Susan waren anders, aber das Haar zu erwähnen war vermutlich am ungefährlichsten.

Susans Lächeln war makellos. Auf dem College hatte sie einen abgebrochenen Schneidezahn gehabt. »Neue Nase, Silikonkinn, Kollagenbacken und -lippen. Ich war so häßlich auf dem College.«

»Nein, das stimmt nicht«, widersprach Wetzon und meinte es ernst.

Susan führte Wetzon durch einen Flur voller Antiquitäten in die Küche. Das Hundegebell wurde wütend. »Hoffentlich macht es dir nichts aus. Hier können wir leichter reden. Dillas Mutter, Schwester und Schwager sind hinten.«

Die Küche war riesig: eine Arbeitsinsel in der Mitte und rechts ein alter Kirschbaumtisch, französische Bauernstühle mit hübschen, bunt gemusterten Kissen. Sechseckige braune, unglasierte Kacheln bedeckten den Boden, und an den Wänden hingen gerahmte Poster von Dillas Shows. Wetzon zog einen Stuhl vor und setzte sich, während sie Mantel, Aktentasche und Handtasche auf einen anderen Stuhl legte. Sie sah zu, wie Susan einen Kupferkessel mit Wasser füllte und den Brenner an dem massiven Garlandherd so weit aufdrehte, daß die Flamme an die Kante des Kessels züngelte und an der Seite hochkroch. Der Raum war kalt; sie konnte den Wind gegen die vorhanglosen Fenster peitschen und an der Lieferantentür rütteln hören.

»Was für eine herrliche Wohnung.«

»Ja, nicht wahr? Wir hatten Glück, daß wir in das Haus gekommen sind.«

»Ich dachte, ohne Beziehungen wäre nichts zu machen.«

»Das hat Dilla nicht abgeschreckt.« Susan lächelte. »In Wirklichkeit war es Fran Burke, der die Beziehungen hatte. Er hat Freunde im Haus. Du kennst doch Fran?«

»Ja. Er hat ein paar Tourneen von meinen Shows organisiert.«

»Tee? Oder etwas Stärkeres?« Susan hatte dunkle Ringe um die Augen, und von den Augenwinkeln gingen spinnwebartige Linien aus. Sie trug kaum oder gar kein Make-up, nicht einmal Lippenstift. »Möchtest du deinen Mantel aufhängen?« Sie wies mit dem Kopf auf den Ständer mit einfachen Holzzapfen, an dem schon mehrere Mäntel, dicke Schals und zwei schwarze Filzborsalinos hingen.

»Gern einen Tee. Mit Zitrone bitte.« Wetzon nahm den Mantel vom Stuhl und hängte ihn an den einzigen freien Zapfen. Der Kessel begann zu pfeifen.

Vom Hund kam ein dumpfes Heulen, und irgendwo in der Wohnung wurden streitende Stimmen laut. Eine Tür ging auf, und eine Frau schrie vor Enttäuschung. Ein harter Schlag folgte. Dann das Geräusch von Getrippel, Nägel auf nackten Holzböden, und eine Kugel aus weißem Flaum von genau derselben Farbe wie Susans Haar flitzte in die Küche und warf sich in Susans ausgestreckten Arm. Susan lachte. Sie begrub ihr Gesicht im Fell des Zwerghundes und ließ sich von ihm ablecken. Dann stellte sie Wetzon den Malteser vor: »Das ist Izz. Izz, benimm dich.«

»Izz?« Die Hündin bewegte die Ohren hin und her und blickte Wetzon mit tiefschwarzen glänzenden Knopfaugen an. Sie trug ein rotes Halsband und, an einem Messingring baumelnd, die Hundemarke. »Was für ein hübsches Halsband.«

»Kurz für Isabella. Das Halsband hat ein Täschchen für meinen Schlüssel. Ist das nicht raffiniert? Man sieht es nicht einmal. Und es ist auch sehr nützlich, weil ich ständig meinen Schlüssel verliere.« Susan setzte das Tier auf den Boden und goß ein wenig heißes Wasser in eine Porzellankanne, schwenkte sie und goß das Wasser aus. Dann füllte sie ein Tee-Ei mit Teeblättern und ließ es in den Topf fallen, goß kochendes Wasser darauf und setzte den Deckel auf die Kanne, um den Tee ziehen zu lassen. Izz tanzte auf den Kacheln, rutschte und purzelte, bettelte, wieder hochgehoben zu werden. »Sie vermißt Dilla. Sie schleicht ständig durch die Wohnung und sucht nach ihr oder rennt an die Tür. Mein Gott… Sie bringen sie heute nach Pennsylvania, zum Familiengrab.« Susan holte Teegebäck aus einer Blechdose und legte es auf einen Teller, den sie vor Wetzon auf den Tisch stellte.

»Stammt Dilla von dort?« Izz sprang auf Wetzons Schoß und beschnupperte den Gebäckteller mit ihrer kohlschwarzen Schnauze. Wetzon streichelte das zappelige Tier und bekam in schneller Folge die Nase und das Kinn gewaschen.

»Ja. King of Prussia, Pennsylvania.« Susan holte eine Zitrone aus dem Kühlschrank und schnitt eine Hälfte in Scheiben, legte die Scheiben auf einen anderen Teller und stellte den Rest wieder in den Kühlschrank. »Wir haben uns in einem Ferienlager kennengelernt…als Kinder.«

Wieder laute Stimmen. Die Hündin knurrte, sprang von Wetzons Schoß und lief zur Tür, bellte wütend, kam zurück und sprang an Susans Beine. Susan hob sie hoch. »Wenn sie nur schon draußen wären.«

»Was geht dort vor?«

»Sie streiten sich darum, was sie mitnehmen sollen. Die Schwester will alle Kleider, und dasselbe will die Mutter. Ich habe ihnen gesagt, nur zu, nehmt sie. Dilla hatte soviel Zeug – ständig bekam sie von Modeschöpfern Modelle geschickt. Und ich…«, sie sah an sich hinab, »trage nichts als Jeans.« Immer noch mit dem Hund im Arm, verteilte sie Zitronenscheiben und Tassen.

