Читать книгу Die Missionen 141-150 der Raumflotte von Axarabor: Science Fiction Roman-Paket 21015 - Antje Ippensen - Страница 36
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ОглавлениеIn Rekordzeit erreichte die MEGAN 3 jene Koordinaten, an denen sich der Asteroid befinden musste. Wie gewöhnlich hatten die Dwarfinnen tadellose Arbeit geleistet, und das, obwohl ihnen vier Mitglieder fehlten. Nicht nur, dass sie die Energieverwaltung des Schiffes optimal gesteuert hatten, sie waren auch noch in der Lage gewesen, die Flugbahn ihres Zieles mit der Zeitverschiebung zu verknüpfen, so dass eine exakte Kursberechnung erfolgt war.
„ Da ist er“, sagte Xala zufrieden und aktivierte den Panoramaschirm. Daraufhin boten große Bildschirme rundherum einen guten Panoramablick. Alle starrten dorthin.
„ Sieht ein bisschen aus wie ein primitiver, geborstener Torpedo“, kommentierte Arsay.
„ Mich erinnert er eher an eine riesige Zigarre, wie mein Onkel sie manchmal raucht“, sagte Relisa.
„ Wie groß ist er?“
„ Durchmesser etwa fünfhundert Meter“, antwortete Nathan auf Xalas Frage. „Keine Atmosphäre, harte und grobe Oberfläche, aus porösem Gestein bestehend. Kaum Staub. Relisa und ich haben versucht, Funkkontakt mit etwaigen Überlebenden herzustellen – vergeblich! Vermutlich haben sie kaum noch Energie.“ Seine grünen Augen fügten hinzu, wenn sie überhaupt noch leben, doch das sprach er nicht laut aus.
Das Ganze rief bittere Erinnerungen in Xala wach: Als sie bei ihrem ersten Suchauftrag zu spät gekommen waren den einzigen Überlebenden einer Gründungszeitexpedition, zu retten. Doch da waren die Bedingungen völlig andere gewesen – hoffte sie. Wir retten Darkin und seine zwei Begleiter! Entschlossenheit und Kraft durchströmten sie, und sie spornte ihre drei Crewmitglieder an, ihr Bestes zu geben.
„ Ihr schafft es! Nath, zeig, was du als Gleiterpilot so drauf hast. Ist nicht eben einfach, auf einem Asteroiden zu landen, aber du kriegst das hin. Relisa, du kümmerst dich um die Verletzten.“ Eine eher überflüssige Anweisung, wie sie wusste, aber das Mädchen sah sie mit leuchtenden Augen an. „Geortet haben wir sie schon“, sprudelte sie hervor, „in einem Atmozelt. Aber die diffuse Strahlung überall stört so stark, dass wir von hier aus nichts herausfinden können.“
„ Ich werde so dicht wie möglich am Zelt landen“, versicherte Nathan und erntete einen bewundernden Blick von Relisa.
Arsay hingegen zwinkerte ihm leicht spöttisch zu. „Na dann“, sagte sie, strich sich über ihren komplett rasierten schmalen Kopf, schenkte ihrem Käptn ein Lächeln und folgte dann ihren zwei Kameraden in Richtung Schleuse. Dort würde sich das Beiboot MEGANITA, jetzt noch zusammengeklappt, entfalten und die drei zu ihrem Rettungseinsatz bringen.
Xala blieb allein auf der Brücke zurück.
Sie wäre gern mit der Gleiterbesatzung in Kontakt geblieben, aber es stellte sich rasch heraus, dass die Funkverbindung verrauscht und von krachend-knackenden Störgeräuschen unterbrochen wurde, so dass jeder Verbindungsversuch ins Leere lief.
Also blieb ihr nichts anderes übrig, als auf die Rückkehr der MEGANITA zu warten.
Mitten in einem Entspannungsversuch, als sie ihre langen Beine ausstreckte und ihre Fingerspitzen aneinanderlegte, zuckte sie plötzlich zusammen. Nein! Sie wollte das jetzt nicht! Auf keinen Fall! – Aber es war so, wie Arsay es vorhergesagt hatte: Luzide Träume kamen mitunter ungerufen, uneingeladen.
