Читать книгу Baustellen - Anton Affentranger - Страница 18

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Das dauert. In der Zwischenzeit geniesst die Katze Narrenfreiheit. Und reisst munter weitere Mäuse. Berater aus den besten Adressen der Zunft reichen ausführliche Offerten ein. Drei von ihnen kommen auf die Shortlist, die vor dem vollzähligen Gremium ihre Vorstellungen präsentieren sollen, wie sie der Katzen-Krise Herr werden wollen. Alle drei legen sich mächtig ins Zeug. Wollen den Prestigeauftrag aus dem Land der Mäuse unbedingt. Angeführt von einem Senior Partner kommen die Beratungsunternehmen mit einer stattlichen Delegation angereist. Juniors verteilen die Dokumente an die Regierungsmitglieder im Mäuse-Land und kümmern sich auch darum, dass der Hellraum-Projektor nicht im falschen Moment seinen Geist aufgibt. Als alle drei Präsentationen durch sind, gibt es erneut grosse Diskussionen unter den Regierungsmitgliedern. Nicht alle Berater sind sattelfest gewesen. Beim Preis gibt es grosse Unterschiede. Man könnte einfach den Billigsten nehmen. Aber das wäre ein Risiko bei der Qualität. Oder den Teuersten – das gäbe möglicherweise öffentliche Kritik. Weil keiner aus dem Gremium wirklich Verantwortung für die Wahl der Consultants tragen will, geht dies den Weg des geringsten Widerstands. Einer aus dem Trio der Anbieter wird einfach gestrichen. Der Ausgeschiedene füttert in seinem Frust natürlich sofort die Presse mit Insiderinformationen, die genüsslich fette, regierungskritische Schlagzeilen druckt.

Die Katze geniesst derweil ihre Zeit. Sie hat genug zum Fressen und weiss, wo sie dieses findet.

Der Druck auf die Regierung steigt. Es droht eine Revolte von unten. In der Not wählt sie schnell und ohne weitere Konsultationen eine Consulting-Firma aus: Es ist M&M und diese erhält kurze zwanzig Tage für die Präsentation einer Lösung. M&M-Mitarbeitende, meist junge Consultants in Turnschuhen, schwärmen aus im Land der Mäuse und befragen überall die Bewohner auf allen Hierarchiestufen bis hinauf zu den Regierungsmitgliedern. Alles wollen sie wissen, alles könnte wichtig sein in dieser Phase der Daten-Erhebung, die dann, nach der folgenden Analysephase, münden soll in eine griffige Lösung der Katzen-Krise. Die jungen Turnschuh-Consultants erheben eine beeindruckende Menge an Daten, verdichten diese zu aussagekräftigen Modellen, die dann als Basis dienen für verschiedene Szenarien zur Behebung der Katzen-Krise. Die Jungen besprechen ihre Schlussfolgerungen mit dem bereits angegrauten Senior Consultant von M&M. Nach diesem Austausch wird weiter ausgebessert und nachbearbeitet und das Ganze in bunte Folien überführt, die dann dem zuständigen Ausschuss der Regierung präsentiert werden. Es entzündet sich eine hitzige Debatte. Nicht etwa über die darin präsentierten Schlussfolgerungen. Sondern über eigentlich Nebensächliches, über Formales der Präsentation und über die Farbgebung bei gewissen Folien.

Am Tage 16. kommt plötzlich Hektik auf. Was, wenn die Regierung der Mäuse auf die präsentierten Vorschläge nicht einsteigt? Wären dann die schönen in Aussicht gestellten Tantiemen für die Consultants plötzlich in Gefahr? Wäre es angezeigt, bei sämtlichen Regierungsmitgliedern entsprechend zu lobbyieren, damit der Auftrag gesichert wäre? Das würde viel Zeit kosten. Mehr Zeit jedenfalls als gemäss Vertrag noch zur Verfügung steht. Der M&M-Projektleiter springt also über seinen Schatten und kontaktiert den M&M-Senior Consultant, der über diese Störung gar nicht erfreut ist. Denn erstens ist er mit seiner Familie gerade in den Ferien im fernen Asien. Zweitens ist er nicht berauscht von der Vorstellung, dass seine Mannen für das Lobbying eine honorarfreie Woche Zeit veranschlagen. Aber schliesslich lässt er sich breitschlagen, beim Regierungspräsidenten der Mäuse in dem vorgeschlagenen Sinne zu intervenieren. Über sein Sekretariat lässt er zwei Tage später ausrichten, dass der Kunde damit einverstanden ist. Natürlich nicht ohne zu erwähnen, dass er dabei seine ganze Autorität als M&M-Senior Consultant in die Waagschale geworfen hat. Immerhin hat er damit aufzeigen können, was ihm so wichtig ist: Ohne ihn geht es nicht. Und weil das so ist, ist er ja auch Partner der M&M-Firma und deshalb ist auch seine hohe finanzielle Entschädigung auf diesem Posten mehr als gerechtfertigt.

