Читать книгу Die Missionen 141-150 der Raumflotte von Axarabor: Science Fiction Roman-Paket 21015 - Antje Ippensen - Страница 29
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Оглавление„ Hey Mann, verdammt, mach jetzt nicht schlapp!“ Rob Darkin packte seinen Ersten Offizier an den Schultern und schüttelte ihn. Ellam Espinosa war kaum noch bei Bewusstsein, seine Augen verdrehten sich und aus seinem Mund blubberte Blut. Höchste Eile war geboten! Die drei Überlebenden steckten in ultraleichten Schutzausrüstungen und kommunizierten über Funk, aber so ging es nicht weiter, Darkin musste unbedingt direkten Kontakt mit Espinosa haben, um ihm zu helfen – und der ungeschickte Professor Kvight brauchte so elend lange für den Aufbau des Atmosphärenzeltes. Im Augenblick aber traute sich der Kapitän nicht, Espinosa auch nur eine Sekunde alleinzulassen, aus Furcht, dieser würde in seinem eigenen Blut ertrinken.
Er beschränkte sich also darauf, Kvight barsch anzuherrschen und ihn anzutreiben. So ein verfluchter Sternenmist, dass er gezwungen gewesen war, diesen zaghaften, nichtsnutzigen Zivilisten mitzunehmen!
Endlich hatte der Professor es, mit zitternden Händen, doch geschafft, das Zelt aufzuschlagen. Darkin schleppte Espinosa hinein und Kvight zwängte sich ebenfalls durch den Eingang, um diesen dann hinter sich zu versiegeln. Geräuschvoll aufatmend schälte sich der kaum mittelgroße, dicke Professor aus seinem Protector, wie man der Einfachheit halber die ultraleichten Anzüge nannte. „D-der Asteroid ist wirklich ein ungemütlicher Ort, nicht wahr?“, piepste Kvight. Darkin befreite seinen Ersten und sich ebenfalls aus den Protectoren, ohne den Professor eines Wortes zu würdigen.
Espinosa wurde wieder ein bisschen wacher, sein Blick klärte sich und nachdem es seinem Kapitän gelungen war, die Blutung mithilfe eines Notfallsprays zu stillen, konnte er auch sprechen. „Sir, es hat mich voll erwischt, oder?“, presste er mühsam hervor. Schweißverklebt und dunkel klebte ihm das sonst mittelblonde Haar an der Stirn und an den Schläfen.
„ Bleib ganz ruhig, Ellam“, sagte Darkin. „Wir schaffen das schon.“
Das Zelt bot gerade Platz für die drei Männer. Da der Verwundete ausgestreckt am Boden lag, pressten sich die beiden anderen gegen die Wände.
„ Aber wie, Sir?“, gurgelte Espinosa. „Wir – wir sind abgestürzt, niemand kennt diesen Felsbrocken im All, niemand weiß ...“
„ Ich hab’s noch geschafft, eine interstellare Rufdrohne abzusetzen“, unterbrach Darkin. „Wir müssen nur durchhalten.“ Sein Erster spuckte wieder etwas Blut, und er steckte ihm nochmals den Spraydosenkopf in den Mund, gab ihm einen kräftigen Sprühstoß.
Als hätte er mit Ellams Pessimismus nicht schon genug an der Backe, fing nun Professor Kvight ebenfalls mit Gejammer an. Espinosa hatte eine Entschuldigung, er war verletzt – aber wieso zum Teufel musste ihn dieser nutzlose Akademikerarsch auch noch stressen?!
„ Durchhalten, sagen Sie – und wie lange? Wird die Drohne überhaupt ihr Ziel erreichen, wird irgendjemand den Ruf hören? Und selbst wenn, ich meine, es ...“
„ Hören Sie auf, Professor! Was hilft uns Ihre Schwarzmalerei? Haben Sie schon das Notfallset gecheckt oder Ihre Umgebungsanalyse abgeschlossen?“
Kvight schüttelte den Kopf. Er wirkte wie ein Tier im Käfig. Eine fette Ratte vielleicht.