Wer einmal damit anfängt, mein Käptn ...
Wer A sagt, muss auch weitergehen, dachte Xala seufzend.
*
Rob Darkin brauchte mehrere Minuten, um sich klarzumachen, dass sich die bedrohlich schmatzenden Geräusche nur in seinem Kopf abspielten. Bloße Einbildung. Natürlich! Schallwellen konnten sich da draußen schließlich überhaupt nicht ausbreiten. Er versuchte ein Lachen, das ihm aber im Halse steckenblieb. Denn auf einmal kreuzte sein Blick den des Professors, und wieder fand er, dass der ihn komisch ansah. Oder wurde er nun wirklich paranoid? Nun, wenn er anfängt verrücktes Zeug zu reden, sowas wie „dass der Asteroid wie eine Rindsroulade schmecken“ oder dass „die Rosen schöner duften würden als im letzten Schwarzen Loch“, dann weiß ich, er ist befallen. Und kämpft dagegen an so wie Carena und Cohen. Würde er dagegen ankämpfen? Ich sollte ihn fragen, was genau er auf Aquandia erlebt hat, bevor Ellam ihn fand.
Aber irgendwie brachte er das nicht über sich.
Es gab keine Möglichkeit zu funken. Verworren fragte er sich, wie sich eine Rettungsmannschaft überhaupt bemerkbar sollte – sie würden plötzlich an der Tür klopfen, dachte er und abermals brodelte hysterisches Gelächter in seiner Brust. An welcher verdammten Tür?
Professor Kvight kicherte jetzt auch verloren vor sich hin.
„ Sauerstoff“, krächzte er, „S-Sauerstoff – wird knapp.“
Das war es. Deshalb diese unpassende Albernheit und die Unfähigkeit, sich aufzuraffen. Darkin warf einen raschen Blick auf die Energieanzeigen – sie waren fast auf Null. Schon glitzerten und funkelten bunte Punkte und Kreise vor seinem getrübten Auge, und mit säuglingsschwachen Händen tastete er nach dem bewusstlosen Espinosa. Dessen Stirn war fieberheiß.
Die Flecken und Kringel wurden immer dichter und dichter, wie farbiges Schneetreiben, und als er sich ein letztes Mal dagegen aufbäumte, hatte er wieder Halluzinationen. Ein bildhübsches Mädchen im Protector, mit dreifarbigem Haar, beugte sich über ihn und platzierte ein Atemplättchen unter seiner Nase. Das fühlte sich aber echt an!
Ein paar Sekunden lang jagte eine Woge heißer Wut durch ihn hindurch, er dachte an seine Mannschaft, die von der bizarren aquandianischen Wesenheit getötet worden war, und eine einzelne Träne brannte in seinem Auge.
Vage nahm er wahr, wie er selbst auch in einen Schutzanzug gehüllt wurde, wie mit seinen beiden Leidensgenossen das gleiche geschah, doch obwohl er besser atmen konnte, kam er erst in einem Gleiter der Raumflotte so weit wieder zu sich, dass er erkennen konnte, was mit ihm und um ihn herum geschah. Er lag bequem auf einer Liegeschale.
Ein Wunder hatte sich ereignet. Ganz ohne Zweifel. Im nächsten Moment stellte er fest, dass die Funkverbindung von Anzug zu Anzug tadellos funktionierte.
„ Hey Darkin, du bist wieder da!“, erklang eine zufriedene Stimme, die ihm bekannt vorkam, und schon beugte sich ein zimtfarbenes Gesicht über ihn. Augen wie braune Kirschen strahlten ihn an.
„ Arsay Umurut?“, krächzte er ungläubig.
„ Live und in Farbe! Na, und du bist ja wie ne Katze, hast neun Leben. Wusst ich’s doch. Wie fühlst du dich?“
„ Ganz gut. Aber meinen Ersten hat‘s schlimm erwischt.“
„ Keine Sorge, Relisa kümmert sich um ihn. Alles wird gut, ihr kommt auf die MEGAN 3, wir haben Platz geschaffen. Normalerweise würden wir schon im Gleiter die Protectoren ausziehen, aber nach dem, was du der Drohne anvertraut hast – also nach diesen bedrohlichen, leicht mystischen Andeutungen – können wir nicht vorsichtig genug sein.“
„ Ich verstehe“, erwiderte Darkin. Er hielt Ausschau nach Kvight und Espinosa, sah sie und ließ sich beruhigt wieder zurücksinken. Einen Moment überlegte er, ihre Retter vor dem Professor zu warnen, aber irgendetwas hielt ihn davon ab.
