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II.Wie immer ohne Gewähr

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Second-Opinion. Welch ein wunderbares Wort. Zweitmeinung. Dahinter kann sich jeder verstecken. Mit der eigenen Meinung. Gerade auch dann, wenn der keine eigene hat. Oder, fast schlimmer noch, sich nicht getraut, diese zu artikulieren. Weil diese Unfähigkeit zur eigenen Meinung offenbar derart verbreitet ist, ist eine mächtige Second-Opinion-Industrie entstanden, die gemeinhin auf die Berufsbezeichnung Consultant oder «Berater» getauft ist. Jeder kann sich mit dieser schmücken: Besondere Voraussetzungen oder gar geschützte Bezeichnungen für den Beruf des Consultants? Gibt es nicht.

Jeder kann also seine Second Opinion gegen gutes Entgelt verkaufen, sofern er jemanden findet, der bezahlt. Es gibt viele, die bezahlen. Verwaltungsräte, die nicht mehr weiter wissen. Manager, die unsicher sind. Alle schieben sie ihre Verantwortung nach aussen ab, frei nach dem Motto: nicht auffallen, um nicht reinzufallen. Und natürlich geben die Exponenten dieser Industrie gegen gutes Entgelt gerne ihre Zweitmeinungen ab. Mit einer ganz kleinen Einschränkung: Alles, wie immer, ohne Gewähr. Ohne Gewähr nämlich, dass die abgegebene Meinung dem Kunden wirklich weiterhilft und sein Problem löst. Ohne Gewähr auch, die Verantwortung für die Umsetzung eines Ratschlages zu übernehmen – im Land der Menschen ist das nicht anders wie im Land der Mäuse.

Eine Kanzlei voller Juristen wird beispielsweise beauftragt firmenrelevante Vorgänge auf juristische Rechtmässigkeit zu prüfen. Die Kanzlei wird den Fall eingehend studieren und nach allen Seiten beleuchten – während der Tachometer der Tantiemen sich unablässig dreht. Am Schluss bekommt der Kunde seine Juristen-Meinung präsentiert. Diese wird kaum klar und eindeutig sein. Sondern gespickt mit allerhand Konjunktiven und Adjektiven, prall gefüllt mit Unbestimmtheit. Das einzige was am Schluss klar und bestimmt daherkommt, ist die Honorarrechnung. Der Auftrag gebende Verwaltungsrat wird da nicht mit der Wimper zucken. Sondern alles fein säuberlich protokollieren und in seinen Entscheid einfliessen lassen. Es soll ihm ja keiner den Vorwurf machen können, er habe sich nicht bei den Besten informiert. Und der so teuer Informierte, weiss sich gut abgesichert. Selbst die International Financial Reporting Standards (IFRS), die verbindlichen internationalen Buchungsrichtlinien börsenkotierter Unternehmen, basieren in einigen Buchungskriterien auf legal opinions: delegierte Problembegutachtung und -lösung auch hier.

Dies ist mittlerweile ein praktisch flächendeckendes Phänomen. Kommt es in einer Firma zu einem Führungswechsel auf oberster Ebene, lässt sich beinahe darauf wetten, dass bald vom neuen Chef mandatierte externe Strategie-Berater aufkreuzen, die in der Regel zwei Aufgaben zu erfüllen haben. Nämlich erstens die bestehende Unternehmensstrategie zu überprüfen, um dann zweitens eine neue zu definieren. All dies im üblichen Auftraggeber-Consulting-Verhältnis: Der eigentlich für die Strategie zuständige Verwaltungsrat delegiert deren Formulierung nach draussen und der Auftragnehmer definiert sein Mandat so, dass es an dem Punkt beendet ist, wo die Implementierung der neuen Strategie beginnt. Geht es um IT-Projekte gibt es manches Mal einen entscheidenden Unterschied: In diesem Spezialbereich der technischen Infrastruktur finden sich durchaus Berater, die ihre Lösungsvorschläge auch selber implementieren. Doch auch hier ist der Preis mitunter hoch: Es entsteht eine fast symbiotische Abhängigkeit zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer, die sich zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr so einfach auflösen lässt. Eine Spezialdisziplin der grassierenden Rundumversorgung durch die Gilde der Berater bilden die so genannten Assessments, mit denen heute Manager auf Haut und Haar geprüft werden bevor sie eingestellt sind. Inzwischen werden auch tiefere Kaderstufen solchen Tests unterworfen. Dass Assessment ist übrigens für einmal keine amerikanische Erfindung. Frühformen davon, Wettbewerbe zur Auswahl von Beamten, haben bereits im kaiserlichen China existiert und die deutsche Reichswehr hat nach dem Ersten Weltkrieg Offiziersanwärter durch spezifische Eignungstests geschleust. Allerdings, so ist mit Sicherheit anzunehmen, sind damals keine teuren Berater im Spiel gewesen. Ich bekenne aber auch: Ich habe solche Assessments auch schon durchlaufen und für die Kandidatensuche auch bereits Anbieter dieser Art beauftragt. Und bin damit auch schon auf die Nase gefallen, weil ich auf der Basis der Assessment-Resultate fatale Personal-Fehlentscheide getroffen habe. Den Beratern dafür die Schuld zu geben, wäre allerdings billig. Deshalb sage ich: mea culpa!

Als Fazit bleibt: Führungsgremien von Unternehmen beauftragen Berater mit entscheidenden Fragestellungen und selbst mit eigentlich nicht delegierbaren Aufgaben: Strategie, Personal-Rekrutierung, juristische Expertisen und Kommunikations-Experten – bei letzteren geht das mitunter so weit, dass die Spezialisten die Botschaften direkt in einen Teleprompter eingeben, die dann vom CEO nur noch abgelesen werden müssen. Globale Consultants, urteilt das deutsche Nachrichtenmagazin Der Spiegel, sind heute die fünfte Gewalt in Staat und Wirtschaft. Die Abhängigkeit scheint mittlerweile so hoch, dass Verwaltungsräte, CEOs oder Manager ohne sie nicht mehr handlungsfähig zu sein scheinen. Kein Wunder bedeutet das auf der Angebotsseite ein Eldorado an Marktchancen.

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