„ Dann los! Worauf warten Sie noch?!“, fuhr Darkin ihn an, um sich dann wieder Espinosa zu widmen. Er wollte verflucht sein, wenn er noch ein Mitglied seiner Mannschaft verlor. Ich muss herauskriegen, ob er innere Blutungen hat, ob sich gerade eine Rippe in seine Lunge bohrt. Oder ihn wenigstens am Leben halten, bis Rettung eintrifft. Es war wie ein dumpfer Stich in seinen Eingeweiden, dass ihm wahrscheinlich nur das blieb. Wie hatte er nur zulassen können, dass es so weit gekommen war? Mit aller Macht drängte er diesen peinigenden Gedanken zurück, denn so etwas drohte ihn zu schwächen, und Schwäche konnte er jetzt am allerwenigsten gebrauchen. Nicht einmal eine Sekunde lang.
Seine medizinischen Kenntnisse wiesen Lücken auf, aber nach einer Weile schienen seine Bemühungen doch von Erfolg gekrönt zu sein. Es gelang ihm die Blutung zu stillen und Espinosa wirkte stabil. Und der Professor verrichtete schweigend seine Arbeit, ohne erneut zu zicken. Gut.
Darkin erlaubte sich – nur innerlich – ein erleichtertes Aufatmen, als sein Erster ihm dankbar die Hand drückte und sich sogar ein schwaches Lächeln abrang. Außerdem hielt das Atmo-Zelt, was auch schon an ein Wunder grenzte.
„ Was tun wir als Nächstes, Kapitän?“ In Espinosas Augen war wieder etwas Glanz.
Kapitän! Ich hab kein Schiff mehr und keine Mannschaft. Der Gedanke schmeckte bitter. Sehr bitter.
„ Nichts“, antwortete er knapp und versuchte, trocken und cool rüberzukommen. Er fühlte sich nicht so. Er war voller Hass und Wut. Der Hass drohte seine Brust zu sprengen wie ein feuriger Schweifstern. Er hasste sie mit aller Kraft.
„ Ich habe den Annäherungsalarm aktiviert.“ Das war wieder der kugelförmige Professor, kurzatmig schnaufend, obwohl er doch kaum etwas vollbracht hatte. Jede körperliche Anstrengung rief im Dicken direkt solche Reaktionen hervor. Wieso durfte er überleben und die fähigsten Leute meiner Crew mussten dran glauben?!
„ Gut“, sagte Darkin kurzangebunden, und zu Espinosa gewandt: „Du ruhst dich jetzt aus. Das ist ein Befehl.“
„ Ja, Sir.“ Doch bevor Ellam gehorsam die Augen schloss, sah Darkin Angst in ihnen aufflackern. Das machte ihm mehr zu schaffen als alles andere zuvor. Sein mutiger Erster Offizier, mit dem zusammen er schon so manche gefahrvolle Mission gemeistert hatte, fürchtete sich!
Und ich verstehe ihn verdammt gut, dachte der Kapitän des Raumschiffes CARPE DIEM, das jetzt nur noch Geschichte war. Zum ersten Mal kam er dazu, über das Geschehene nachzudenken. Wobei Kvight davon nichts mitkriegen musste. Er warf ihm einen bösen Seitenblick zu. Darkin erkannte plötzlich, dass er nicht nur eine heftige Abneigung gegen den Professor hegte, sondern dass er ihm auch zutiefst misstraute. Und wieso? Weil es sein konnte, dass er etwas abbekommen hatte. Darkin selbst und auch Espinosa, sie waren dem Zeug ausgewichen, hatten keinerlei Kontakt damit gehabt, dessen war er sich absolut sicher. Aber Kvight? Er war nah dran gewesen! Und das hieß, er konnte infiziert sein, oder wie man es sonst nennen wollte. Besetzt. Erobert. Ja, das klang treffender. Eisbröckchen schienen langsam sein Rückgrat hinabzurutschen.
„ Dieser Asteroid ist scheußlich“, beklagte sich Kvight zum wiederholten Male. „Ich hoffe, unsere Notenergie reicht noch eine Weile – und äh, ein Spaziergang draußen wäre eine eher schlechte Idee. Die Strahlung, die verrückten Gravitationsschwankungen; nein, nein, dies ist wirklich nicht der Platz, an dem ich meinen Urlaub verbringen würde.“ Er krächzte, was wohl einen misslungenen Versuch zu lachen darstellen sollte.
