Читать книгу Sachsen-Anhalt, wie es glänzt und dämmert - Annette Riemer - Страница 4
Aschersleben
ОглавлениеEine rundum schöne Stadt, die da irgendwo in der Mitte des Landes und mehr noch tief im allgemeinen Vergessen liegt. Aschersleben zeigt sich von außen her zunächst als grüne Oase mit hundefreien Parks, in denen sich allerhand Bierzelte, Spielplätze und Wasserkunstwerke befinden. Schon wird der Schritt langsamer und der Blick auf die Uhr nachsichtiger – Aschersleben lädt mit sanftem Druck zur Entschleunigung ein: Moderner Zeitgeist trifft auf gepflegte Grünfläche (und trotzdem kann es so anstrengend sein, termingerecht und intensiv zu pausieren!).
Die Namen der ausgedehnten Parks – Herrenbreite, Bestehornpark – deuten schon auf Ascherslebens zweiten großen Schatz hin: Weil die Stadt nie großartiges Industriezentrum und schon immer politisch unbedeutend war, gab es für die Alliierten im Zweiten Weltkrieg keinen Grund, hier ein Flächenbombardement zu veranstalten. Und für die Sozialisten keinen, mit Plattenbauten ganze Arbeiterviertel aus dem Boden und in den Stadtkern zu stampfen. Kurz: Ascherslebens Straßen haben noch immer mittelalterlich anmutende Namen wie Badstuben, Düsteres Tor und Über den Steinen und sind umgeben von dicken Wehrtürmen und Mauerresten, hinter denen hübsch erhaltene Mehrfamilienhäuser aus der Lutherzeit unter Denkmalschutz stehen. Erst außerhalb dieser famosen Altstadt erinnern Carl von Ossietzky, die Geschwister Scholl und Valentina Tereschkowa daran, dass Aschersleben nicht völlig aus der Zeit gefallen ist.
Sehr erfrischend, wenn auch ordentlich gewöhnungsbedürftig ist, dass hier Punkt sechs Uhr alle Läden geschlossen werden und sich die Straßen wie auf Kommando leeren. Ein belegtes Brötchen oder ein Gespräch ist plötzlich äußerst schwer zu bekommen, auch am Bahnhof, wo der Bäcker sogar schon zwei Stunden vor dem allgemeinen Zapfenstreich schließt. Und wo es – ein wichtiger Hinweis für Besucher – ganztags keine Toiletten gibt.
Wer sich aber nach der in Aschersleben eben in vielfacher Sicht anders tickenden Zeit richtet und sich in den Stunden zuvor auf den bereitwillig angebotenen Tratsch im Café, den überschaubaren Wochenmarkt und das sehr bemühte, aber eben doch zutiefst provinzielle Sammelsurium des Kriminalpanoptikums einlassen kann, der hat ganz bestimmt eine schöne, ruhige Zeit in einem sehr atmosphärischen Aschersleben.
Traurig nur, dass die vielfach heraufbeschworenen „Leute draußen im Land“ von Aschersleben so gar keine Notiz nehmen. Ja, die Stadt an der Eine wirkt geradezu überflüssig: Als Wiege der einst mächtigen Askanier gehörte Aschersleben schon seit 1315 nicht mehr zu deren anhaltischen Herrschaftsgebiet. Als geografisches Tor zum Harz ist die Stadt an den weitestgehend flachen Salzlandkreis gebunden, der auch noch vom in jeder Hinsicht fernen Bernburg dominiert wird. Wenn nicht – ausgerechnet! – die Polizeihochschule des Landes hier läge, könnte die älteste und wenigstens drittschönste Stadt des Landes glatt vollkommen unbemerkt aus der Welt fallen.