*
Sie hatte das Gefühl, die winzigen, feinen Tröpfchen auf ihrer bloßen Haut zu spüren. Dann zerriss die Nebelwand, und mehrere Gestalten schälten sich aus den restlichen Dunstschleiern, bis sie klar erkennbar waren. Natürlich wusste sie, dass sie träumte, aber andererseits verwischten sich ihre Gedanken ab und zu an den Rändern, das war normal. Diese ersten Grundlagen des luziden Träumens hatte ihr Arsay mit großer, fast feierlicher Sorgfalt beigebracht. Xala sah einen mittelgroßen Mann mit grauschwarzem Haar, den sie sofort wiedererkannte: Kaczik Mono, den ehemaligen Meisterdieb, der jetzt mit seiner Geliebten Miela unter neuem Namen irgendwo anders lebte und sich auf die Geburt des gemeinsamen Kindes freute. Die Erinnerung an ihn war noch frisch, schließlich lag der Fall „Sternen-Artefakt“, den Xala, Nathan und Arsay – insbesondere Arsay! – glorreich abgeschlossen hatten, erst wenige Tage zurück – aber wer zum Kosmischen Kuckuck war der andere Typ? Fast eine Art Affenmensch. Groß, haarig, sich stark wölbende Augenbrauen, riesige Augenhöhlen, kantiger fester Kiefer. Erst jetzt wurde alles ein bisschen weniger unscharf und die Erkenntnis brach sich Bahn, dass die beiden Männer völlig nackt waren. Unwillkürlich zog Xala die Nase kraus und unterdrückte nur mit Mühe ein Schnauben. Kacziks Penis hing schlaff herab, während sich das Geschlecht des „Affenmannes“ zu beeindruckender Größe aufgerichtete hatte.
Xala sah an sich selbst herunter: Sie stand ebenfalls splitterfasernackt in der Gegend rum. Na toll. Fabelhaft.
Kaczik blickte sie offen an, mit einem freundlich-neutralen Gesichtsausdruck (ein Glück, er ist seiner Miela treu!), während sein Kumpel (ach, jetzt weiß ich, wer er ist: Vey! Arsay hat mir plastisch und ausgiebig Kacziks Horrorgefängnisstory weitererzählt) Xalas Gesicht nur flüchtig musterte, umso gieriger dafür aber ihren durchtrainierten Körper bis hin zum sorgsam enthaarten Intimbereich. Was soll das Ganze hier? Xala widerstand dem Drang, ihre Beine zu schließen oder eine Hand schützend auf ihre Vulva zu legen, und konzentrierte sich. Nimm den Traum nicht so – wörtlich, hatte Arsay ihr beigebracht, versuch, seine Bildersprache zu lernen. Oder besser noch: die Botschaften zwischen den Bildern.
„ Hi Jungs, sagte sie betont lässig. Kaczik, Vey – was macht ihr denn grad so?“
„ Nicht sehr viel“, antwortete der Traum-Kaczik.
„ Und was ist dieses wenige?“
Auf einmal veränderte sich Kacziks Gesicht, wurde bleich, verzerrte sich und drückte fast grenzenloses Grauen aus. Der kalte Schweiß nackter Panik überzog seine Wangen und in den Augen glitzerte pure Angst.
Ganz anders Vey Affenmann, der den Mund aufriss und lautlos schrie – voller Wut! Seine Augen schossen Zornblitze, seine Fäuste ballten sich und seine primitive, grobgeschnittene Visage lief rot an. Seine Erektion wuchs noch und richtete sich wie ein Speer auf Xala. Der Käptn seufzte und dann griff sie zum ersten Mal ein, denn ihr langte es jetzt. Mit beiden Händen, schalenförmig gewölbt, holte sie pantomimisch Nebel von unten und zog ihn so weit hoch, bis er wie eine Art Saunahandtuch die Blöße der beiden Männer verbarg.
