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Dreizehntes Kapitel
Der Versuch einer Erklärung

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Ludmilla wollte dem Kobolddrachen hinterherschreien, der einfach verschwand, ohne weitere Anweisungen abzuwarten, aber Lando packte sie am Handgelenk und legte ihr unsanft die Hand auf den Mund.

»Lass ihn ziehen.« Er blickte ihr eindringlich in die Augen. »Der Drache muss zurückkommen, ob er will oder nicht. Uns verschafft das Zeit. Wir müssen ein paar Dinge besprechen.«

Sie blies die aufgestaute Luft durch die zusammengepressten Zähne aus und kniff die Augen zusammen. »Aik hat mich schon vorgewarnt, dass es mit diesem Wesen nicht einfach werden würde, obwohl so ein Drache uns nützlich sein kann.«

Ihre Gefährten blickten sie an und nickten gleichzeitig.

»Ich wüsste nur zu gern, wie du das gemacht hast«, platzte es aus Eneas heraus.

Das würde ich ausnahmsweise auch gerne wissen, hörte sie Aiks Stimme in ihrem Kopf brummen.

»Das interessiert mich auch, jedoch zuerst wüsste ich gerne, wie du so schnell gelernt hast, mit deinem Schatten zu sprechen.« Lando zögerte kurz, als fiele es ihm schwer, das auszusprechen. »Wie konntest du nur so schnell die Alte Kunst erlernen? Im Wald von Fenris hatten wir keine Gelegenheit, darüber zu sprechen. Vielleicht hast du mit Eneas schon darüber geredet, aber ich habe es noch nicht begriffen, wie du das gemacht hast.«

Sie meinte, einen winzigen bitteren Unterton herauszuhören, und überspielte dies schnell mit einem Lächeln. »Ich weiß, dass ich euch eine Erklärung schulde. Ihr habt recht. Irgendwie kommen wir nie dazu, uns auszutauschen.«

Sie hob entschuldigend die Schultern und grinste die beiden verlegen an. Eneas hob die Augenbrauen, so dass sein Gesicht noch länger wurde, und Lando sah sie fordernd und abwartend an. Er suchte nach Antworten und Bestätigung. Das war ihr klar, und sie wollte ihn nicht enttäuschen.

»Das ist nicht so leicht zu erklären«, begann sie umständlich. »Lando, du hast mich gebeten, mit meinem Schatten zu sprechen.«

Eneas stöhnte auf, als hätte sie etwas Falsches gesagt. Der Formwandler warf ihm einen warnenden Blick zu und nickte. »Das ist richtig.«

»Genau das habe ich gemacht, in meinen Gedanken. Ich habe mich auf meinen Schatten konzentriert und ihn angesprochen. Seine Stimme war in meinem Kopf, und er hat mir sofort geantwortet. Das war nichts anderes als Intuition. Ich wusste nicht, ob es klappt, ich habe es einfach versucht. Mir ist in diesem Moment auch nichts Besseres eingefallen, wie ich sonst mit ihm hätte sprechen sollen. Ich habe ihn gefragt, ob er seine Mächte mit mir teilt. In der Situation im Wald war es wichtig, dass ich mich unsichtbar machen konnte, es war unsere einzige Chance, an den Spähern vorbeizukommen. Er hat eingewilligt, diese Macht mit mir zu teilen.«

Eneas’ Augen weiteten sich. »Und das hast du gewusst, Lando?«, piepste er mit seiner hohen Stimme aufgeregt.

Der Formwandler hob die Schultern. »Ich habe es zumindest vermutet.«

»Und du hattest recht. Es war ganz einfach. Ich bin davon ausgegangen, dass ich mit meinem Schatten im Kopf sprechen kann, und dann konnte ich es.«

»So einfach ist das nicht«, protestierte Eneas. Er versprühte einen aufgeregten und sehr bunten Funkenregen, so dass Lando ihm beruhigend die Hand auf den Unterarm legte.

»Natürlich ist es nicht so einfach«, flüsterte er auf den Unsichtbaren ein. »Nur für sie schon. Das müssen wir so akzeptieren.«

»Akzeptieren?«, schnaubte Eneas. »Wir, die Wesen des Lichts, brauchen Jahrhunderte, um die Alte Kunst zu erlernen, und dann kommt Ludmilla und braucht nicht länger als einen Wimpernschlag dafür?« Er schüttelte unentwegt den Kopf. »Vielleicht trifft es auf Menschen zu, dass es leicht ist, die Alte Kunst zu erlernen, aber auf uns nicht.«

»Das macht irgendwie Sinn«, entgegnete Lando ruhig. »Womöglich denken wir zu viel darüber nach?«

»Es war Intuition«, sagte Ludmilla leise, fast entschuldigend.