Wahrscheinlich wollen Sie lieber nach Aquandia zurück, Kvight. Zu Ihrer nutzlosen Forschungsarbeit, durch die Sie die Katastrophe nicht verhindern konnten!
Der Kapitän biss die Zähne zusammen, rang um Selbstbeherrschung, damit er das nicht laut aussprach. Dann ließ er die Geschehnisse Revue passieren.
Es hatte zunächst so sehr nach einem leicht zu erledigenden Auftrag ausgesehen. Zwar nicht gerade vollkommen belanglos – was die Spurensuche nach den verschollenen Raumschiffen aus der Gründerzeit anging, lief nichts routiniert ab – aber die Menschen hatten sich gemeldet; aufgrund eines lokalen Effektes waren erst drei Jahrhunderte seit ihrem Eintreffen verstrichen, so dass sie wertvolle, geradezu taufrische Informationen über ihre Reise hätten liefern können. Hätten.
Beim Anflug auf den kleinen, aber dafür wasserreichen Planeten sah alles normal und vielversprechend aus, und Darkins Crew freute sich auf die Begegnung mit diesem Teil der kosmisch-menschlichen Geschichte. Zunächst gingen allerdings nur drei Leute von Bord. Ein paar Funk- und einige leicht verzerrte Videobotschaften hatten sie bislang ausgetauscht, daher wussten sie, es waren wirklich Menschen, ungewöhnlich viele von ihnen rothaarig, und die Verzerrungen waren auf gewisse Eigenschaften in der Atmosphäre von Aquandia zurückzuführen. Aus passender Entfernung sah der Planet wie eine Lapislazulikugel aus, komplett mit den goldenen Einsprengseln: gelbe Schwefelwasserstoffwolken. Und genau die waren auch der Grund, weshalb es auf dem Planeten an sehr vielen Orten nach faulen Eiern stank.
„ Ein so hübscher Planet sollte keinen so üblen Eigengeruch haben“, meinte Ellam Espinosa dazu. „Er sollte vielmehr nach Lavendel duften oder süß-zitronig wie diese pinkfarbenen Zuckerblumen auf Floramar, kennst du die, Kapitän?“
„ Ja“, erwiderte Darkin knapp, während er sich aufmerksam umschaute. Er und Ellam waren bislang als einzige mit einem Gleiter auf Aquandia gelandet und warteten nun auf das Begrüßungskomitee. Für die Landung eines ausgewachsenen Raumschiffes gab es auf dem Planeten kaum Platz. Sie hätten über den Wellen schweben können mit der CARPE DIEM, aber die Aquandianer hatten das mit höflichen Worten abgelehnt und sie aufgefordert, im Orbit zu bleiben. Die gesamte Welt wurde von Wasser beherrscht, es gab keinen einzigen Kontinent, sondern nur wenige Inseln, locker über die riesigen Ozeane verstreut, und keins von diesen Eilanden war sonderlich groß. Wunderschön und rätselhaft, glänzend in verschiedenen Blautönen von Türkis bis hin zu Violett, erstreckten sich die fast grenzenlosen Meere bis zum Horizont.
„ Wie überlebt man auf einer solchen Welt?“, fragte Darkin Jestadus, den riesenhaften rotlockigen Mann, der sie in den Empfangsturm geleitete und dabei fast wie ein Touristenführer plauderte. Alles, was ihm so über Aquandia durch den Kopf schoss, plauderte er aus, und manchmal geriet ihm das recht konfus, da der Zusammenhang fehlte.