„ Schon sehr viel besser“ , brummte sie und lächelte, weil es so einfach gewesen war. Hey, das heißt wohl, ich mache gute Fortschritte, was diese spezielle lucidianische Praktik angeht. Aber ansonsten kapiere ich die Bildersprache dieses peinlichen Nackttraumes bis jetzt leider überhaupt nicht.
Ein mageres Mädchen mit hellbrauner, dunkel gefleckter Haut erschien und sah Xala aus riesengroßen Augen an. „Das ist es, was SIE anzieht“, flüsterte sie geheimnisvoll.
Calzie! Was meinst du denn damit?
Aber Calzie, die junge Cadlanerin, die sie vom Mond des Planeten Indigo hatten retten können, auf ihrer zweiten gemeinsamen Mission, sagte nichts mehr, sondern lächelte nur, um dann wie Rauch zu zergehen.
Ein schmerzhaft intensives Quäken riss den Käptn aus ihrem Klartraum. Offenbar versuchten die Dwarfinnen ihr mitzuteilen, dass die MEGANITA zurückkam.
Xala schüttelte sich leicht und fuhr sich heftig mit beiden Händen durch ihr offenes Haar, wunderte sich über seinen trockenen Zustand. Sie hatte noch immer das Gefühl, nebelfeucht zu sein.
*
Sie standen alle vier an der transparenten Iso-Wand der hermetisch abgeriegelten Krankenstation und betrachteten die drei Insassen.
Ohne dass die anderen es mitbekamen, warf Arsay ihrem Käptn einen wissenden Blick zu und zog auch noch eine Augenbraue hoch, was Xala mit einem ärgerlichen Stirnrunzeln quittierte. Nicht jetzt, sollte das heißen, und prompt räusperte sich Arsay, um dann mit ihrer melodischen Stimme als erste zu sprechen: „Nachdem wir den fast erstickten Darkin im Gleiter wiederbelebten, hat er mich jedenfalls noch erkannt. Es ist mindestens sieben Jahre her, aber er sprach mich mit meinem vollen Namen an.“
„ Schwer vorstellbar, dass man dich vergisst, Arsay“, murmelte Nathan, und ausnahmsweise klang er weder sarkastisch noch sonstwie bissig. Die Erste Offizierin grinste ihn sonnig an.
„ Und seitdem nichts mehr?“, forschte Xala.
„ Sowie wir allesamt in der Schleuse waren, erloschen die drei wie Kerzen. Auch Darkin. Kein Wort, keine mimische Reaktion, kein Auffunkeln im Auge – nichts. Er wirkt, als sei er vollkommen Abwesend.“
„ Nun, natürlich ist Darkin schwer traumatisiert und nachdem er sich und seine zwei Männer gerettet wusste, hat sich das Trauma voll manifestiert“, spekulierte Xala. „Er hat seine Crew und sein Schiff verloren, eine unbekannte Macht oder Kraft ist über seine Expedition hergefallen und hat sie in kleine Stückchen zerschlagen ...“
„ Eine Kraft oder Macht, von der es übrigens nicht die geringste Spur gibt“, sagte Nathan. Sie schwiegen und blickten auf die medizinischen Liegen, auf denen die drei Geretteten betreut wurden. Spezialisierte KIs schwebten um sie herum – sie sahen aus wie tellergroße fliegende Untertassen –, konzentrierten sich aber vor allem auf Ellam Espinosa.
„ Bereits auf dem Asteroiden habe ich nichts feststellen können“, berichtete Relisa. „Nichts Unnormales jedenfalls. Die Wunden des Professors und des Kapitäns waren nicht der Rede wert, aber der Erste Offizier hat schwere innere Verletzungen erlitten, vor allem im Rippenbereich; vermutlich infolge eines Sturzes.“
„ Hast du ihm eine Blutprobe entnommen?“, fragte Xala, einer Eingebung folgend.
Relisa blickte erschrocken drein und hauchte: „Nein, leider nicht.“
„ Kein Drama. Ich habe ja auch erst jetzt daran gedacht“, winkte der Käptn ab.