Eneas lachte auf. »Intuition? War es das auch, als du den Kobolddrachen erweckt hast?«

Sie sah den Formwandler hilfesuchend an, bevor sie antwortete. »Ja, eigentlich schon.«

Eneas prustete hysterisch in sich hinein. »Ich kann das nicht glauben.«

Sie blickte ihn erstaunt an. »Wie meinst du das?«

»Verzeih mir, Ludmilla. Ich mag dich sehr, und du bist eine wahre Freundin für mich.« Er hielt kurz inne und suchte nach den richtigen Worten. »Alles, was du tust, die Magie und Kräfte, die du uns zeigst und entwickelst, sind für mich schwer zu begreifen. Das ist entgegen allen Gesetzen, die hier in Eldrid herrschen. Und du überwindest sie mit solch einer Leichtigkeit.« Er schüttelte unentwegt den Kopf. »Ich möchte dennoch wissen, wie du den Kobolddrachen erweckt hast.«

Mit einem Blick auf Ludmillas Schatten, dessen rotglühenden Augen auf dem dunklen Steinboden ruhten, fügte er hinzu: »Und wie Aik dir so schnell helfen beziehungsweise dich mit den notwendigen Informationen versorgen konnte.«

Ludmilla holte tief Luft und versuchte, ihre Worte mit Bedacht zu wählen. »Es ist kompliziert. Vielleicht kennt ihr das, wenn ihr denkt, etwas zu sehen, was sich bei näherem Hinsehen als etwas anderes entpuppt?«

Die Wesen starrten sie verständnislos an.

»Nehmen wir mal an, wir laufen durch den Wald und vor uns auf dem Waldboden liegt ein Ast, der aussieht wie eine Schlange. Dann denke ich zuerst: Das sieht aus wie eine Schlange, und erst beim näheren Betrachten erkenne ich, dass es doch nur ein Ast ist und keine Schlange, versteht ihr?«

Die Blicke ihrer Freunde veränderten sich kaum.

Sie holte tief Luft, bevor sie weitersprach. »So war es auch bei dem Drachen. Ich dachte, dass ich auf einem dieser Steinkugeln eine Bewegung wahrgenommen hätte. Es sah aus, als krabbelte dort ein Eichhörnchen mit drei Köpfen und Flügeln. Natürlich nahm ich an, dass mir meine Fantasie einen Streich gespielt hat. So etwas gibt es ja gar nicht, dachte ich zumindest. Beim zweiten Mal Hinsehen war dann da tatsächlich dieser Kobolddrache. Mehr habe ich nicht gemacht.«

»Ah ha!«, entfuhr es Eneas ungläubig.

Ludmilla hob verzweifelt die Hände. »Ich kann es nicht besser erklären.«

»Also meinst du, du kannst alles zum Leben erwecken, von dem du denkst, dass du es siehst, auch wenn es eigentlich gar nicht da ist?«, versuchte Lando ihren Erklärungsversuch zu verstehen.

Sie hob nur die Augenbrauen. »Ich habe keine Ahnung. Soll ich Aik fragen?«

»Nicht nötig«, antwortete Lando schnell. Dann holte er scharf Luft, als würden ihm die nächsten Worte schwerfallen. »Hat er dich von sich aus kontaktiert, ohne dass du ihn etwas gefragt hast?«

Ludmilla hörte ein ungläubiges Stöhnen in ihrem Kopf. Aik, beschwor sie ihn in ihren Gedanken. Das führt zu nichts, und ich werde diesen Streit zwischen euch nicht austragen. Ich erlaube dir nicht, dass du dich ständig über ihn lustig machst.

Aik seufzte hörbar. Wenn du es so willst, murrte er.

»In diesem Fall hat er sich von sich aus an mich gewandt. Das ist noch nicht so oft vorgekommen«, antwortete sie wahrheitsgemäß.

Eneas quietschte auf und schlug sich die Hand vor die schmalen Lippen.

»Was ist daran so schlimm?«

»Gar nichts.« Landos Augen sprachen eine andere Sprache, so wie sie den Schatten feindselig anblitzten. »Eneas und ich haben keine Erfahrung damit. Wir beherrschen die Alte Kunst nicht, also wissen wir auch nicht, wie das funktioniert.«

»Was ist dann so schlimm daran, wenn sich der Schatten von sich aus zu Wort meldet?«, beharrte Ludmilla.

»Wir Wesen von Eldrid sehen die Schatten nicht als gleichberechtigt an, deshalb sprechen wir nicht mit ihnen«, erklärte der Formwandler.

»Das verstehe ich nicht. Sie besitzen die Magie doch genauso wie ihr. Warum sind sie dann nicht gleichberechtigt?«

»Weil sie sich nicht eigenständig bewegen können«, mischte sich Eneas hitzig ein.

»Es sei denn, sie sind lebendig«, ergänzte Ludmilla, und beide Wesen stöhnten auf. »Stimmt doch«, beharrte sie.

Lando nickte. »Ja, das ist richtig. Die Beziehung zwischen den Wesen des Lichts und ihren Schatten ist kompliziert.«

Sie ist nicht kompliziert, sie existiert nicht. Deshalb können die Schatten ja auch so leicht gestohlen werden, tönte Aik in Ludmillas Kopf.

Sie rieb sich angestrengt die Stirn. Um das Thema zu wechseln, sagte sie: »Wie auch immer. Hoffen wir mal, dass dieser Drache etwas über das Schattendorf in Erfahrung bringt, damit wir hier so schnell wie möglich verschwinden können.«

»Ja, das wäre gut«, murmelte Lando und suchte den Himmel ab.

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