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II.Für was er zuständig ist

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Als CEO eines Bau- und Baudienstleistungsunternehmens wie Implenia scheint klar, wofür der Mann an der Spitze alles zuständig ist – zumindest nach dem Massstab dessen, was an Informationen von aussen bis zu ihm durchdringt. Da gab es regelmässig elektronische Post von wildfremden Personen ohne Beziehung zur Firma, die dem Chef einmal deutlich sagen wollten, dass auf seinen Implenia-Baustellen «grösste, nicht tolerierbare Unordnung» herrsche. Ein Puff also, wie der Schweizer zu sagen pflegt. Vom lokalen Projektleiter gab es Schelte, wenn einer unserer Lastwagenfahrer es wieder einmal versäumt hatte, bei dem gelben Zebrastreifen sofort auf die Bremsklötze zu stehen, wenn Passanten in stattlicher Entfernung aufkreuzten. Ein namhafter Journalist hat mir einmal einen elegant formulierten Brief zukommen lassen, in dem er sich in deutlichen Worten über ein seiner Meinung nach ungebührliches Verhalten eines unserer Bauarbeiter beklagte – natürlich mit der Aufforderung einer schriftlichen Stellungnahme des CEO zu diesem nicht tolerierbaren Vorfall zu erhalten samt personellen Konsequenzen für den überführten Sünder.

In der Optik dieser Aussenwelt ist der CEO immer zuständig. Und zwar für alles und jedes. Wehe, der reagiert nicht umgehend und in adäquater Form. Die Tonalität verschärft sich dann schlagartig. Im milderen Fall etwa so: «Was meint denn dieser CEO, wenn er nicht einmal auf mein SMS reagiert?» In der Innenwelt des Unternehmens ist die Erwartungshaltung an den CEO keineswegs eine andere. Dort ist er für alles zuständig, was nicht im Reglement steht. Gewissermassen als Hüter der letzten Fragen. Etwa: Welche politischen Parteien soll die Firma unterstützen? Oder: Wie hoch darf das Budget für das Personalfest dieses Jahr sein? Natürlich sind das alles Fragestellungen, die das Unternehmen im Innersten in Frage stellen.

Es gab aber natürlich immer auch positives Feedback. In Erinnerung blieb mir jener Tourist, der im Sommer im europäischen Norden unterwegs war und mir per SMS einen Foto-Schnappschuss zuschickte: stolzer Schweizer auf dem Bild mit dem Margeriten-Logo der Schweizer Implenia. Auslöser für diese patriotische Gefühlsaufwallung ist selbstverständlich auch der CEO.

Was mich zu einer ersten Erkenntnis führt: Der CEO ist zuständig für alles. Und wer für alles zuständig ist, ist zuständig für nichts. Peter F. Drucker, der im Jahre 2005 verstorbene Begründer der modernen Managementlehre, meinte kurz vor seinem Tod, die Menschen sähen im CEO eine Art unternehmensinternen Coach oder Springer, der immer dann zur Stelle sei, wenn es Probleme zu lösen gäbe. Diese irrige Vorstellung wollte der Altmeister zertrümmern und hinterliess Fragmente seiner Gedanken zur Rolle des CEO. Teile davon publizierte Peter F. Drucker noch unter dem Titel The American CEO als Kolumne im Wall Street Journal. Darin heisst es: «Der CEO ist das Bindeglied zwischen dem Inside, das heisst der Organisation und der Aussengesellschaft der Wirtschaft, Technologie, Märkte, Kunden, Medien, öffentliche Meinung. Innen gibt es nur Kosten. Ergebnisse und Einnahmen kommen nur von aussen.»

So richtig diese Gedanken auch sein mögen. Interessant wurde es immer dann, wenn Lieferanten beim CEO intervenierten. Sind diese nun innen, weil sie frei nach Peter F. Drucker bekanntlich Kosten produzieren? Oder aussen wie Kunden oder Märkte? Nach dem Inhalt von deren Interventionen zu urteilen, betrachteten sich viele der Lieferanten schon fast als Teil des Unternehmens. Der CEO, fanden diese oft ohne rot zu werden, solle doch schauen, dass Konditionen und Preise endlich besser würden. Ich müsse ja daran interessiert sein, langfristige Lieferantenbeziehungen aufzubauen, wurde mir beschieden. Regelmässig wurde ich auch zu irgendwelchen Veranstaltungen eingeladen – als würden heute keine rigiden Compliance-Bestimmungen Gültigkeit besitzen. Vielleicht kann darüber hinwegsehen, wer sich als Freund des Hauses sieht.

Ähnliche Haltungen poppten auf, sobald die Politik intervenierte. Dann wurde es wirklich spannend. Warum, hiess es in solchen Fällen an die Adresse des CEO, bekommt ein ausländischer Lieferant den anstehenden Auftrag? Wo doch die angesehene lokale Unternehmung gewissermassen vor der Türe zu finden wäre? Nie fehlte dann auch der Hinweis, ein Bauunternehmen wie Implenia erhalte doch öffentliche Aufträge, die mit Steuergeldern finanziert seien. Es wurde nicht immer nur subtil gedroht, so dass der CEO schon verstand, dass es Politiker sind, die öffentliche Bauvorhaben auslösen.

