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1.1Leben zwischen unbegrenzten Möglichkeiten und Risiko

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Wenn wir uns das Leben von Menschen heute anschauen, dann beschreiben zahlreiche Wissenschaftler die aktuelle Zeit als herausfordernd, risikobehaftet, schnelllebig und verunsichernd. Viele junge Menschen brauchen viele Jahre im Beruf, bevor sie sich auf eine Festanstellung freuen können. Der Soziologe Ulrich Beck hat dieses Phänomen bereits Ende der 1980er-Jahre als Leben in der Risikogesellschaft beschrieben (Beck 1986). Demgegenüber scheint es auf der anderen Seite eine unendliche Anzahl von Möglichkeiten zu geben, für die sich Menschen aktuell entscheiden können. Nicht selten wird das Ausbalancieren dieser zwei Pole, Risiko auf der einen und unbegrenzte Möglichkeiten auf der anderen Seite, als eine der wesentlichen Aufgaben in der heutigen Gesellschaft beschrieben. So konstatiert der Schulpädagoge und Didaktiker Theodor Schulze, in früheren Gesellschaften seien »die Rahmenbedingungen für die Gestaltung einer individuellen Lebensgeschichte für die meisten Menschen verhältnismäßig übersichtlich und kontinuierlich durch kulturelle und standes- und schichtspezifische Muster und durch laufbahnbezogene Institutionen vorgezeichnet und geordnet« gewesen (Schulze 2003, S. 66). Im Unterschied dazu seien in »der fortgeschrittenen modernen Gesellschaft … viele dieser Rahmenbedingungen durchlässig und instabil geworden … Die Zahl der lebensgeschichtlich bedeutsamen Entwürfe und Entscheidungen haben sich vervielfacht« (ebd.).

Ähnlich beschreibt die Soziologin und Psychotherapeutin Margret Dörr die neuen Anforderungen an die Individuen (Dörr 2010, S. 35):

»Die beschleunigte Veränderungsdynamik der modernen Gesellschaft, die in der Soziologie mit den Stichworten ›Individualisierung‹, ›Enttraditionalisierung‹, ›Entstandardisierung‹, ›Säkularisierung‹ begriffen wird, hat mit dazu geführt, dass Menschen sich in neuer Weise der eigenen Selbstbilder und Identitäten zu versichern suchen.«

Der Sozialpsychologe Heiner Keupp kommt zu einer vergleichbaren Einschätzung der Gesamtsituation (Keupp 2013, S. 28):

»Individualisierung, Pluralisierung, Flexibilität und Mobilität gehören also immer mehr zu den Normalerfahrungen in unserer Gesellschaft. Sie beschreiben strukturelle gesellschaftliche Dynamiken, die die objektiven Lebensformen von Menschen heute prägen.«

Eine besonders herausfordernde Seite dieser Entwicklung beschreibt der Soziologe und Regionalforscher Bernhard Haupert im Zusammenhang mit einem zu beobachtenden tief greifenden strukturellen Wandel in den Generationsverhältnissen – die Entwicklung hin zu einer »präfigurativen« Kultur, wie die US-amerikanische Ethnologin Margret Mead (1971) es genannt hat, in der die Alten und Erwachsenen von den Jugendlichen lernen (Haupert 2010, S. 88):

»Die Kultur befindet sich in einer Pioniersituation, in welcher unbekannt ist, was das Neue sein wird … Der geforderte ständige Wandel erreicht eine Dimension, welche die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der Erwachsenen überfordert. Dabei stehen für generative Krisen und die Krisen des Erwachsenwerdens keine erprobten Muster mehr zur Verfügung, an denen sich die Heranwachsenden orientieren können.«

Da die großen Metainstitutionen wie Kirche, Staat etc. zu zerbrechen drohen, »fehlen immer mehr die übergreifenden generativen Diskurse (Meta-Erzählungen), die milieu- und generationsübergreifend Sinn stiften« (ebd.). Haupert zieht folgende Zwischenbilanz der aktuellen Verhältnisse (ebd., S. 89):

»Die Pluralisierung von Lebenslagen erfordert eine hohe Wachsamkeit des Individuums, um mögliche Chancen zu erkennen und entsprechend zu reagieren. Dazu ist hohe Frustrationstoleranz, Anpassungsbereitschaft und Flexibilität notwendig.«

Im Hinblick auf die Lebenssituation von Jugendlichen kommt Keupp zu einer ähnlich kritischen Einschätzung (Keupp 2013, S. 19 f.): Deren Lage sei heutzutage

»in der sozialen Lebenswelt durch eine eigentümliche Spannung gekennzeichnet: Einerseits sind schon für Jugendliche die Freiheitsgrade für die Gestaltung der eigenen individuellen Lebensweise sehr hoch. Andererseits werden aber diese ›Individualisierungschancen‹ erkauft durch die Lockerung von sozialen und kulturellen Bindungen. Der Weg in die moderne Gesellschaft ist, so gesehen, auch ein Weg in eine zunehmende soziale und kulturelle Ungewissheit, in moralische und wertemäßige Widersprüchlichkeit und in eine erhebliche Zukunftsunsicherheit.«

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