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Erstes Kapitel
Die Dena-Familie

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Die Dena-Familie bewohnte eines dieser kleinen schmalen Stadthäuser, die durch die benachbarten Gebäude, die größer und prächtiger waren, fast untergehen. Es stand wie eingepfercht in deren Mitte und war, bei näherem Betrachten, ein Schmuckstück. Die Fassade war reich an Verzierungen aus dem letzten Jahrhundert, hell und mit farblich abgestimmten Schlagläden versehen. Nichts ließ von außen erahnen, was sich im Inneren dieses Hauses seit über fünfzig Jahren abspielte. Denn es war kein gewöhnliches Haus, für Margot Dena war es ein Gefängnis.

Margot lebte seit ihrer Geburt in denselben vier Wänden, was an für sich nichts Ungewöhnliches ist, mit dem Unterschied, dass sie diese Gemäuer seit ihrem 18. Lebensjahr nicht mehr verlassen hatte. Dafür sorgte ihre Familie, erst ihre Eltern und später ihre Geschwister. Sie waren davon überzeugt, dass es für Margot das Beste sei, wenn sie keinen Fuß mehr außerhalb des Hauses in diese Welt setzte. Sie wurden kreativ und erzählten allen, egal ob sie es hören wollten, dass Margot unter Panikattacken leide und deshalb das Haus nicht verlassen könne. Etwas später, als Margots Eltern die Befürchtung hatten, dass die Panikattacken als Begründung nicht ausreichten, erklärten sie: »Margot leidet unter Angstzuständen. Sie sind so schlimm, dass sie Angst hat, das Haus zu verlassen. Wir können sie nicht dazu bringen, nach draußen zu gehen. Es ist furchtbar. Es gibt sogar einen Fachausdruck für diese Krankheit: Agoraphobie.« Tatsache war jedoch, dass Margot Dena weder unter Panikattacken noch an Agoraphobie litt. Sie hatte ihren Schatten in Eldrid verloren. Er war ihr abhandengekommen, gestohlen und unwiederbringlich verschwunden. Margot Dena war schattenlos und dies sowohl in Eldrid als auch in dieser Welt. Ihre Familie war der Ansicht, dass sich ein schattenloser Mensch nicht gefahrenlos in unserer Welt bewegen könne. Deshalb schlossen sie Margot ein. Im Haus der Familie. Für den Rest ihres Lebens.

Nach Jahrzehnten der Gefangenschaft bewohnte inzwischen nur noch Margot das Haus. Ihre Familie war verstorben oder ausgezogen, und sie war eine alte verbitterte Frau. Niemand kümmerte sich mehr um sie oder verbat ihr, das Haus zu verlassen. Jedoch hatte sie sich an diesen Zustand gewöhnt, so dass sie gar nicht auf die Idee kam, das Haus zu verlassen oder sich von dem zu entfernen, was sie am meisten an das Haus band: dem Dena-Spiegel. Das Portal, das sie nach Eldrid führen konnte.

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