Читать книгу Der letzte Vorhang - Annette Meyers - Страница 22
9. Kapitel
Оглавление»Was hältst du davon, Häschen? Das sind wirklich phantastische Kulissen.«
»Ich verrate es dir äußerst ungern, Carlos, aber ich habe die Show nie gesehen. Das war lange vor meiner Zeit. Tatsächlich war ich noch ein Kind, als sie zum erstenmal am Broadway lief.«
»Ha! Du warst nie ein Kind. Aber laß dir von mir sagen, daß sie wunderbare Kulissen mit der Skyline der City hatten.«
Sie wußte nicht, was sie geweckt hatte. Der Aufzug vielleicht oder eine Autoalarmanlage. Eine Sirene. Was auch immer, sie war hellwach. Sich streckend sah sie auf die Uhr. Halb drei. Silvestri lag auf der Seite, von ihr abgewandt, Izz zusammengerollt in seinem Kreuz wie eine Wärmflasche aus Fell.
Die ganze Wohnung roch wie eine italienische Küche nach Knoblauch und Wurst. Silvestri war spät und viel besser gelaunt mit einer fettigen Tüte Calzoni von John’s nach Hause gekommen.
Er brummte im Schlaf. Unglaublich. Zwei Calzoni – er hatte die zweite für sie mitgebracht, und sie hatte klugerweise abgelehnt – und zwei Bier, und er tat nichts, als im Schlaf zu brummen. Sie hätte die schlimmsten Alpträume bekommen und wäre um halb drei hellwach gewesen. Was blieb ihr jetzt als Ausrede?
Sie beugte sich hinüber, küßte seinen Nacken und atmete die sexy Mischung aus Schweiß und Knoblauch ein. Als er sich nicht rührte, stand sie vorsichtig auf.
Durch das eine Handbreit geöffnete Fenster drang der Winter mit kleinen kräftigen Nordwindböen ein, die an den hölzernen Läden rüttelten. Izz hob den Kopf, sah Wetzon an, überlegte, ob es sich lohnte, ihre bequeme Lage aufzugeben, und kuschelte sich dann fester an Silvestri.
Mit dem Doctorow ging Wetzon ins Wohnzimmer und schlüpfte unter die Wolldecke, die sie und Carlos während der Spielzeit von Chicago hinter der Bühne gehäkelt hatten und jetzt abwechselnd aufbewahrten. Die Worte tanzten auf der Seite, brachen ab, kamen wieder. Aber sowie sie die Augen schloß, erschien der Schrankkoffer vor ihr, und sie war wieder hellwach.
Das war es also. Sie hatte den ganzen Nachmittag, den ganzen Abend versucht, es aus ihren Gedanken zu verbannen, aber es funktionierte nicht. Es hatte sie wachgestupst und ließ sie jetzt nicht mehr einschlafen.
Sie stand auf, wickelte die Wolldecke um sich und holte ein Glas Wasser, das sie langsam trank, während sie in dem offenen Durchgang zu ihrem Wohn-Eßzimmer stand. Sie liebte diesen Raum mit seinen erdigen Farben, den Stickley-Möbeln und dem alten Wandbehang mit dem Sonnenaufgang über dem Sofa.
Silvestris Aktentasche stand auf dem Boden neben dem Tisch mit der Marmorplatte. Sie setzte sich auf den Teppich und legte die Tasche flach hin. Als sie sie öffnete, lag der braune Umschlag mit den Fotos vom Tatort gleich oben auf seinen sauberen Hemden in ihrer Wäschereiverpackung.
Vorsichtig öffnete sie die Lasche und zog die Fotos heraus. Grauenhaft. Sie kam sich wie ein Voyeur vor, konnte sie aber dennoch nicht weglegen. Langsam blätterte sie die Fotos durch, als ob sie etwas suchte. Sie wußte nicht, was.
Jedes Foto trug das Etikett »Beweisstück, Mordkommission«, dazu eine Fallnummer; unten ein M (wofür? Mord? Motiv? Nein, eher für Manhattan), das Datum und ein Zentimetermaßstab.
Der Schrankkoffer wieder, geschlossen. Offen. Ein weiteres Foto des offenen Koffers, diesmal ohne die Knochen. Kleidung, vermodert. Ein Foto von Gegenständen aus dem Koffer, jeder ausgebreitet und numeriert. Sie betrachtete sie genau. Was war das? Es sah aus wie das gezackte Stück einer Keramikkachel. An der Bruchkante und darüber handgeschrieben das Wort ›Für‹. Es dauerte lange, bis sie sich regen konnte.
Schließlich stemmte Wetzon sich hoch und tappte hinüber zu den wandhohen Bücherregalen. Irgendwo auf einem der Bretter mußte ein altes, nie benutztes Vergrößerungsglas vom Flohmarkt liegen. Ah, da. Sie holte es herunter und trug das Foto zum Eßtisch; dort legte sie es flach unter die Lampe und hielt das Vergrößerungsglas darüber. Ihre Hand zitterte. Jemand, der das Ding nicht kannte, würde es in diesem Zustand nicht wiedererkennen … Sie hatte es erkannt, weil sie genauso eine Kachel besaß.
Als sie das Vergrößerungsglas wieder auf das Bücherregal legte, zitterte sie. Dann begann sie zu suchen. Sie fand, wonach sie suchte – ein Regal weiter und zwei Bretter tiefer –, nahm die Kachel von dem Ständer und trug sie zum Tisch.
Es war eine Keramikkachel mit dem leuchtend magentaroten Logo von Combinations. Davey Lewin, der Regisseur, hatte jedem Mitglied des Ensembles eine davon mit einer persönlichen Widmung geschenkt.
Auf Wetzons Kachel stand: Für Leslie, ihre wundervollen Kombinationen, mit herzlichen Grüßen von Davey.