„ Hättest du die Probe im Allgemeinlabor untersucht, ohne die Krankenstation zu betreten?“, wollte Arsay neugierig wissen.
Xala nickte. „Wir tappen verdammt im Dunkeln, Leute! Ich hatte gehofft, Darkin – oder einer der beiden anderen – hätte uns mehr Informationen geben können über das, was passiert ist. Ich wünschte auch, Rob hätte die Drohne mit ein paar mehr Fakten und Vermutungen bestückt!“
Arsay verschränkte ihre langen, muskulösen Arme vor der Brust – sie trug als Oberbekleidung nur eine ärmellose Rizzolederweste – und brummte: „Weißt du, Käptn, so ein Verhalten passt nicht zu Darkin. Er ist doch der wahre Held, ein mutiger Haudegen, wie er im Buche steht – kann mir kaum vorstellen, dass er sich von einem solchen Trauma derart überwältigen lassen würde. Ich sag dir, da stimmt was nicht.“
„ Nur was genau? Wo könnten wir ansetzen? Die Dekontaminierung in der Schleuse hat nichts ergeben, stimmt’s?“
„ Rein gar nichts. Nur deshalb konnten wir die drei Wachkoma-Patienten ja überhaupt ins Schiff und auf die Krankenstation schaffen. Und nun sind sie in der Obhut der KI.“
„ Doch das, was Nathan zu dem Thema sagte, spukt mir noch im Kopf herum“, murmelte Xala. Ihr Nachrichtenoffizier war ins Gespräch mit Relisa vertieft und hörte sie nicht. „Er hatte damit gar nicht so unrecht. Wie sollen unsere Systeme, so hochentwickelt sie auch sein mögen, etwas erkennen, was vollkommen fremdartig ist?“
„ Letztendlich ist KI beschränkt“, stimmte Arsay zu. Auf einmal legte sie beide Handflächen zusammen und berrührte ihre Nase. „Verdammt, a propos KI! Ich hab vergessen, meinen synthetischen Fechtpartner in den Ruhezustand zu versetzen. Der Arme, ich muss sofort in mein Quartier!“
Xalas Hand schloss sich um Arsays Oberarm. „Schatz, er ist künstlich. Er empfindet nichts dabei ...!“
Sie liebte es, wenn Arsays Kirschenaugen leidenschaftlich aufflammten. „Oh, wir Lucidianer sehen das ein wenig anders.“
Ihre langen zartgliedrigen Finger lösten sanft die Hand des Käptns von ihrem Arm und führten diese an ihre Lippen. „Für uns ist alles beseelt, verstehst du, erst recht die von uns geschaffenen Dinge. Sie tragen ein Stück unserer Seele in sich.“
„ Na, dann geh“, seufzte Xala. Sie erteilte auch Nathan und Relisa die Erlaubnis, sich zurückzuziehen. Ihr Nachrichtenoffizier wollte noch wissen, ob sie in Richtung Aquandia aufbrechen würden, um beim Quarantänegürtel-Legen zu helfen oder die Aktion zu überwachen. Xala dachte einen Moment darüber nach. „Nein, eher nicht. Ein Raumkreuzer wie die MEGAN 3 ist für solche Aktionen gar nicht ausgerüstet; und ich bin immer noch überzeugt, wir sorgen hier für Klärung. Im Gespräch mit unseren drei Überlebenden, sobald sie wieder bei Sinnen sind.“
Sie selbst blieb als einzige an der durchsichtigen Wand stehen und wartete. Zwischen ihr und Rob Darkin hatte einmal eine Bindung bestanden. Sie waren Kriegskameraden gewesen und kämpften Seite an Seite, Schiff an Schiff, hielten einander den Rücken frei während einer extrem kritischen kriegerischen Phase des Quadranten. Acht Jahre lag das zurück, aber nicht zuletzt durch ihre lucidianische Ausbildung glaubte Xala, mit Empathie etwas erreichen zu können.