„ Oh, es war wirklich alles andere als einfach“, sagte Jestadus, und in seinen graugrünen Augen flackerte es kurz. „Der Planet hat sich anfangs regelrecht gegen uns gestellt. Wir haben genau Buch darüber geführt, wie oft unsere Behausungen auf den Inseln überflutet oder durch Tornados zerstört wurden – bis wir lernten, diese Türme zu bauen.“
Beeindruckt blickten die beiden Offiziere zu dem weißen Turm auf, vor dem sie jetzt standen. Er wirkte wie ein Leuchtturm, war rund und strebte himmelwärts zu den goldgelben Wolken, und er bestand aus einem Material, das Darkin und Espinosa nicht im entferntesten zuordnen konnten. Der Kapitän strich über die Außenwand, und es fühlte sich warm und knisternd und dann wieder kühl an, das Gefühl veränderte sich, es war fast so, als hätte er über etwas Lebendiges gestrichen.
Im Innern des Turmes hörten sie das ewige Donnern der Wellen nicht mehr und eine zierliche, reizende junge Frau namens Mazeka, die ihr dunkelrotes Haar in einer aufwändigen Hochsteckfrisur trug, lachte ihnen nervös entgegen. Sie erinnerte Darkin an eine seiner Exfreundinnen, die auch immer so lachte, wenn sie ihm etwas Unangenehmes nicht sagen wollte. Aber dieser Gedanke kam ihm nur flüchtig und wehte vorbei wie eine Feder im Wind. „Wir sind ja alle so aufgeregt!“, zwitscherte das zerbrechlich wirkende Persönchen. „Endlich Kontakt, endlich ein Besuch von ‚Draußen-Menschen‘!“ Ihre zarten Hände waren ohne Unterlass in Bewegung, tupften am Haar herum, wedelten durch die Luft und strichen über ihre Kleidung.
Darkin lächelte sie freundlich an. „Wir freuen uns sehr, dass Sie diesen Schritt gewagt haben“, sagte er diplomatisch. Er sagte nichts davon, dass Axarabor recht verwundert über das lange Zögern der Aquandianer war; jahrzehntelang hatten sie sich geweigert, auch nur einen einzigen axaraborianischen Vertreter auf ihrer kleinen Lapislazuliwelt zu empfangen, und sie hatten keinerlei Begründung für ihr Verhalten genannt, sich immer geschickt drumherum gewunden und sich in vage Geheimniskrämerei gehüllt.
„ Ich bringe Sie beide direkt vor unsere obersten Verwalter, die Regenten, wenn Sie so wollen“, erklärte Mazeka, „und sagen Sie, ist es wahr, dass Sie auch einen Wissenschaftler mitgebracht haben?“ Das Wort Wissenschaftler sprach sie aus wie Heiliger .
„ Ja“, bestätigte Darkin, „Professor Zelu Kvight, Meeresbiologe und Ozeanologe, ist schon sehr gespannt darauf, Aquandia zu erforschen. – Ihre Vorfahren waren also allesamt Vertreter der Wissenschaft?“
Sie nickte heftig, mit einem entrückten Gesichtsausdruck. „Oh ja! Und noch dazu hatten sie alle sich darauf spezialisiert und, ja, verpflichtet, auf der auserwählten neuen Welt die vorhandenen Elemente und Materialien zu nutzen und sich in ihren Fähigkeiten zu vernetzen, also optimal zusammenzuarbeiten. Das hat unser Forschervolk gerettet. Das hat uns überhaupt in die Lage versetzt, diese Kolonie zu gründen, auf einem zwar unbewohnten, aber extrem feindseligen Planeten. Und nun schauen Sie ihn sich jetzt an! Ein halbes Paradies.“
Halbes? Ja, das mag wohl stimmen, dachte Darkin. Er fand auch die Bezeichnung ‚feindseliger Planet‘ eigenartig. War das etwa wissenschaftlich? Und er stellte fest, dass Mazekas Nervosität während ihrer Schilderung merklich zugenommen hatte.
Auf Aquandia schien absolutes Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern zu herrschen; so waren auch die obersten Verwalter ein Paar, Mann und Frau, er ausnahmsweise glatzköpfig, sie rotblond. Sie stellte sich als Carena vor, er als Cohen.