Jeder Minister im Land der Mäuse wird nun von den M&M-Lobbyisten einzeln in die Mangel genommen und auf Linie gebracht. Das zeigt Wirkung. Kein Minister wagt es mehr kritische Fragen zum Vorgehen zu stellen. Nach zwanzig Tagen plus einer Woche ist das M&M-Team jedenfalls ziemlich sicher, den Kunden in der Angelegenheit mit der Katze im Sack zu haben. Die Chancen, dass die Mäuse-Regierung in corpore dem Vorschlag von M&M zustimmen würde, sind jedenfalls mehr als intakt.

Derweil herrscht Ausnahmezustand im Land der Mäuse. Die Katze dreht ihre Runden nach inzwischen bewährtem Speiseplan. Unter den Mäusen herrscht Panik. Die bevorstehende Sitzung der Regierung, in der über die Überwindung der Katzen-Krise entschieden werden soll, ist Tagesgespräch in den Trampelpfaden der Mäuse. Die Luft ist geschwängert von Gerüchten über das, was kommen könnte und Fake News machen die Runde.

Am 27. Tag ist D-Day. Die M&M-Truppe taucht vollzählig vor dem Regierungsgebäude auf. In dunkelblauen Anzügen und roten Krawatten. TV-Kameras surren. Wortlos gehen die Berater an diesen vorbei, verschwinden im Regierungsgebäude. Drinnen im Konferenzsaal steigt die Spannung. Die gesamte Regierung ist anwesend. Und dann geht’s los. Ein sichtlich nervöser M&M-Senior Partner spricht ein paar Worte zur Einführung. Unterstreicht natürlich die hervorragende Arbeit, die sein Team geleistet hat. Lobt den Austausch mit den Regierungsbeamten. Dann kommt der Projektleiter an die Reihe. Auch er ist angespannt. Wohl, weil er weiss, dass sich jetzt erst wirklich zeigen wird, ob sich sein intensives Lobbying auszahlen wird. Und von diesem Projekt hängt schliesslich auch ab, ob er selber bald in einen M&M-Partnerstatus aufsteigen kann. Er zeigt die Ergebnisse der Datenerhebung. Die Erkenntnisse aus deren Analyse. Und schliesslich seine Empfehlung zur sofortigen und nachhaltigen Überwindung der Katzen-Krise – alles ist wiederum schön angerichtet auf bunten Folien.

Dann, nach einer bewusst gesetzten Kunstpause, lässt der Projektleiter die Katze aus dem Sack. Er sagt: Zur sofortigen Beendigung der Katzen-Krise gebe es ein todsicheres Rezept. Nach diesen Worten legt er wieder eine Kunstpause ein. Im Raum ist es nun mucksmäuschenstill. Die Regierungsmitglieder strecken erwartungsvoll ihr Schnauzen in die Luft. Dann zündet der Projektleiter die Bombe: «Dieser Katze muss eine Glocke umgebunden werden!» So seien die Mäuse immer gewarnt, wenn die Katze aufkreuze und könnten sich in ihren Behausungen verstecken – dort hinein schaffe es keine Katze. Wolle der Mäuse-Mörder also nicht vor Hunger elendiglich zugrunde gehen, gebe es nur einen Ausweg: Die Katze wird mit knurrendem Magen das Land der Mäuse verlassen. Und dann sei das Land der Mäuse wieder das Paradies, welches es einmal gewesen ist.

Es gibt keine Fragen. Keine Einwände. Nur Erleichterung. Die Glocke, darüber herrscht sofort Einigkeit, das ist die Lösung. Der Regierungspräsident im Land der Mäuse erhebt sich von seinem Sessel. Bedankt sich beim Senior Partner für die beeindruckende Arbeit von M&M. Im Namen der Regierung und auch im Namen des gebeutelten Mäuse-Volkes. Dann überreicht er dem M&M-Senior Partner einen Scheck mit der Schlussabrechnung aller noch ausstehenden Honorare. Es ist ein schönes Stück Papier mit einer schön langen Zahl darauf. Mit stolzgeschwellter Brust verlassen die Consultants daraufhin den Raum. Und auch schnellen Schrittes. Fast so als könnten sie es kaum erwarten mit den nun eingesackten Mäusen das Land der Mäuse hinter sich zu lassen.

