Читать книгу Im Land der Nuria - Annina Safran - Страница 17

Neuntes Kapitel
Der Kobolddrache

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Elegant spannte der Kobolddrache die Flügel extra weit aus, flog einen großen Bogen um seine Erweckerin und ihren Begleiter, ließ sich immer tiefer gleiten und setzte dann zur Landung an. Diese gelang jedoch nicht. Mit einem krachenden Bauchplatscher landete er genau vor Ludmillas Füßen. Sie machte vor Schreck einen Satz zur Seite und quietschte auf. Blitzschnell duckte sich Lando, packte den Drachen am Schwanz und riss ihn in die Luft. Ein triumphierendes »Ha« entfuhr ihm, das in einen Schmerzensschrei überging. Der Formwandler ließ das Wesen fallen und hielt sich eine feuerrote Hand, die vor Hitze nur so zischte.

»Was ist das?«, presste er hervor.

Ludmilla betrachtete das Wesen voller Bewunderung. »Wusste ich es doch«, flüsterte sie. »Ich habe mich nicht getäuscht. Da war tatsächlich etwas.«

Pass bloß auf, zischte Aik in ihrem Kopf, so dass sie zusammenzuckte. Das war das erste Mal, dass sich ihr Schatten von sich aus an sie wandte. Das ist ein Kobolddrache. Sie sind sehr selten, und offenbar hast du ihn erweckt. Wenn dir ein Drache dient, dann hast du automatisch viel mehr Macht. Sie hörte ein missbilligendes Seufzen. Als wenn wir noch mehr bräuchten.

Ludmilla verdrehte ungeduldig die Augen. Was muss ich tun?

Er muss dich als seine Herrin anerkennen. Bis er das tut, packe ihn am Hals. Dort kann er dich nicht verbrennen. Du musst ihm demonstrieren, wie mächtig du bist, sonst wird er dir nicht gehorchen, sondern dir auf der Nase herumtanzen.

Vorsichtig näherte sich Ludmilla dem kleinen Drachen. »Was bist du denn für ein süßes Kerlchen«, lachte sie leise, als einer der drei Köpfe ihr die Zunge herausstreckte. Der andere Kopf fauchte sie feindselig an.

»Das nennst du süß?« Lando fluchte immer noch. »Sein Schwanz brennt wie Feuer.«

»Das passt doch. So niedlich. Kann Feuer spucken, die Zunge rausstrecken und vielleicht sogar sprechen?«

Sie warf ihrem Freund einen warnenden Seitenblick zu. Er musste ihr jetzt vertrauen. Der Kobolddrache rappelte sich gerade von seinem Sturz aus Landos Hand auf und machte eine kleine Drehung, um ihr noch mehr zu imponieren. Diese Reaktion hatte sie sich erhofft. Mit einem beherzten Schritt nach vorn war sie plötzlich neben ihm und packte den Hals des feuerspuckenden Kopfes.

»Eine falsche Bewegung, und ich drehe dir diesen Hals um«, zischte sie. Das Wesen machte sich steif und nickte mit dem Hauptkopf, während alle drei Augenpaare sie glühend anstarrten.

»Wenn du dich benimmst, lasse ich dich runter und wir unterhalten uns zivilisiert.« Drohend hob sie einen Finger und ließ den Drachen auf den Boden sinken. Sie lockerte den Griff um den Hals ein wenig, ohne ihn vollständig loszulassen, und setzte sich neben ihn. Der Kopf hustete und würgte, aber es kam kein Feuer heraus.

Lando starrte sie entgeistert an. »Was ist in dich gefahren?«, flüsterte er.

Sie lächelte kurz. »Das hier ist ein Kobolddrache, und ich habe ihn erweckt. Zumindest behauptet das Aik.«

Lando verstand nichts von dem, was sie da faselte. »Was soll das heißen? Ein Kobolddrache? Woher weiß Aik das? Und du sollst ihn erweckt haben?« Er schüttelte ungläubig den Kopf. »Seine verwundbare Stelle kennst du zufällig auch noch?«

»Aik«, verbesserte sie den Formwandler. »Aik weiß das alles.«

»Ja, und wer ist bitte Aik?«, krächzte der mittlere Kopf des Drachens, der offenbar ebenfalls Probleme mit dem Atemholen hatte.

