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Fünftes Kapitel
Das Schattendorf
ОглавлениеLando staunte, wie sich Eneas und Ludmilla wortlos verständigten und unsichtbar machten. Sie schienen ihn vollkommen vergessen zu haben.
»Hey«, zischte er. »Ich kann euch nicht sehen, so geht das nicht.«
Da er keine Reaktion bekam, verwandelte er sich in eine schwarze kleine Spinne.
»Wir sehen dich, und das garantiere ich dir, dieses Mal lassen wir dich nicht aus den Augen«, hörte Lando Eneas wispern.
Die kleine Spinne krabbelte los, kam jedoch nicht weit. Als sie das erste ihrer acht Beine an einem der Zelte vorbeischieben wollte, prallte es zurück. Neben sich hörte Lando Ludmilla aufstöhnen, als hätte sie sich gestoßen.
»Was ist denn hier los?«, schimpfte sie und unterdrückte weitere Flüche.
»Das ist ein Schutzzauber«, presste Eneas wütend hervor. Ein unkontrollierter durchsichtiger Funken rieselte zu Boden. »Rückzug«, piepste er. »Rückzug, bevor die Schatten uns entdecken.«
Als sie die Stelle erreicht hatten, an der sie aus dem Becken der Wahrheit herausgefallen waren, machten sich Eneas und Ludmilla wieder sichtbar, und Lando verwandelte sich zurück in seine Formwandlergestalt. »Diese Schatten sind nicht nur lebendig«, polterte er durch zusammengepresste Zähne. »Sie können auch Zauber aussprechen. Ich fasse es nicht.«
Ludmilla fuhr sich über die Stirn. »Es war, als würde ich gegen eine Wand laufen«, murmelte sie.
Keiner von ihnen wagte es, die Stimme zu erheben, aus Angst, gehört zu werden. Die Landschaft lag gespenstisch still da, so dass Ludmilla den Eindruck hatte, jedes noch so kleine Geräusch würde ein imaginäres Echo auslösen. Während sie sich verwirrt umschaute und überlegte, wie sie das Dorf erkunden könnten, meinte sie, eine Bewegung wahrzunehmen. Auf einem der glattpolierten Steine schien sich etwas zu regen. Etwas Kleines, nicht größer als ein Eichhörnchen, mit einem Schweif und … Flügeln? Sie blinzelte, um genauer hinsehen zu können, aber es war nur ein Stein. Sie musste sich geirrt haben. Irritiert ging sie ein paar Schritte auf die Stelle zu, da packte sie Lando am Arm.
»Was machst du?«, zischte er. Sie konnte seine Anspannung spüren.
»Nichts«, antwortete sie schnell. »Ich dachte nur, da wär’ etwas, aber ich hab mich wohl geirrt.«
Ihr entging Landos skeptischer Blick nicht. Außerdem meinte sie, ein leises, kaum hörbares Seufzen in ihrem Kopf zu vernehmen, jedoch hatte sie keine Gelegenheit, Aik zu fragen, ob etwas nicht stimmte, denn Eneas entlud seine Wut und Enttäuschung mit einem Funkenregen.
»Diese verdammten Schatten.«
Lando stürzte auf ihn zu. »Nicht jetzt, Eneas, beherrsche dich.«
Der Unsichtbare atmete tief ein und aus, und die Funken verglühten auf dem Stein. »Vielleicht sollte es nur einer von uns versuchen«, schlug er vor. »Ich werde einen Weg in dieses Dorf finden. Das verspreche ich euch.«
Noch bevor die beiden anderen reagieren konnten, war er auch schon verschwunden. Lando hob resigniert die Schultern.
»Lassen wir ihn es versuchen. Er hat, was unsichtbare Barrieren und Zauber anbelangt, die größten Chancen, sie zu überwinden.«
Ludmilla sah ihn verwundert an. »Nicht du? Du kannst dich doch so winzig machen. Findest du kein Schlupfloch?«
Er lachte leise. Seine tiefe angenehme Stimme hatte ihr gefehlt. Sie hatte eine beruhigende Wirkung auf sie.
»Ein Schutzzauber lässt keine Schlupflöcher zu«, gab er zu bedenken. »Ich kann mich noch so klein machen oder noch so schnell sein. Wenn ich nicht erwünscht bin, dann muss ich draußen bleiben.«
»Und wie soll es Eneas dann schaffen?«
»Unsichtbare haben eine andere Materie. Sie können mit einem solchen Zauber verschmelzen.«
»Kann ich das dann auch?« Ludmilla sprang voller Tatendrang auf. Lando packte sie am Handgelenk.
»Ludmilla, du bist ein Mensch. Du magst dich unsichtbar machen können, aber du hast deshalb nicht die gleiche Materie wie ein Unsichtbarer.«
»Also können wir nur abwarten? Mal wieder.« Schnaufend ließ sie sich auf einen der glatten Steine fallen.
»Sicherlich ist er gleich zurück«, mutmaßte Lando.
Sie starrte vor sich hin, als sie die Bewegung erneut wahrnahm. Dieses Mal ein Stückchen näher. Da war etwas.
Lando bemerkte ihre Anspannung und sah sie fragend an, während sie angestrengt auf dieselbe Stelle starrte. »Was ist los?«
Sie deutete darauf und legte einen Finger auf die Lippen.
Nun konnte sie es ganz genau erkennen. Es war ein Wesen. Schwarz wie die Nacht. Schuppige Haut, vier Beine, kleine Flügel und einen Schwanz. Es kroch blitzschnell über den Boden. Hatte sie da mehrere Köpfe gesehen?
Lando reckte sich. »Da ist nichts, Ludmilla. Was ist in dich gefahren? Bist du übermüdet? Du brauchst wahrscheinlich etwas Schlaf.«
Sie schüttelte energisch den Kopf. Wie in Zeitlupe erhob sie sich und ging ganz langsam auf das Wesen zu. Der Formwandler wollte sie zurückhalten und griff nach ihrer Hand, bekam sie jedoch nicht zu fassen.
»Ludmilla«, brüllte er unterdrückt. »Lass das. Wir müssen auf Eneas warten. Er wird uns bei dem Licht nicht so leicht sehen können.«
Sie spähte stumm in die Dunkelheit. Und da war es. Eine kleine Stichflamme stieg über dem Boden in die Luft und dann erhob sich das Wesen in die Luft. Flügelschlagen wie von einer Fledermaus, nur schwerer, und ein tierartiger Kopf, der sie mit glühenden Augen anstarrte. Daneben schob sich ein weiterer Kopf hervor, der ihr die Zunge rausstreckte, bevor das Wesen in der Dunkelheit verschwand.
Sie schlug sich die Hand vor den Mund. »Was war das?«, keuchte sie.
»Was?«, fragte Lando ungläubig, der mit einem Satz neben ihr stand.
»Hast du es nicht gesehen? Dieses Eichhörnchen, das fliegen kann und mehrere Köpfe hat.«
Er starrte sie verständnislos an, und bevor er reagieren konnte, rannte Ludmilla los. Sie folgte dem Wesen auf die Ebene, die sich hinter der kugelförmigen Landschaft erstreckte.
»Ludmilla«, hörte sie Landos Stimme hinter sich.
Sie blieb stehen und starrte in den Himmel, aber das Wesen war verschwunden. Nur Aiks Seufzen war dieses Mal nicht zu überhören.