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Zwischen Literatur und Geschichte
ОглавлениеPigafettas Bericht ist die ausführlichste und sicherlich die am spannendsten zu lesende historische Quelle zur ersten Umsegelung der Erde. Aber er ist beileibe nicht die einzige – und keineswegs die zuverlässigste. Um dies mit einem Beispiel zu illustrieren: Nachdem Pigafetta die dramatischen Ereignisse geschildert hat, die zu Magellans Tod auf den Visayas führten, stimmt er einen Hymnus auf den gefallenen Kapitän an, in dem er unter anderem behauptet, „dass niemand anderer so viel Einfallsreichtum und Wagemut besaß, eine Umrundung der Welt zu ersinnen, wie er es fast geschafft hätte“.
Mit dieser Behauptung schuf Pigafetta den seit dem 19. Jahrhundert oft beschworenen Mythos vom Weltumsegler Magellan. Aber abgesehen davon, dass Magellan die Erde niemals ganz umfahren hat, hatte er dies auch nicht im Sinn. Weder aus der Planungsphase seiner Expedition noch aus deren Verlauf ist irgendein Dokument erhalten, das Pigafettas Behauptung stützen würde. Im Gegenteil, Magellans Vertrag mit dem kastilischen König verbot ihm ausdrücklich, die Rechte Portugals zu verletzen – was er mit einer Weltumrundung zwangsläufig getan hätte, denn diese hätte durch die portugiesische Erdhälfte führen müssen. Sein Auftrag lautete vielmehr, eine Route zu den Molukken durch die westliche, in Tordesillas der kastilischen Krone zugeschriebene Erdhälfte zu finden. Daneben verfolgte er sicherlich, wie bereits gesagt, private Pläne, nämlich für sich und seine Familie Handels- und Herrschaftsrechte in Ostasien zu ergattern.
Dass am Ende mit der Victoria eines von Magellans Schiffen auf dem Weg um das Kap der Guten Hoffnung nach Sevilla zurückkehrte und die Erde umrundete, war weniger das Ergebnis visionärer Planung als der Not geschuldet – und dem Monsunwind. Als die beiden letzten Schiffe der Armada, die nach langer Irrfahrt im November 1521 doch noch die Molukken erreicht hatten, ihre Segel für die Heimfahrt hissten, wehte der Monsunwind aus Nordosten. Die Seefahrer wollten ihre mit Nelken beladenen Schiffe so schnell wie möglich nach Hause bringen, saß ihnen doch die Angst im Nacken, von einer portugiesischen Flotte aufgebracht zu werden. Hinzu kam, dass die Trinidad und die Victoria nach mehr als zweijähriger Fahrt über die Weltmeere abgetakelt, ihre Rümpfe von Bohrmuscheln zerfressen waren. Vor das Dilemma gestellt, auf den Südwest-Monsun zu warten, um durch die kastilische Erdhälfte zurückzusegeln, oder sofort in See zu stechen und eine Fahrt durch portugiesische Hoheitsgewässer zu riskieren, entschieden sich die Schiffsführer für Letzteres. Doch nur die Victoria lenkte am 21. Dezember 1521 ihren Bug nach Südwesten. Bei der Trinidad hatte sich kurz vor der Abfahrt ein Leck bemerkbar gemacht, das erst in monatelanger Arbeit geflickt werden musste, bevor auch sie im Frühjahr 1522 die Heimfahrt antreten konnte – nun aber mit Kurs Nordost, weil der Monsun inzwischen gedreht hatte.