»Mein Schatten.« Ein Gesichtsausdruck huschte über ihr Gesicht, der die beiden Wesen erschaudern ließ.

»Dein Schatten hat einen Namen«, plärrte der Kobolddrache los.

»Ja, mein Schatten hat einen Namen, und ich rede mit ihm. Er macht es möglich, dass ich dich sehen konnte.«

Das ist so nicht korrekt, murrte es leise in ihrem Kopf.

Sschhh, versuchte sie, ihn zum Schweigen zu bringen.

Nouk schluckte. »So ein mächtiger Schatten. Einer, mit dem du sprichst«, stammelte er. »Das ist mal was Neues.«

Ludmilla lächelte überlegen. »Allerdings.«

Lando kniete sich neben sie und zog sie zu sich. »Warum erzählst du diesem Wesen das alles? Was ist in dich gefahren?«, zischte er, so leise es ging.

Sie wehrte sich gegen seinen Griff: »Was soll das heißen?«

»Als wärst du nicht du selbst.« Er fing an zu stottern. »Als hätte dein Schatten von dir Besitz ergriffen. Wenn das überhaupt geht.«

Ich habe dir doch gesagt, dass dein eitler Freund vollkommen durchgedreht ist, höhnte Aik in ihrem Kopf.

Mit der freien Hand packte sie Lando am Oberarm und sah ihm verschwörerisch in die Augen. »Ich versuche nur, diesem Wesen eine Extravorstellung meiner Fähigkeiten zu geben. Das ist notwendig, wenn wir wollen, dass es uns ernst nimmt und mir gehorcht. Zumindest behauptet das Aik. Also mach mit«, flüsterte sie.

Der Formwandler blickte ihr forschend in die Augen.

»Bitte, vertrau mir«, fügte sie schnell hinzu.

Er seufzte unhörbar auf und wandte sich dann dem Wesen zu. »Du bist also ein Kobolddrache.«

»Mit dir unterhalte ich mich nicht«, fauchte der mittlere Kopf. »Du bist nur ein ordinärer Formwandler mit einem nicht gerade überdurchschnittlich mächtigen Schatten. Das ist unter meiner Würde.« Diese Aussage wurde mit einer abfälligen Grimasse des zweiten Kopfes unterstrichen. Lando pfiff durch die Zähne.

Ludmilla lächelte nur verkniffen, während sie ihren Griff wieder verfestigte. »Du hast nicht nur mir zu gehorchen, sondern auch höflich zu meinen Freunden zu sein«, zischte sie das Wesen an.

Ein Rauchwölkchen stob aus den Nasenlöchern des Kopfes, dessen Hals sie fest umschlossen hielt. Der Kopf in der Mitte nickte verdrossen. Die drei Köpfe des Kobolddrachen sahen alle unterschiedlich aus. Der feuerspuckende Kopf glich einem zu groß geratenen Gecko mit einer runden zahnlosen Schnauze, Schlappohren und Hörnern daneben sowie reptilienartigen Augen. Der Kopf in der Mitte dagegen glich am ehesten dem eines Drachen, so wie Ludmilla sich sie immer vorgestellt hatte, dank Fernsehen, Internet und Büchern. Er war ebenfalls reptilienartig, aber mit einer langen, spitz zulaufenden Schnauze, aus der Reißzähne hervorschauten, großen mandelförmigen Augen, spitzen Ohren, Hörnern daneben sowie einem kleinen Horn auf der Nase. Seine Augen glühten rot und schienen Feuer zu versprühen. Der dritte Kopf ähnelte einer Miniaturausgabe eines Ziegenkopfes mit einem langen Bart und ebenfalls kleinen Hörnchen neben den kleinen spitzen Ohren. Das war der Kopf, der ständig die Grimassen schnitt. Der gesamte Drachenkörper war mit Schuppen besetzt, und das Wesen glitzerte in allen schwarzen Facetten. Es hatte vier Beine, kleine Flügel, die auf dem Rücken saßen, und einen langen Schwanz, der unentwegt hin und her fegte. Ludmilla konnte kaum den Blick von ihm abwenden, so fasziniert war sie.