Weisungsgemäß versuchte Darkin herauszufinden, weshalb Aquandia gerade jetzt Kontakt gestattete. Was steckte dahinter? Was stimmte hier nicht? Er fand es – erschreckend, sich jetzt schon diese Frage stellen zu müssen, aber in Espinosas Augen sah er seine eigene Besorgnis widergespiegelt. Mehr aber auch nicht. Da gab es keine warnende Stimme, die ihm riet, sofort von hier zu verschwinden. Im Gegenteil, Aquandia interessierte ihn sehr, und er wollte gern selbst dieses Rätsel lösen.
Nachdem ihm das Empfangskomitee so verwirrt vorgekommen war, hatte er keine großen Erwartungen in Bezug auf Carena und Cohen, doch sie überraschten ihn angenehm. Erstmals hörte er klare, bestimmte Worte und schien alles so, wie es einer Wissenschaftskolonie entsprach.
Die üblichen höflichen Begrüßungsfloskeln waren schnell ausgetauscht, und dann sagte Carena mit ruhiger Stimme: „Hoffentlich hat Sie das Verhalten einiger Aquandianer, mit denen Sie bereits zu tun hatten, nicht allzu sehr befremdet, Kapitän Darkin. Sie müssen wissen, jahrhundertelang waren wir Anhänger der Reinen Wissenschaftlichen Lehre, hielten uns fern von allen sogenannten ‚Einflüssen der Verderbtheit‘ und hatten zudem Übles über das aktuelle Reich Axarabor gehört. Vermeintlich freie Handelsschiffe, über die wir nun lernen mussten, dass es Piraten gewesen sind, verbreiteten allerlei Unwahrheiten über das Reich und dessen angeblich brutale Raumflotte. Dabei wird es für uns höchste Zeit, unsere selbstgewählte Isolation aufzugeben, denn ...“ Sie stockte einen Moment und hob unschlüssig die Hände, „wie fange ich am besten an ...“
„... die Wahrheit ist, wir können Hilfe nötig gebrauchen“, ergänzte Cohen, den Carena lächelnd gewähren ließ. „In letzter Zeit ist die Bevölkerung Aquandias stark gewachsen, durch verbesserte Algennahrung, und wir kommen nicht weiter bei der Landgewinnung. Was auch immer wir versuchten, es schlug fehl. Aquandias Meere sind keine gewöhnlichen Gewässer, und trotz all der vielen Jahre, in denen wir sie erforscht haben, geben sie uns immer noch gewaltige Rätsel auf. So dass wir einfach darauf hoffen, Außenstehende mit frischen Ideen, mit dem berühmten fremden Blick und mit eigenen Erfahrungen, könnten uns ein fehlendes Puzzleteil liefern, damit unser Weiterbestehen möglich ist! Im Austausch dazu bieten wir Handelsbeziehungen oder worüber auch immer wir uns in entsprechenden Verhandlungen einigen können.“
Das klang wirklich recht vernünftig. So erklärte sich tatsächlich das seltsame Benehmen der anderen Aquandianer – sie hatten wahrscheinlich Angst, die große, mächtige Raumflotte verärgert zu haben. Darkin unterdrückte ein Lächeln. Ja, das war plausibel. Ein schlechtes Gewissen konnte wirklich dazu führen, dass man konfus redete und nervöse Wirrsal verbreitete. Der Kapitän der CARPE DIEM spürte regelrecht, wie sein Misstrauen, das angeschlagen hatte wie ein wachsamer Hund, sich wieder in der Mittagssonne zusammenrollte und zu schnarchen anfing. Ähnlich ging es Espinoza, das sah er ihm deutlich genug an.
Nachdem sie sich noch einen halben Tag lang umgesehen und dies und jenes überprüft und diverse Informationen gesammelt hatten, schien es den beiden Offizieren sicher genug, den bereits ungeduldig auf der CARPE DIEM wartenden Professor Kvight dazuzuholen. – Rob Darkin erinnerte sich glasklar, dass er zu jenem Zeitpunkt den Wissenschaftler geschätzt und sogar gemocht hatte.
