Читать книгу Sachsen-Anhalt, wie es glänzt und dämmert - Annette Riemer - Страница 13
Braunsbedra
ОглавлениеDiese Stadt ist ganz düster. Seit knapp zwanzig Jahren gibt es sie inzwischen, durch zahlreiche Eingemeindungen der nicht weggebaggerten Tagebausiedlungen ist sie auf knapp 11.000 Einwohner gewachsen und erstreckt sich um den östlichen Teil des Geiseltalsees, dieses größten künstlichen Sees Deutschlands, der jetzt Naherholungsgebiet werden soll. Für Braunsbedra springt dabei ein Hafen heraus, neue Siedlungen sollen entstehen und durch den Zuzug finanzkräftiger Neubürger wird dann die ganze Wirtschaft hier unten im Saalekreis explodieren. Ganz bestimmt.
Aber der Boom boomt in Zeitlupe. Die meisten Siedler, die sich ein Häuschen mit Seeblick kreditfinanziert errichten, kommen aus Braunsbedra selbst, sind den ewiggleichen Platten entflohen, die sich über die ganze Stadt verteilen. Dort, zwischen den drei- und vierstöckigen Häuserzeilen, wo hinter jedem Fenster eine Kummeroma sitzt und in jeder Tür eine rauchende Jogginghose steht – da ist es richtig finster, da boomt überhaupt nichts.
Auch das Stadtzentrum scheint mehr auf Verfall als auf Aufschwung eingerichtet zu sein. Am Marktplatz, der eigentlich gar kein Platz ist, sondern von einer zweistöckigen Passage überdeckt wird, sitzen der Optiker und der Bestatter, die Kurzzeitpflege und die Tagespflege, das Rathaus direkt gegenüber der Fußpflege. Im einzigen Café im Karree heißt die Kellnerin „Garmen“ und wird von jedermann geduzt, auch von den beiden Polizistinnen, die bei ihr mit „Ma‘ ma‘ ein Eis“ den drögen Dienst auflockern. Und die trotz gefunktem Einsatzkommando warten, bis „Garmen“ beide Portionen zurechtdrapiert hat. „Nee, bei mir keene Sahne, die jehd jleich off de Hüfde“, sagt die dünnere Polizistin noch, dann trotten sie gemütlich Richtung Einsatzwagen.
Schaurige Aussicht über die Stadt: Direkt an der Landstraße steht das Seniorenhaus „Geiselblick“ mit Blick auf ebenjene Hauptverkehrsader und die Gnadenkirche dahinter. Dort liegen alle Vermeldungen auch in Russisch aus. Alte Gewohnheit oder fromme Spätaussiedler? Niemand, den man fragen könnte.
Und der Typ am Bahnhof weiß auch nichts. Er wartet zwanzig Minuten, bis der Zug kommt, um dann den Bahnsteig in Richtung Stadt zu verlassen. So ähnlich scheint es hier mit dem Aufschwung zu sein: ein Warten, ein desillusioniertes Hoffen – und die einmalige Gelegenheit zum Fortkommen zieht ungenutzt an Braunsbedra vorbei.