»Planst du hier einen Gedenkgottesdienst?«

»Sicher. Mort kümmert sich um alles. Er wird nach der Premiere von Hotshot stattfinden.« Sie goß Tee in die Tassen, dann setzte sie sich mit Izz auf dem Schoß hin.

»Dilla und Mort haben sich vermutlich sehr nahe gestanden.«

»Manchmal zu nahe.« Kaum merklicher Zorn klang aus Susans Stimme, dann war er wieder weg. Izz sprang von ihrem Schoß und lief aus der Küche.

»So? Es liegt so viele Jahre für mich…«

»Leslie, ich bin davon überzeugt, daß du Mort kennst – wie er die Leute benutzt, alles Gute aus ihnen heraussaugt und dann den Ruhm für sich beansprucht.«

»Er wird sich nicht sehr geändert haben.«

»Er ist eher schlimmer geworden. Und er ist ein solcher Tyrann. Die Wutanfalle sind schlimmer –alles–, oh, verdammt.« Tränen liefen über Susans Wangen, und sie wischte sie ungeduldig mit den Fingerspitzen weg. »Er hat Dilla verrückt gemacht. Anrufe zu jeder Tages- und Nachtzeit. Er ließ uns einfach nicht in Ruhe. Ich habe ständig auf sie eingeredet, sich zu wehren, und sie fing gerade an…«

»Komisch, ich dachte immer, Dilla wäre diejenige, die sich durchsetzt, die Mort um den kleinen Finger wickeln könnte.«

»Ach, Leslie, wie wenig du weißt. Die Leute haben sie verkannt. Sie war nicht so stark. Und sie traf gefühlsmäßige Entscheidungen, die sie oft in Schwierigkeiten brachten.« Sie rührte Zucker in ihren Tee. »Dilla und Mort hatten eine tolle Auseinandersetzung Freitag nacht im Theater.« In ihrer Stimme klang Genugtuung.

»Woher weißt du das?«

Susan starrte sie an. »Dilla hat mich angerufen. Sie hatte Angst. Ich konnte es an der Stimme hören. Sie war schon die ganze Woche nicht sie selbst gewesen, irgendwie reizbar und nervös. Ich dachte, es wäre wegen der Finanzierungslücke bei der Show. Ich wollte mich in ein Taxi setzen und sofort hinfahren, aber sie sagte nein. Sie würde es ein für allemal klären und käme später nach Hause. Aber sie ist nicht gekommen.«

»Um Gottes willen, Susan, hast du dir keine Sorgen gemacht?«

»Sorgen? Ich war wütend. Es ist so komisch.« Sie lachte nicht.

»Wütend?«

»Ich dachte, sie würde sich mit Mort aussöhnen, indem sie die Nacht bei ihm verbrachte. Er verlangt totale Loyalität. Er haßt – haßte – mich, weil Dilla mich immer an die erste Stelle setzte. Sie war meine Geliebte. Es wird keine andere mehr für mich geben.« Ihre Augen waren wie Magnete auf Wetzon gerichtet. »Ist es dir unangenehm, daß ich lesbisch bin?«

»Überhaupt nicht.«

»Das dachte ich mir, aber ich war nicht ganz sicher.«

»Ich dachte immer, Mort wäre ambivalent in bezug auf Frauen.«

»Mort ist in vielen Dingen ambivalent, besonders was sein Bekenntnis zum Schwulsein betrifft. Das ist es, was ihn so gemein macht. Er und Poppy…na ja, weißt du…«

Wetzon preßte eine Zitronenscheibe in ihren Tee und zuckte zusammen, als der scharfe Saft mit einem Schnitt von einer Papierkante an ihrem Finger in Berührung kam. Sie ließ die Scheibe in den Tee fallen und leckte die Wunde. »Warum bin ich hier, Susan?«

»Ich habe über dich gelesen, Leslie. Über dich und deine Geschäftspartnerin. Ich weiß, daß ihr mit solchen Dingen zu tun hattet.«

»Nicht direkt.« Verdammter Mist, dachte Wetzon. Sie wird mich bitten herauszubekommen, wer Dilla ermordet hat. Dennoch verspürte sie eine gewisse Erregung.

»Ich hoffe also, du wirst es für mich tun. Ich kann dich bezahlen. O Izz.« Die Hündin tollte mit einem Strohhut im Maul in die Küche. Vor Wetzons Füßen ließ sie den Hut fallen und wedelte mit dem Schwanz, während sie Lob erwartend zu Wetzon aufblickte. »Sie mag dich.«

Wetzon lachte. »Ja, bestimmt.«

»Lach nicht. Bei Menschen besitzt Izz einen sechsten Sinn.«

Wieder wurden in dem anderen Zimmer Stimmen laut, außerdem Geräusche von dumpfen Schlägen.

»Ums Geld geht es nicht…«

»Was dann?«

»Ich bin kein Detektiv.«

»Aber du weißt, wie man's macht. Auch wenn wir uns viele Jahre nicht gesehen haben, vertraue ich dir. Ich glaube, du wirst mir die Wahrheit sagen.« Susans Gesicht war trostlos. Wetzon ertappte sich dabei, daß sie auf die verzweifelte Bitte in Susans tränennassen Augen reagierte.

Sie fragte langsam: »Was hältst du für die Wahrheit, Susan?«

»Daß Mort Dilla getötet hat.«

Mörderisches Musical

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