Dort auf Aquandia war er vollkommen in seinem Element gewesen, hier auf dem Asteroiden hingegen benahm er sich wie ein Fisch, den man aus dem Wasser gezogen hatte und der nun hilflos auf scharfkantigem Gestein zappelte und nicht atmen konnte. Auf einmal merkte Darkin, wie etwas mehr Verständnis für Kvight in ihm aufkeimte. Diese Sache hatte er sich bis jetzt nicht so richtig bewusst gemacht. Er erinnerte sich, wie begeistert Kvight gewesen war. Anfangs jedenfalls.
Zelu Kvight kam und machte sich enthusiastisch ans Werk. Er hatte seine gesamte Ausrüstung dabei, flitzte herum und schien fünf Messungen gleichzeitig zu machen. Begleitet von mehreren Aquandianern, die sich ihm komplett unterordneten, nahm er Wasserproben, um sie an Ort und Stelle zu untersuchen.
Darkin und Espinosa beobachteten ihn von der schneeweißen Außentreppe des Turmes, die sich spiralförmig bis ganz nach oben zog; sie standen an einer Stelle, von der aus sie die Gruppe gut überblicken konnten.
„ Nicht doch, nicht doch!“ Kvights Zetern drang deutlich an ihre Ohren. „Nicht die Lösung da hinein, sondern dort!“
Die beiden Offiziere grinsten sich an.
„ Meinst du, dass er den Leuten hier helfen kann?“, fragte Espinosa.
Darkin zuckte die Schultern. „Könnte ich mir vorstellen. Immerhin ist er eine Koryphäe auf seinem Gebiet.“
„ Dann können wir ja mal gespannt sein auf seinen ersten Bericht“, meinte sein Erster. Es klang etwas skeptisch.
Aber in der Tat leistete Kvight hervorragende Arbeit. Nicht einmal das Abregnen einiger Schwefelwolken, was den unterschwelligen Geruch nach faulen Eiern penetrant verstärkte, störte ihn, und was er ihnen später vortrug, war wirklich phantastisch – und auf bizarre Weise informativ. Vereinbarungsgemäß erstattete er zunächst Darkin und Espinosa Bericht.
„ Es ist eigenartig“, begann er, „dieses Wasser ist voller Leben, und doch entdeckte ich keinen einzigen Fisch. Keine Meeresfrüchte oder Krebse, keine Wasserpflanzen außer einer einzigen Algenart. Das ist die, von der sich die Aquandianer ernähren. Sie unterhalten riesige Unterwasserplantagen, die aber gleichzeitig – also, auf den meisten Welten würden wir es Monokultur nennen. Nicht gut fürs Ökosystem, aber ob die hiesigen Meere dadurch irgendeinen Schaden davontragen, lässt sich schwer beurteilen. Sie sind ... anders. Dann ist da eben noch dieses Meerwasser selbst – ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass ich so etwas noch nie zuvor untersucht habe. Das Wasser hat teilweise eine ganz andere Struktur, und zwar eine fädig-schleimige. Im Reagenzglas jedoch, unter Beobachtung, verwandelte es sich zurück in vollkommen gewöhnliches Wasser. Mit Mikroorganismen, aber von diffuser Art.“
„ Ah, was mit Quantenmechanik!“, seufzte Espinosa.