Sie hörte Aiks warnende Worte, die ständig in ihren Ohren klangen: Pass auf. Er ist klein, sieht lustig aus, seine Köpfe können schnell verwirren, aber er ist geschickt, ein brillanter Täuscher und gefährlich. Ein uraltes Wesen von Eldrid. Weder abhängig vom Licht noch von der Dunkelheit.

»Mit welchem deiner Köpfe sollen wir denn nun sprechen?«, fragte sie, um Aiks Warnungen zu übertönen.

»Es kann nur einer sprechen«, erklärte Lando trocken.

Ludmillas Kopf und auch alle drei des Drachen schnellten zu ihm herum. »Woher weißt du das?«

Ein unterdrücktes Rauchwölkchen kroch aus der Nase des Drachenkopfes, den Ludmilla wieder fester umfasst hielt.

Lando hob die Schultern. »Ich bin zwar noch nie einem begegnet, habe aber von ihnen gehört. Es gibt alte Geschichten und Lieder über Kobolddrachen. Da sie so selten gesichtet wurden, gelten sie als Legenden. Wie alle Drachen in Eldrid.«

Er wandte sich direkt an das Wesen. »Ludmilla hat dich also erweckt?« Seine Stimme wurde streng. »Wie heißt du?«

Das kleine Wesen schüttelte die Köpfe. Alle drei auf einmal. »Was denkt dieser Formwandler«, wandte sich Nouk an Ludmilla. »Das soll ein Freund von dir sein? Ich bin enttäuscht von meiner Erweckerin. Dieser Formwandler ist arrogant. Ich würde ihm am liebsten den Kopf flambieren. Darf ich?«

Sie funkelte ihn an, und er zwang sich, alle weiteren Bemerkungen innerlich zu Asche zu verbrennen. Beherrscht fuhr er fort: »Mein Name ist Nouk, und ich bin ein Kobolddrache, wie ihr schon richtig festgestellt habt. Du heißt Ludmilla und bist ein Menschenmädchen«, zischte er, als würde sein feuerspuckender Kopf sprechen. »Das habe ich begriffen. Auch dass du einen sehr mächtigen Schatten hast. Er hat mich geweckt, nicht du, das weißt du doch sicherlich.«

Wenn das so einfach wäre, murrte Aik.

»Nein, das weiß ich nicht, denn ich beherrsche meine Kräfte nicht immer so bewusst«, sprudelte es auf ihr heraus.

Lando versetzte ihr mit dem Ellenbogen einen Stoß in die Rippen.

»Es stimmt! Ich habe da etwas gesehen, einen Stein oder irgendetwas, und dachte, es könnte auch ein Wesen sein, und dann, plötzlich, war da tatsächlich etwas, das sich bewegte. Es ging alles so schnell«, erklärte sie Lando fast entschuldigend und schien die Anwesenheit des Kobolddrachens dabei vergessen zu haben.

Lando presste ihr die Hand auf den Mund. »Schweig jetzt. Nicht vor ihm.«

Sie riss die Augen auf, wollte noch etwas sagen, aber er schüttelte nur unwirsch den Kopf. Sie atmete tief durch, blickte ihm in die Augen und wandte sich wieder an Nouk.

»Das war ich, nicht mein Schatten, der dich gerufen hat. Mein Schatten hatte keine Ahnung.« Ihre Stimme war hart und fast zu laut für die Stille, die über dem Schattendorf lag, das nur wenige Meter von ihnen begann.

