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Vorwort Von Francis Cheneval

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Baustellen – Anton Affentranger gibt seinem Buch einen ebenso vieldeutigen wie tiefsinnigen Titel. Eine Baustelle entsteht, wenn nach langjähriger Planung und dem mühsamen Gang durch die Ämter ein Bauprojekt endlich in Angriff genommen werden kann. Der Begriff steht in dieser Bedeutung für ein erreichtes Zwischenziel, einen Punkt auch, von dem es in vielerlei Hinsicht kein Zurück mehr gibt. Aber die Baustelle ist gleichzeitig nur ein Anfang eines langen Prozesses, eine Chiffre für das Unfertige. Der Titel des Buches scheint hauptsächlich für diesen Sinn gewählt. Obschon aus der eigenen Erfahrungsperspektive geschrieben, bilden die Erzählungen kein abgeschlossenes autobiographisches Narrativ des Autors. Im Leben bleibt alles in Arbeit und es selbst besteht aus Bruchstücken. Der Titel ist jedoch in diesem Wortsinn viel zu bescheiden, denn der Autor hat in seinen Baustellen zahlreiche Reflexionen auf den Punkt gebracht, eine Fülle von abgeschlossenen Gedanken und erfahrungsgesättigten Schlussfolgerungen formuliert. Vieles hat der Unternehmer in seinem spannenden Wirtschaftsleben zum Abschluss gebracht – nicht nur so manch reale Baustelle.

Aber das subjektive Erleben und systematische Nachdenken bleibt etwas Unvollendetes, das der Autor trotz fertiger Buchform auch so verstanden haben will. Nach jeder Baustelle kommt die nächste. Das Abgeschlossene wird sofort zur Episode. Jedes fertige Projekt, jede Bilanz, jeder Jahresabschluss, jeder Marathon, auch jeder trefflich erfasste Gedanke bleibt Fragment in einer rätselhaft weitertreibenden Bewegung des Lebens. Seine Gedanken sind Innensichten, die nie auf die Ebene einer allgemeinen Theorie gehoben werden. Er legt keine Managementlehre vor, sondern einen mit Analysen angereicherten Erlebnisbericht. Gerade deshalb erscheint mir dieses Buch für diejenigen, die sich noch mitten im Trubel des unternehmerischen Wirtschaftens befinden so wertvoll. Der Autor bringt sich mit seiner ganz persönlichen Erfahrung, seiner Existenz und Gefühlswelt ein und führt seine Ausführungen stets zielstrebig auf allgemein relevante Reflexionen hin. Diese sind prägnant, klar, erstarren aber nie zu abgehobener Lehre. Oft bricht das Argument an dem Punkt ab, wo der Leser die definitive, letztgültige These oder Gesamtbilanz zu einem Thema erwarten würde. Anton Affentranger enthält sich und gibt nur die Denkrichtung an, zu gut kennt er die Grenzen menschlichen Erkennens und Entscheidens – besonders in Bezug auf die Zukunft.

Betrachtungen eines wirtschaftenden Menschen. Mit diesen Worten liesse sich das hier vorgelegte Buch auch auf den Punkt bringen. Es sind dem Leben abgerungene Einsichten in die Kunst des Wirtschaftens und dem Wirtschaften abgerungene Einsichten in die Kunst des Lebens. Anton Affentranger schreibt als Mensch, der die conditio oeconomica auf die conditio humana hin reflektiert, der sein Leben zielstrebig und konsequent dem freien Wirtschaften gewidmet hat und uns – zum Glück – etwas davon mitteilt. Er schreibt aus vielerlei Perspektiven: als junger Angestellter, höherer Manager, als CEO, als Familienmensch, als Freund, Marathonläufer, und natürlich in ganzer Fülle als Unternehmer. In Bezug auf die Baustellen von einem ökonomischen Humanismus zu sprechen, würde der Absicht des Autors zwar nicht gerecht – einen abstrakten Ismus in die Welt zu setzen ist das Letzte was er hier im Auge hat. Dennoch ist das, was hier vorliegt im Ganzen das Kompendium des humanistischen Unternehmers. Das abstrakte Modell des gewinnmaximierenden homo oeconomicus wird nicht ganz beiseite geschoben, denn ohne Profit geht es nicht. Anton Affentranger weiss aber, dass der real wirtschaftende Mensch sich nicht auf den idealtypischen homo oeconomicus reduzieren lässt. Der wirtschaftende Mensch steht als ganze Person im Leben. Er tätigt nicht nur punktuelle Transaktionen mit unpersönlichen Gegenübern, sondern braucht und pflegt dauerhafte, sinnstiftende Beziehungen mit Kunden, Angestellten, Familienmitgliedern, Freunden – ja sogar mit Konkurrenten, denn einer allein kann keinen Tennismatch spielen. Besonders einprägsam finde ich in dieser humanistischen Perspektive des Wirtschaftens seine Gedanken über Büezer, Nachhaltigkeit, Zeit und über Freundschaft und Familie. Man wird immer wieder an Cicero’s Sinnspruch erinnert: Ich bin Mensch, nichts Menschliches ist mir fremd.

