Читать книгу Baustellen - Anton Affentranger - Страница 10

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Persönlich habe ich eine Schwäche für den anderen CEO. Den Chief Evangelist Officer, der im Silicon Valley inzwischen in ansehnlicher Population verbreitet ist. Dieser Leiter der Innovations-Abteilung lustwandelt gewöhnlich als Vordenker für neue Trends durch Etagen und Flure des Unternehmens. Und nicht nur bei Facebook existiert heute auch der CHO, als Chief Happiness Officer so etwas wie der Gute-Laune-Häuptling für griesgrämige Mitarbeiter. Ich bin überzeugt: Viele weitere Chiefs habe ich vergessen aufzulisten – sie mögen es mir nachsehen. Die in der C-Suite wohnende Spezies ist einfach zu unübersichtlich geworden. Genauso übrigens wie die Head-Hunters, die sich wohl aus dem gleichen Grund auf dieses C-Level spezialisiert haben.

Der oberste in dieser Suite ist jedoch der CEO. Unweigerlich kommt mir da der Kontrabass in den Sinn, jenes tiefe und grösste Streichinstrument und Titel des gleichnamigen Einakters des deutschen Erfolgsautors Patrick Süskind. «Die Kontrabässe», heisst es dort, «das bin ich. Beziehungsweise wir. Die Kollegen und ich. Staatsorchester. Insgesamt sind wir acht. Manchmal werden wir verstärkt von ausserhalb auf zehn. Auch zwölf ist schon vorgekommen, das ist stark, kann ich Ihnen sagen, sehr stark. Zwölf Kontrabässe, wenn die wollen – theoretisch jetzt –, die können Sie mit einem ganzen Orchester nicht in Schach halten. Aber ohne uns geht erst recht nichts. Können Sie jeden fragen. Jeder Musiker wird Ihnen gern bestätigen, dass ein Orchester jederzeit auf den Dirigenten verzichten kann, aber nicht auf den Kontrabass.»

Eine herrliche Sequenz, die auf fast philosophische Art die Frage stellt, ob ein Orchester einen Dirigenten überhaupt benötigt. Die Analogie zum CEO im Unternehmen liegt dermassen auf der Hand, dass mir dieses grossartige Theaterstück vielfältige Inspirationen für zahlreiche Vorträge gegeben hat. Natürlich lässt sich die Frage stellen, ob ein Orchester seinen Dirigenten braucht – oder ob es nicht eher umgekehrt ist. Ebenso lässt sich fragen: Braucht ein Unternehmen einen CEO – oder eher der CEO sein Unternehmen? So gesehen kann ja kein Zufall sein, dass der Dirigent ein verhältnismässig junges Phänomen aus dem 19. Jahrhundert darstellt. Aus der gleichen Zeit datiert übrigens auch die Erfindung des CEO. Orchester wie Unternehmen existierten jedoch bereits viel früher.

Mit einigem Recht kann der Kontrabass bei Süskind denn auch konstatieren: «Ich kann Ihnen bestätigen, dass sogar wir im Staatsorchester gelegentlich vollständig am Dirigenten vorbeispielen. Oder über ihn hinweg. Manchmal spielen wir sogar über den Dirigenten hinweg, ohne, dass er es selber merkt. Lassen den da vorne hinpinseln, was er mag und rumpeln unseren Stiefel runter. – Aber das am Rande.» Auch hier sind die Parallelen offensichtlich. Ein CEO, der sein Unternehmen nicht hinter sich hat, dreht sich im Hamsterrad. – Aber das am Rande.

Und nun? Was ist der CEO? Der Officer, der Bannerträger, dem die ganze Organisation zu folgen hat? Ist im 21. Jahrhundert irgendwie antiquert. Der Chief, der über allem thront? Wirkt ebenfalls wie aus der Zeit gefallen. Am ehesten ist er wohl der Executive. Der Ausführende, die «vollziehende Gewalt», wie sie in der Staatstheorie definiert ist. Vielleicht handelt es sich beim CEO aber einfach nur um diejenige Person, die im Maschinenraum seiner Firma ab und an Sand ins Getriebe zu schütten hat, damit Bestehendes hinterfragt und Neues möglich wird – und dann, nach erfolgter Aufrüttelung, selbstverständlich auch dafür besorgt ist, dass der knirschende Sand wieder weggeputzt wird? Möglicherweise ist er aber einfach nur das Gesicht, welches an der Jahrespressekonferenz seiner Firma gegenüber den Medien die Geschäftsergebnisse zu präsentieren hat – obwohl Zahlen eher die Domäne des CFO sind?

Wer sein Tun als CEO etwas überhöhen will, kann sich an den italienischen Philosophen Luciano Floridi halten. Der an der University of Oxford lehrende Wissenschaftler meint: «Ein CEO ist immer zugleich Philosoph und Künstler. Wie ein Philosoph muss ein CEO Freude daran haben, ungelöste Probleme anzupacken, die zwar durch Fakten und Zahlen bestimmt werden, aber nicht allein durch diese gelöst werden können. Und wie ein Künstler muss ein CEO kreativ sein und innovative Lösungen entwickeln, die unternehmerisch umsetzbar, für die Aktionäre einträglich und für die Stakeholder akzeptabel sind.»

Das klingt doch schon nach einem durchaus akzeptablen, ja simplen, weil einsichtigen Stellenbeschrieb für einen CEO. Auf den ersten Blick jedenfalls. Es ist aber auch so, dass Unternehmen heute komplexe Organisationen darstellen. Die Aufgaben sind vielfältig. Das Eigenleben in Abteilungen und Tochterfirmen ausgeprägt. Der Personalkörper bunt gescheckt. Alles und alle sollten wichtig sein und ihre Bedeutung jeden Tag unter Beweis stellen können. Andernfalls stellt sich die Frage: Warum ist dieser Mitarbeiter noch da, oder wird jene Aufgabe noch erfüllt? Deshalb habe ich an unseren internen Welcome Days – an diesen wurden neue Mitarbeitende begrüsst und in das Unternehmen eingeführt – immer erklärt, wir alle, die hier arbeiten, sind wichtig und entscheidend für das Überleben und die Prosperität unserer Firma: meine Assistentin, der Projektleiter, der CIO und auch alle anderen C’s. Ich habe das immer ernst gemeint – und meine das auch heute.

Und, ja: Der CEO ist auch wichtig. Vielleicht nicht in jedem Augenblick das Wichtigste. Aber manchmal entscheidend. Nicht mehr. Nicht weniger.

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