Das ist leider wahr, hörte sie Aik in ihrem Kopf. Ich hätte dieses Wesen nie gerufen.

Sie verdrehte genervt die Augen. Das weiß ich inzwischen auch. Wie oft soll ich dir noch sagen, dass es keine Absicht war? Woher sollte ich denn wissen, dass ich sowas kann?! Und jetzt sei bitte so gut und unterbrich mich nicht ständig.

Nouk konnte sich ein Zischen nicht verkneifen. »Das geht nicht«, keifte er los. »Ein Wesen und schon gar kein Mensch ist in der Lage, mich zu rufen. Es muss dein Schatten gewesen sein. Vielleicht solltet ihr an eurer Kommunikation arbeiten.«

Ludmillas Griff wurde automatisch wieder fester, und der Drache würgte und keuchte. »Lassen wir das«, befahl Ludmilla.

Einer der Nebenköpfe des kleinen Drachen nickte ergeben. »Du kannst mich jetzt loslassen, denn du bist meine Herrin. Ich unterstehe dir und deinem Willen und muss deine Befehle ausführen, bis du mich aus deinen Diensten entlässt.«

»Ah«, entfuhr es Ludmilla. »Gut zu wissen und jetzt, da du hier bist und mir dienen musst, sollten wir uns überlegen, wozu du uns nutzen könntest.«

Mit einer sehr langsamen und zögernden Bewegung ließ sie den Hals des Wesens los. Nouk schüttelte sich, spannte die Flügel auf und zu und setzte sich dann gehorsam neben seine Herrin.

»Mir würde da schon etwas einfallen«, tönte Eneas’ hohe Stimme über ihren Köpfen. Er schnaufte dabei.

Ludmilla lächelte erleichtert. Sie mochte es nicht, wenn sie sich aufteilten. Landos Verschwinden über dem Moor von Fenris saß ihr immer noch wie ein tiefsitzender Schreck in den Knochen. Und zu Eneas hatte sie eine tiefe Freundschaft entwickelt. Sie traute ihm mehr, als sie es je bei Uri vermocht hatte, und auch mehr als Lando, der zu viele Geheimnisse hatte und zu wenig aussprach.

»Und das wäre?«, fragte sie.

»Er soll für uns das Schattendorf auskundschaften. Ich komme da nämlich nicht rein.« Sein riesiger durchsichtiger Körper wurde sichtbar, und er ließ sich auf den Boden nieder. Kleine Funken sprangen von ihm ab, während er interessiert den Kobolddrachen betrachtete.

»Ein Kobolddrache?«, wandte er sich an Lando.

»Du kennst die Legenden also auch?«

Eneas nickte. »Im Land der gleißenden Farben sind Kobolddrachen eine Geschichte, die den Kindern erzählt wird. In erster Linie erzählen wir sie, damit sie dem Land der Nuria nicht zu nahe kommen. Hier leben nämlich die Kobolddrachen, nicht wahr?«

Er funkelte Nouk an.

Dieser starrte fasziniert zurück. »Ein Unsichtbarer. Das sind ja mal interessante Freunde. Dabei brauchst du mit solch einem mächtigen Schatten gar keine Begleitung. Und dann suchst du dir ausgerechnet einen Formwandler und einen Unsichtbaren aus?« Der grimassenschneidende Kopf pfiff durch die Zähne.

»Ich glaube nicht, dass dich das etwas angeht«, konterte sie. »Also, du hast gehört, was Eneas gesagt hat. Du sollst das Schattendorf für uns auskundschaften.«

Nouk warf Eneas und Lando einen verachtenden Blick zu und nickte mit seinem Hauptkopf. Noch bevor Ludmilla etwas ergänzen konnte, erhob er sich in die Lüfte und verschwand in der Schwärze des Himmels. Er ließ eine kleine Stichflamme über ihren Köpfen explodieren und lachte laut, als die drei zusammenzuckten.

Im Land der Nuria

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