Wenn ein so genannter Wirtschaftskapitän ein Buch schreibt, weckt dies gewisse voyeuristische Begehrlichkeiten auf Gerüchte und persönliche Abrechnungen. Sie werden in diesem Buch enttäuscht. Was der Autor vorlegt – die ihn gut kennen haben es nicht anders erwartet – ist ein mit wenigen, sehr präzisen Strichen gemaltes Gesamtbild des zeitgenössischen Marktwirtschaftens. Die Analysen sind scharf, schonungslos besonders im Benennen eigener Irrtümer, ehrlich, nüchtern, manchmal düster, alles in allem aber doch leidenschaftlich optimistisch. Etwas anderes als freies Wirtschaften kann sich Anton Affentranger nicht vorstellen, trotz sozialromantischer Seitenblicke auf Che Guevara und Karl Marx. Aber dieses packende, selbständige Wirtschaften schildert er ohne Illusionen bezüglich der Irrtumsanfälligkeit, Willensschwäche und Boshaftigkeit mancher Menschen. Er macht auch verständlich, dass es sich in der harmloseren Variante um unvermeidbare Interessenkonflikte von Menschen in verschiedenen Rollen mit unterschiedlichen Anreizen handelt.

Es gibt in diesem Buch eine tiefsinnige Mäuse-Parabel über die parasitären Formen des Wirtschaftens im Bereich des staatsnahen Lobbyismus und Beraterwesens – eine extraction industry, die es auch dort gibt, wo weit und breit keine Bodenschätze zu finden sind. Die Moral der Geschichte besteht aber für den Autor nicht in der Anklage der Akteure dieser Wertabschöpfung ohne Skin in the Game, sondern in einer Ermahnung, dass es die Berater nur wegen der grossen Nachfrage gibt. Letztere hat ihren tieferen Grund in der Suche nach Auslagerung von Verantwortung, ein praktisch flächendeckendes Phänomen, wie er schreibt. Anton Affentranger ist ein Meister im Offenlegen von Konstellationen, die mit den Worten des Philosophen und Wirtschaftsnobelpreisträgers Amartya Sen als Rational-fool-Phänomene betrachtet werden können. Jeder Akteur handelt aus seiner Interessenperspektive rational, aber das Interaktionsresultat ist irrational. Zum Beispiel: Verantwortung ist ein Risiko, das alle rationalen Akteure diversifizieren und vielseitig auslagern, eben meist auf Berater, die ihrerseits keine Verantwortung tragen, weil sie keine Entscheidungen fällen. Es wird allenthalben erwartet in diesem Sinn zu handeln, wer es nicht tut, kommt in Schwierigkeiten. Daraus entsteht aber auf der Ebene aller Interaktionen das Systemrisiko der nicht mehr möglichen Zuschreibung von Verantwortung und letztlich der Verantwortungslosigkeit. Einem einzelnen Akteur kann aus dessen Perspektive nicht vorgeworfen werden irrational zu handeln. Alle in diesem Sinn handelnden Akteure müssen sich aber vorwerfen lassen, die Sorge für das Gesamtresultat der Interaktion – Rousseaus volonté générale – nicht im Auge zu haben.

Man erahnt an manchen Stellen, dass sich hinter den Schilderungen auch schmerzhafte Enttäuschungen über andere Menschen verbergen: L’enfer, c’est les autres (Sartre). Diese Erlebnisse des seelisch Abgründigen könnte den Autor zu manch sehr persönlicher Abrechnung verleiten. Aber dazu kommt es in diesem Buch nicht. Anton Affentranger bleibt bezüglich persönlicher Anfeindungen Herr seines Schweigens, um nicht Sklave seiner Worte zu werden. Die Erklärung dazu liefert er auch selber. Er vermehrt die Anzahl schlechter Menschen nicht dadurch, dass er sich zu ihnen gesellt. Er behält den Kompass im Auge, bleibt pragmatisch und zielt auf das, worum es sich lohnt zu wirtschaften: die menschlichen Beziehungen und nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft.