Kvight gab sein keckerndes Lachen von sich, wie ein übergewichtiges Eichhorn. „Ich behaupte auch gar nicht, dass ich mehr als einen Bruchteil davon verstehe. Ein bisschen ist es doch wie mit den M-Fasern, oder? Sie sind zwar bis ins Kleinste erforscht, aber doch bleibt ein Rest Geheimnis und sie überraschen einen immer wieder.“
„ Und haben Sie schon einen Weg gefunden, wie wir den Aquandianern bei der Landgewinnung helfen könnten?“
„ Ich arbeite noch dran.“ Kvights fröhliche Miene verfinsterte sich. „Obwohl ich mich manchmal frage, ob wir da nicht vorsichtiger sein sollten. Natürlich verstehe ich, dass man hier sehr beengt lebt, sich weiterentwickeln und ausbreiten will. Und alle anderen Möglichkeiten wurden ausgeschöpft; beim besten Willen können die Türme nicht höher gebaut werden und weder auf dem Wasser noch unter Wasser gibt es Siedlungsraum; die Bedingungen auf Aquandia lassen es einfach nicht zu. Und im Übrigen bin ich noch immer nicht dahintergekommen, aus welchem Baustoff die Gebäude bestehen. Es wirkt ein bisschen wie Lehm, doch auf keiner der Inseln finden sich entsprechende Abbaugebiete. Zum Meeresgrund ist noch nie jemand hinabgetaucht, die Ozeane sind einfach zu tief. Irgendetwas ist hier rätselhaft. Und die Kolonisten, die sonst so offen sind, hüllen sich hier in einen Mantel aus Geheimniskrämerei. Wenn es nicht so unwissenschaftlich klingen würde, dann würde ich sagen, dass hier mystische Kräfte walten.“
Bei dieser letzten Bemerkung schürzte Darkin nur ungeduldig den Mund und winkte ab. „Ich kann Carena und Cohen auf den Baustoff ansprechen, wenn Sie das wünschen, Professor.“
„ Danke, aber ich will mich lieber nicht verzetteln. Sie könnten ja ein weiteres Forschungsteam auf diese Sache ansetzen.“
Darkin erwog dies eine Weile ernsthaft, kam aber zu keiner endgültigen Entscheidung. Es gab genug anderes zu tun, zu lernen, zu erfahren, und dieses Nebenphänomen zu erforschen, das die Siedler offenbar nicht preisgeben wollten, hätte womöglich die diplomatischen Beziehungen gefährdet. Vielleicht, vermutete er, hatten die Aquandianer das Baumaterial auf nicht ganz koschere Weise von Piraten erworben.
Sie blieben also vorerst zu dritt auf dem kleinen Planeten, der einer nach Schwefel riechenden Lapislazulikugel glich.
Schon zwei Tage später meldete Professor Kvight erste Erfolge. Frohgemut berichtete er, dass es ihm gelungen sei, da anzusetzen, wo die Aquandianer verzweifelt aufgegeben hatten.
„ Ich musste den Trockenlegestrahl von Grund auf neu strukturieren und umkonstruieren. Und obwohl das nicht gerade mein Fachgebiet ist, habe ich es hingekriegt.“ Er strahlte vor Stolz aus allen Poren und überdeckte damit mühelos die eher matte Begeisterung, die die Aquandianer an den Tag legten, auch das Team, das zusammen mit dem Professor arbeitete. Den Bericht hörte sich der Kapitän der CARPE DIEM vor Ort an, direkt an der felsigen Küste von Insel Nummer 7. (In der Namensgebung ihrer Inseln waren die Aquandianer einfallslos; sie hatten sie einfach nur durchnummeriert). Diese beherbergte auch den Regierungsturm.
Störte der Schwefelgestank die anderen auch so sehr wie ihn? Waren sie deshalb so freudlos, obwohl die Lösung ihrer Landnotprobleme in greifbare Nähe rückte? Darkin konnte sich kaum auf Kvights Rede konzentrieren, so unangenehm fand er das. Er musste an Kriege mit biologischen Waffen denken, in denen er bereits gekämpft hatte. Eine Gasmaske wäre die Lösung gewesen, doch dieser Gedanke kam ihm zu spät. Er war direkt an den Kieselstrand geeilt, als Kvight seinen „Ich hab’s gefunden-Ruf“ losgelassen hatte.
Kurz darauf, als sie sich in ihrem Gästequartier aufhielten geschah etwas, was Darkin erneut beunruhigte. Espinosa, kehrte von einem Kontrollrundgang zurück und raunte seinem Käptn zu, dass die persönlichen Chips inaktiv waren. „Nicht nur meiner – ich habe es gecheckt. Habe zuerst noch an eine einfache Fehlfunktion geglaubt, aber es ist mehr.“
„ Isolierte Störung? Ist unser Gleiter noch funktionsfähig?“, wollte Darkin sofort wissen.