Als die Regierung wieder unter sich ist, wirft der Polizeiminister der Mäuse eine Frage in den Raum: «Wer», will er in gedehnten Worten wissen, «wird der Katze die Glocke umhängen?» Gute Frage. M&M ist bereits über alle Berge. Und mit ihnen auch der Scheck. Wer also soll das tun? Es wird plötzlich sehr laut im Raum. Und es wird lange gestritten. Nur mit Mühe gelingt es dem Regierungschef wieder Ruhe unter seine Kollegen zu bringen. Es scheint so, dass jeder Einzelne panische Angst davor hätte, es könnte ihn treffen, diesen Job ausführen zu müssen, der bei Lichte besehen praktisch einem Todesurteil gleichkommt. Angesichts dieser ausweglos scheinenden Situation schlägt der Präsident vor: «Fragen wir M&M! Die haben doch für alles eine Lösung.» Nach aussen wird vorerst also nichts kommuniziert und es dauert Tage bis der Präsident der Mäuse den M&M-Senior-Partner endlich am Draht hat. Und die Katze dreht weiter ihre Runden im Land der Mäuse.

Die Antwort des M&M-Senior Beraters an den Regierungschef ist kurz, bündig und bezeichnend für den Berufsstand der Consultants. Er wisse auch nicht wie der Katze die Glocke umgehängt werden kann. Geschweige denn, wer dies tun soll. Dafür sei er nicht zuständig. Auch die Firma M&M nicht. Im übrigen sei das Mandat ja beendet und bezahlt. Und dann noch dies: Sie seien für Analyse und Empfehlung zuständig. Die Ausführung und Umsetzung aber sei doch Sache des Kunden.

Damit endet diese Geschichte: so etwas wie eine Parabel auf die Zunft der Berater. Ich habe sie vor zwei Jahrzehnten einmal in Venedig als Einleitung zu einem Vortrag vor Finanzfachleuten erzählt. Thema war damals Veränderungen im Banking. Es gab Schmunzeln, ja Gelächter unter den Zuhörern. Es ist mir also gelungen diese für mich einzunehmen. Weniger jedoch der Veranstalter des Anlasses – eine global tätige Consulting-Firma. Die waren über meine Recherchen im Land der Mäuse gar nicht glücklich. Sie hätten vielleicht vorgewarnt sein können: Als Witz über Berater kursiert die Geschichte schon länger und sie existiert auch als Fabel in spanischer Sprache mit dem Titel Poniénole el cascabel al gato, was gewöhnlich mit Das Glöckchen und die Katze übersetzt wird. Zu meiner Entlastung kann ich nur nachschieben: Ich war damals noch etwas jung. Vielleicht auch etwas naiv im Glauben, dass Humor schwerer wiegt als Zorn. Und dann noch dies: Diese damals sehr angesehene und global agierende Consulting-Firma existiert längst nicht mehr.

Die viel interessantere Frage wäre jedoch: Was ist die Moral von der Geschicht’? Dass Berater für Ausführung und Umsetzung ihrer Empfehlungen nicht zuständig sind? Dass es Consultants mit Skin in the Game, die für die Realisierung ihrer Ratschläge ihre Haut zu Markte tragen würden, eben nicht gibt? Das ist eine zwar richtige, aber möglicherweise eine auch etwas banale Erkenntnis. Die wesentlich dramatischere Einsicht ist für mich, dass die Dienstleistungen der Berater-Gilde sich heute einer Nachfrage erfreuen wie noch selten zuvor. Nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Sektor wird die Denkleistung von Betrieben und Behörden zunehmend externalisiert. Man könnte dieses Verhalten als Denkfaulheit interpretieren, als Denkverweigerung gar. Anders ist kaum zu verstehen, dass Manager wie Beamte grosse Berateraufträge vergeben, für Arbeiten, die sie eigentlich selber verrichten müssten. Für drei- bis sechstausend Franken pro Mann und Tag, zuzüglich Spesen und abzüglich «Skin in the Game». In der Haut der Berater müsste man stecken: Das ist ein Bombengeschäft.

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