Bei den Kunden war es dann meist exakt umgekehrt. Dort lautete die zentrale, oftmals als Frage verkleidete Forderung: Was hat der kundenfreundliche CEO zu bieten? Kann er den Preis weiter nach unten drücken, da er doch alles Interesse haben muss, den Auftrag auch zu bekommen? Wenn er das – aus welchen Gründen auch immer – nicht tat, stand schon die nächste Frage im Raum: Über was für Kompetenzen verfügt ein solch unbeweglicher CEO überhaupt? Oder vielleicht schlimmer noch: Wieso ist der überhaupt noch da?

Diskussionen mit und über Kunden. Ein Evergreen, den jeder CEO kennt. Genauso wie deren Hinweis darauf, wer denn am Schluss die Rechnungen im Unternehmen zahlt, wenn nicht der Kunde? Oder gar der Fingerzeig, dass kein anständiger Unternehmer seinen Kunden über den Tisch zieht. Ist ersterer ein Bauunternehmer wie der Implenia-CEO, hat der meist ein ganz anderes Problem. Gerade bei Grossprojekten ist oftmals gar nicht mehr erkennbar, wer nun der Kunde eigentlich ist. Eine juristische Person, die durch verschiedene abstrakte Instanzen vertreten wird? Oder eine spezifische Person, ein Funktionsträger, etwa die Rechtsabteilung des Kunden?

Das Resultat: ein Wirrwarr an Verantwortlichkeiten und Kompetenzen. Jeder Beteiligte versucht, seine persönliche Raison d’être zu finden und zu halten. Manche kommen dabei gewaltig unter die Räder. Und den letzten in der Reihe beissen die Hunde – im Baugewerbe ist das oftmals der Projektleiter. Ein armer Tropf. Ab einem bestimmten Punkt des Baufortschritts spürt er den heissen Atem der Juristen im Nacken, die nun in Stellung gehen, um für ihre Kundschaft finanziell noch irgendetwas, egal was, herauszuschlagen. Zu Recht, aber oftmals halt auch zu spät mag der sich fragen: Warum, zum Kuckuck, ist dieser Vertrag nicht wasserdicht? Hat den vor der Unterzeichnung denn keiner auf Herz, Nieren und Risiken abgeklopft? Wenn dann noch allerhand Kontrolleure, so genannte Risk-Manager oder selbsternannte Experten aus irgendwelchen Löchern aufpoppen, ist die Antwort klar und wohl auch klar, wie diese Angelegenheit weitergeht.

An Sitzungen wird in der Folge von allen Beteiligten plötzlich alles Mögliche fleissig protokolliert. Man weiss ja nie, wozu das noch gut sein kann, wenn es gilt, eigene Ansprüche durchzusetzen. Dass es nur darum geht, wird unserem gebeutelten Projektleiter spätestens klar, wenn sich die eingeschriebenen Briefe häufen – der Fall des Bauvorhabens ist nun zum Rechtsfall promoviert. Oder in anderer Perspektive dorthin degradiert. Jetzt, wo die Verantwortung für das grosse Ganze allen Beteiligten entglitten und bis zur Unkenntlichkeit atomisiert ist, hilft nur noch eines: die höchste Instanz anzurufen. Und das ist bekanntlich der CEO.

Ob der den gordischen Knoten durchschlagen kann? Ich sage: meist nicht. In vielen Fällen ist es zu spät, die Streithähne bereits unrettbar ineinander verkeilt. Und dann ist da ja oftmals, frei nach Peter Handke, auch die Angst des CEO beim Elfmeter – nur wer nichts tut, hält seinen Kasten rein. So wie beim Krimi des österreichischen Autors auch klar wird: Der Tormann, der sich völlig ruhig verhält, bekommt vom Schützen den Ball in die Hände geschossen. Wieso also soll sich unser CEO exponieren, wenn er sich doch besser versteckt und die Verantwortung teuer und elegant an die Gerichte weiterschiebt? Also hier braucht es den CEO nicht. Nicht mehr. Auseinandersetzungen von Mann zu Mann per Handschlag aus der Welt zu schaffen – irgendwie fühlt sich ein CEO heute dafür nicht mehr zuständig.

Auf Hochtouren läuft in der Gegenwart dafür das Reklamationswesen mit dem CEO als Türsteher an der Klagemauer. Ich hatte oft den Eindruck ein grosszügig dimensionierter Reklamationskorb zu sein. Zielscheibe unzufriedener Kunden. Objekt der Anklage enttäuschter Mitarbeitenden, wenn diese eine ihnen vermeintlich zustehende Beförderung oder eine Lohnerhöhung nicht erhalten haben. Diese Beschwerden kamen in der Regel mit der Androhung einer Kündigung falls nicht sofort positiv behandelt. Immer freitagnachmittags hat sich meine E-Mail-Box in solchen Angelegenheiten besonders hartnäckig gefüllt. Schneller jedenfalls wie an anderen Wochentagen. So als galt es am CEO kurz vor dem Wochenende noch schnell den eigenen Frust abzureiben. Natürlich gab es auch die berechtigten Reklamationen. In solchen Fällen ist ein CEO mit Fingerspitzengefühl von durchschlagendem Vorteil – gewissermassen als Chief Beschwerde Officer (CBO). Der CEO, der sich darüber beklagen will, sollte sich vor dem grossen Wehklagen daran erinnern, dass er für seinen Job gut bezahlt ist.

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