„ Er fliegt“, bestätigte Espinosa. „Komisch, Sir, ich habe auch direkt daran gedacht, obwohl’s doch unwahrscheinlich ist. Wieso werden wir diese dumpfen Verdachtsmomente nicht los, Käptn? Ich fang schon an, paranoid zu werden und an Sabotage zu denken, obwohl von den Aquandianern nichts anderes kommt als Freundlichkeit und der Wunsch nach unserer Hilfe.“
„ Ja. Ich weiß genau, was du meinst. Wir können also im Augenblick keinen Funkkontakt zur CARPE DIEM aufnehmen?“
Sein Erster schüttelte den Kopf. „Ist vermutlich noch kein Grund, Alarm auszulösen, aber ...“
„ Doch.“ Darkins Entschlusslosigkeit fiel von ihm ab wie eine alte Schlangenhaut.
„ Ellam, du informierst den Professor. Und zwar auf diskrete Weise, klar? Ich probiere es noch einmal mit dem Regentenpaar, ebenfalls vorsichtig, aber in der Zeit machst du alles bereit für einen Fluchtstart unseres Gleiters. Ich traue dem Braten nicht.“
„ In Ordnung, Sir.“ Sie trennten sich, und Darkin begab sich unverzüglich zum Office von Cohen und Carena, in der Turmspitze gelegen. Er wusste im Grunde gar nicht, was er eigentlich befürchtete. Die Kolonisten, die sich mittlerweile Aquandianer nannten, hatten einen unbewohnten Planeten für sich erobert und, so gut es ging, urbar gemacht; einen Planeten, der zwar ein paar seltsame Beschaffenheiten aufwies, aber keineswegs „feindselig“ wirkte – nun gut, und die Leute hier, die waren auch ein bisschen eigenartig, mit verschrobenen Ansichten vielleicht, wie es im Übrigen fanatischen Wissenschaftlern oft zu eigen war – und doch, hatten sie nicht das Recht, einer fremden Macht gegenüber – und nichts anderes stellte Axarabor in Aquandias Augen dar – ihre Geheimnisse zu wahren. Auch wenn das natürlich recht dumm war, überlegte Darkin, denn schließlich brauchen wir ehrlichen Informationsaustausch, wenn wir helfen sollen. Seine Gedanken drehten sich im Kreis, und das machte ihn langsam sauer. Dann hatte er auch noch den Eindruck, dass die weißen Turmwände flüsterten. Natürlich nichts als Einbildung. Er war ziemlich angepisst.
Er wurde rasch empfangen und ihm fiel sofort die ungesunde Blässe der beiden auf. Besorgt erkundigte er sich, ob sie vielleicht krank seien, was sie aber verneinten. Auch wunderte sich der Raumflottenkapitän über die hohe Luftfeuchtigkeit hier im Raum; eigentlich hatten die Aquandianer die Temperaturregelung in ihren Türmen doch sehr gut im Griff. Die Solarenergie reichte vollkommen aus für Klimaanlagen. Aber hier drin war es auf einmal so feucht, dass er sich winzige Tropfen von den Wangen wischen musste. Darkin erkundigte sich nach eventuellen Störfeldern in der Atmosphäre des Planeten, die womöglich den Funkverkehr lahmlegten. Und beiläufig streute er noch die Frage nach dem Baustoff der Türme ein, während es gleichzeitig in ihm vor unterdrücktem Ärger brodelte.
Als er diese doch eher, wie er meinte, harmlose Frage stellte, wich allerdings das letzte bisschen Farbe aus den Gesichtern der zwei, doch alles, was Carena sagte, war: „Das mit den Störfeldern ... müssen wir einfach durch den Fleischwolf drehen, rundklopfen und Tango damit tanzen.“
Darkin runzelte die Stirn. „Wie bitte?“
„ Oh ja“, nickte Cohen, dessen Augen seltsam flackerten. „Der Mond ist eine große süße Himbeere, die bestimmt lecker schmecken würde.“
Beide Aquandianer schauten einander an, und Schweiß strömte Carena von den Schläfen, durchnässte ihr Haar.
Cohens Schädel schimmerte wie mit öligen Tautropfen übersät.
Sie schienen beide mit irgendetwas zu ringen, einen inneren Konflikt auszutragen. Im Nachhinein verfluchte sich Darkin, dass er das nicht früher erkannt hatte.
Endlich beugte sich Carena vor und zischte: „Fliehen Sie. Sofort.“