Es gibt in diesem Buch viele höchst relevante Kernaussagen, auf die hier nur exemplarisch hingewiesen werden kann. Zentral scheint mir zum Beispiel die Analyse der Entkoppelung von Real- und Finanzwirtschaft. Die Diagnose ist nicht originell. Das Besondere an Anton Affentrangers Schilderungen ist, dass er den Sachverhalt aus der Sicht des Bankiers analysiert und allen die es hören wollen, erklärt, dass die Entkoppelung von Real- und Finanzwirtschaft der Logik der Finanzwirtschaft keineswegs notwendig inhäriert, sondern widerspricht. Die Bankiers, so Affentranger, sollten sich allerdings auf das Einmaleins des Projektfinanzierungsgeschäfts besinnen. In diesem gilt es ein Unternehmensprojekt zu verstehen, seine Chancen und Risiken abzuwägen, Eigen- und Fremdmittel zu strukturieren, Finanzprodukte zu kreieren und Kredit zu spenden ohne die Verknüpfung von Projekt und Kapital aus den Augen zu verlieren. Finanzielle Mittel und die Laufzeiten der Kredite müssen immer mit dem realen Projekt abgestimmt bleiben. Natürlich sind die Möglichkeiten des Irrtums zahlreich, aber aus diesen punktuellen Irrtümern ergäbe sich noch keine systematische Entkoppelung von Real- und Finanzwirtschaft. Ich bin sicher, dass wir in diesem Buch eine einschlägige Argumentation vorgelegt bekommen, dass die Entfremdung von Real- und Finanzwirtschaft der raison d’être der Finanzwirtschaft entgegen läuft und korrigiert werden könnte.

Eindrücklich sind auch Anton Affentrangers Aussagen über Nachhaltigkeit. Auch hier gilt: Der Inhalt der Botschaft ist nicht neu. Bestechend ist aber mit welcher Konsequenz er als Firmenchef sich dem Thema annimmt. Er beschreibt seine späten Lernerfahrungen und sein Umdenken. Mehr noch, er unterzieht sein – und unser aller – unzureichendes Umhandeln einer schonungslosen Analyse und ergreift Partei für die klimabewusste Jugend. Weghören oder Überlesen ist für Verantwortungstragende in Wirtschaft und Politik schwierig, denn es spricht einer, der die wirtschaftlichen Aspekte des Problems versteht, einer aus den Reihen der Wirtschaftselite.

In Max Webers Monumentalwerk Wirtschaft und Gesellschaft findet sich eine in Vergessenheit geratene Passage zur innerweltlichen Askese. Weber beschreibt mit diesem Ausdruck den Idealtypus eines Menschen, der hart arbeitend und geduldig ein Unternehmen entwickelt und die Steigerung des Werts auf die Entwicklung des Unternehmens abstimmt. Gewinn wird nicht kurzsichtig, sondern nachhaltig angestrebt und im Erfolgsfall stets wieder investiert. Obschon dieser wirtschaftende Mensch keine Weltflucht in eine Einsiedelei begeht, zur besten Gesellschaft gehört, mit grossen Summen Geld und Kapital hantiert und selbst viele wertvolle Dinge besitzt, führt er im persönlichen Bereich ein enthaltsames Leben. Er hat keine Zeit für – und bekundet kein Interesse an ausschweifendem Konsum, er pflegt eine innerweltliche Askese, wie Weber sagt. Im zeitgenössischen Verschwendungs- und Finanzblasenkapitalismus ist dieser Weber’sche Idealtypus stark in Vergessenheit geraten. Ich war stets davon ausgegangen, dass es ihn überhaupt nur in Max Webers Theorie gibt – bis ich Anton Affentranger kennenlernte.

Seine Daseinshaltung und Lebensführung bestätigten mir zwei Dinge. Erstens, dass es zumindest Annäherungen an den innerweltlich asketischen Idealunternehmer tatsächlich gibt und zweitens, dass er nicht unbedingt Calvinist sein muss. Zuerst lernte ich Anton Affentranger als Laufpartner und Coach im Marathontraining kennen. Das erste was mir auffiel, war wie weit er laufen kann, ohne Wasser zu trinken. Mit der Zeit wurde mir klar, dass er sich nicht nur auf Langstreckenläufen wenig zugesteht. Wer mit ihm unterwegs ist, muss bereit sein, ohne Flüssigkeit durch die Wüste zu rennen, um dann bei der Oase umso trefflicher belohnt zu werden. Anton Affentranger ist einer, der sich sehr wenig gönnt, der sich selber und den eigenen Leuten das Äusserste abverlangt, der beinhart aber fair für das eigene Unternehmen und die eigene Belegschaft kämpft und diejenigen mit Anerkennung belohnt, die mit ihm – aber bitte mit eigener Meinung und Wahrhaftigkeit – durchhalten. Lange ausruhen lässt er niemanden, zu allerletzt sich selber, denn es gilt unverzüglich die nächste Baustelle in Angriff zu nehmen.

Francis Cheneval

ist Inhaber des Lehrstuhls für Politische Philosophie an der Universität Zürich. Er beschäftigt sich derzeit hauptsächlich mit Demokratietheorie der internationalen Beziehungen, Eigentumsrechten und unternehmerischen Rechten.

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