Die Trinidad sollte ihr anvisiertes Ziel, den Isthmus von Panama, nie erreichen. Der halb verhungerte Rest ihrer Mannschaft endete in portugiesischer Gefangenschaft. Die Victoria aber, kommandiert vom baskischen Schiffmeister Juan Sebastián Elcano, lief nach mehr als achtmonatiger Fahrt voller Fährnisse und Strapazen am 6. September 1522 wieder in ihren Ausgangshafen Sanlúcar de Barrameda ein, von wo aus Elcano noch am selben Tag dem König – mittlerweile Kaiser Karl V. – schrieb: „Deine hohe Majestät möge jedoch wissen, was wir am höchsten erachten: dass wir die gesamte Rundung der Welt entdeckt und umrundet haben, indem wir nach Westen weggefahren und von Osten zurückgekehrt sind.“
Elcano und die übrigen Überlebenden auf der Victoria waren die Helden des Tages. Niemand sprach mehr von Magellan, oder wenn, dann eher abschätzig als von einem Gescheiterten, dem obendrein der Vorwurf anhaftete, sich bei der Niederschlagung der Meuterei in Patagonien an spanischen Edelleuten ins Unrecht gesetzt zu haben. Allein Pigafetta hielt seinem verblichenen Kapitän die Treue.
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Wie die anderen Heimkehrer der Victoria war auch Pigafetta von Sevilla rasch nach Valladolid weitergereist, wo er dem Kaiser „ein eigenhändig geschriebenes Buch über alle Dinge, die Tag für Tag auf unserer Reise geschehen waren“, überreichte. Bei diesem Buch, das seither verschollen ist, handelte es sich womöglich um eine Abschrift seiner Tagebuch-Notizen.
Lange blieb Pigafetta nicht am Kaiserhof. Nach einer Vortragstournee mit Stationen in Lissabon, Frankreich, Mantua und Venedig kehrte er 1523 in seine Heimatstadt Vicenza zurück. Dort machte er sich daran, seine Notizen zu einem literarischen Reisebericht auszuarbeiten – zu jenem Text also, der hier in deutscher Übersetzung präsentiert wird.
In seiner Erzählung brach der Autor gleich mehrere Lanzen für Magellan, den er als selbstlosen Anführer, als treuen Diener von Kirche und Kaiser, vor allem aber als Ausnahme-Seefahrer porträtierte, dem kein Steuermann das Wasser habe reichen können. Da war es nur folgerichtig, dass Pigafetta seinem ehemaligen Chef auch die Idee der Erdumrundung zuschrieb, in deren Ruhm sich die Helden der Victoria, allen voran Juan Sebastián Elcano, nach ihrer Rückkehr sonnten.
Dass Pigafetta seinen Bericht als Magellan-Apologie anlegte, zeigt sich auch in dem, was er nicht schrieb. Nach den tragischen Ereignissen auf den Visayas übernahm zunächst der aus Portugal stammende Steuermann João Lopes Carvalho die Führung der dezimierten Armada. Carvalho erwies sich jedoch als inkompetent, sodass die Mannschaft an seiner Stelle Gonzalo Gómez de Espinosa, der bisher als Profos für die Disziplin an Bord verantwortlich gewesen war, zum Anführer wählte. Obwohl die Seefahrer unter Gómez’ Kommando die Molukken erreichten, nennt Pigafetta den Namen dieses Mannes nicht ein einziges Mal, genauso wenig den von Elcano, der immerhin die Rückkehr der Victoria nach Spanien – gegen Teile der Mannschaft, die ihr Leben höher schätzten als den Ruhm – durchsetzte. Über beide Anführer verhängte der Autor somit eine Damnatio memoriae.
Die spanischen Kapitäne, die während der Überwinterung in Patagonien 1520 gegen Magellan rebellierten, werden in Pigafettas Bericht zwar namentlich genannt. Aber seine Darstellung der Meuterei ist derart verkürzt und enthält so viele Irrtümer, dass wir dieses Schlüsselereignis der Expedition gar nicht einordnen könnten, stünden uns nicht auch Zeugenaussagen und andere Berichte zur Verfügung. Ihnen lässt sich entnehmen, dass die meuternden Kapitäne durchaus sachliche Gründe hatten, an der Führungskompetenz des Generalkapitäns zu zweifeln, und nicht nur, wie Pigafetta unterstellt, von ihrem Hass auf Magellan angetrieben wurden, „weil er Portugiese war und sie Spanier“.