Da! Rob begann sich zu regen. Er setzte sich langsam auf, sah sich nach allen Seiten um und erhob sich dann von der Liegeschale. Eine KI kam herangeflogen und scannte ihn, fand aber offenbar wiederum nichts Bemerkenswertes. Xala stöhnte genervt auf. So langsam kam sie zu dem Schluss, dass die Dinger überhaupt nichts taugten. Selbst sie merkte doch, dass Rob nicht er selbst war. Er bewegte sich eckig und komisch, und ... Moment mal, aber sein Gesichtsausdruck wirkte wieder normal und wach! Seine Lippen bewegten sich.
Xala rieb sich verwirrt das Kinn und berührte das Pad, das die Kommunikation mit der Krankenstation freigab.
„ Rob Darkin? Hey Mann, schön dich wieder unter den Lebenden zu sehen. Wie fühlst du dich? Weißt du, wer ich bin? Arsay hast du ja schon wiedererkannt.“
Sie trat näher an die Wand heran und lächelte ihren früheren Kameraden an. Seine Augen lächelten zurück, aber was war mit seinem Mund? Sprechen konnte er immerhin. „O’Rapin, Amazone aus dem All! Aber ja, aber ja. Ich will sagen, ich weiß genau, wer ...“ Seine Stimme verebbte, in seinen Augen flackerte es. Dann wandte er sich abrupt weg und marschierte zur Tür, die sich natürlich nicht öffnete. Er begriff schnell. Er drehte sich wieder um. „Eine Dusche wär gut, O’Rapin. Wieso sind wir überhaupt hier eingesperrt?“
„ Kannst du dir das nicht denken? Darkin, was hast du auf Aquandia erlebt? Was weißt du über die rätselhafte Kraft, die hinter all dem steckt, was du durchleiden musstest? Erzähl mir alles, es ist verdammt wichtig!“
War das Zorn, der in seinen Augen flackerte? Blinde Wut wie beim affenartigen Vey, der sich bizarrerweise in ihren luziden Traum geschlichen hatte?
„ Aber ja, aber ja“, sagte er wieder – Xala fiel ein, dass dies tatsächlich zu seinen sprachlichen Marotten gehörte. „Auf Aquandia schlugen die Wogen ziemlich hoch, O’Rapin. Als das Regentenpaar und als dann auch noch unser Professor Kvight, also – da zergingen mir die Sterne wie Schokolinsen, mit silbernem Zuckerguss, sehr, sehr salzig auf der Zunge, das eine sag ich dir.“
Der absurde Wortsalat wäre lustig gewesen, wenn sich nicht jetzt noch zur Wut in Darkins Blick blankes Entsetzen gesellt hatte. Angst wie bei Kaczik in Xalas luzidem Traum. Beide Emotionen loderten hoch auf in Darkins leicht schräg geschnittenen dunklen Augen, und dann – verschwand er. Darkins männlich markantes Gesicht überzog sich plötzlich mit einer schleimigen glänzenden Schicht, und sein sinnlicher Mund nahm eine andere Form an, die des Buchstaben V, was ihn lächerlich und clownesk wirken ließ.
Im Hintergrund wurden jetzt auch Kvight und Espinosa wieder lebendig. Sie erinnerten Xala an Marionetten. Das runde Gesicht des Professors sah noch menschlich aus – zunächst noch. Sein plumper Finger zeigte anklagend auf Darkin. Auf einmal war der Kommunikationsweg zur Krankenstation tot, und der Käptn sah nur noch, wie Kvight stumm ein Wort schrie, immer wieder, aber sie bekam es nicht heraus, denn Lippenlesen war noch nie eine ihrer Stärken gewesen. Nun formte er auch noch mit beiden Händen eine bauchige Figur.
Nein, verflucht, das hilft mir alles überhaupt nicht weiter! – Fluche nicht. Lass einen Stein fallen in das glatte Wasser des Lotusblumenteiches und betrachte die Wasserringe, wie sie sich sanft ausbreiten im Einklang mit Allem, Was Ist. Lösche die Kerze mit einem Atemhauch.
Der Göttin sei Dank tauchten diese lucidianischen Sätze, die Arsay ihr beigebracht hatte, auf einmal glasklar in Xalas Geist auf und retteten sie. Zumindest vorerst.