In Pigafettas Bericht vermischen sich also Fakten und Fiktion. Er ist nicht nur geschichtliches Dokument, sondern auch literarisches Werk. Das zeigt sich auch dort, wo der Autor Begegnungen mit fremden Kulturen schildert. Erweist sich Pigafetta hier einerseits als Meister der Beschreibung von tatsächlich Neuem, so unterfüttert er seine Beobachtungen andererseits mit Wissen und Legenden, die er aus bereits publizierten Reiseberichten abschrieb. In seiner Schilderung Brasiliens spiegeln sich etwa die Briefe von Amerigo Vespucci und Pietro Martire d’Anghiera wider, und zwar so deutlich, dass Pigafetta den südamerikanischen Tupi sogar Wörter aus karibischen Sprachen in den Mund legt. Später, auf den Visayas, schmückt er seine Erzählung mit einem Exkurs über die Kokospalme, den er dem Itinerario des Indienreisenden Ludovico de Varthema (1510 gedruckt) entnommen haben dürfte. Andere Quellen, deren Spuren sich in Pigafettas Werk wiederfinden, sind die spätmittelalterlichen Reiseberichte von Marco Polo und Niccolò Conti sowie das zeitgenössische Buch des Duarte Barbosa.
Folglich ist nicht alles, was Pigafetta erzählt, auf eigenem Mist gewachsen, und man darf auch nicht alles für bare Münze nehmen. Sein Reisebericht ist ein schillerndes Dokument, deshalb freilich keine minder informative und reizvolle Lektüre. Vieles von dem, was er schrieb, war für seine Zeitgenossen in Europa unerhört, und mit manchem war er seiner Zeit weit voraus, so auch mit den umfänglichen Wörterbüchern indigener Sprachen, die er in seinem Werk auflistete und die hier ebenfalls auf Deutsch abgedruckt sind. Sie sind nicht nur für Linguisten lehrreich, die aus ihnen Erkenntnisse zur Geschichte der patagonischen Sprachen, des Cebuano (Visayan) und des Malaiischen gewinnen, sondern auch von großem ethnologischen Interesse.
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Das große Interesse, das seine Story allerorten hervorrief, weckte in Pigafetta anscheinend die Hoffnung, daraus Kapital schlagen zu können – literarisches und finanzielles. Im Lauf des Jahres 1524 bemühte er sich an mehreren Stellen um Patronage für sein Werk und eine Druckerlaubnis. Außer an den Markgrafen von Mantua und Papst Clemens VII., an dessen Hof in Rom er Anfang 1524 eine Zeit lang weilte, wandte er sich auch an Philippe de Villiers d’Isle-Adam. Der Großmeister von Rhodos residierte seit Kurzem in Latium, seit die Türken den Orden 1523 von seiner Insel vertrieben hatten.
Wie ein venezianischer Chronist bezeugt, zählte Pigafetta spätestens seit Herbst 1523 zum illustren Kreis der Rhodosritter, und von dieser Seite sollte er denn auch angemessenen Lohn für seine literarischen Mühen empfangen. Am 3. Oktober 1524 übertrug ihm der Orden die Kommende Norcia, Todi und Arquata, deren Einkünfte dem Autor hinfort eine auskömmliche Existenz ermöglicht haben dürften. Im Gegenzug widmete Pigafetta seinen Reisebericht dem Großmeister.
Im Juni 1525 wird Pigafettas Name noch einmal im Testament seines Vaters genannt, danach verliert sich seine Spur für immer. Die Spekulationen reichen von einem heroischen Schlachtentod im Krieg gegen die Türken bis zum beschaulichen Lebensabend als Rentier. Welchem Szenario auch immer man den Vorzug gibt – fest steht, dass Pigafetta, aus welchen Gründen auch immer, die Drucklegung seines Berichts nicht mehr selbst in Angriff nahm.
Irgendwann nach 1525 erschien in Paris eine gekürzte französische Fassung, die 1536 ins Italienische rückübersetzt wurde und 1550 Eingang in Giovanni Battista Ramusios viel gelesenes Kompendium Delle navigationi et viaggi fand. Lange Zeit war nur diese gekürzte Version in Umlauf, während der vollständige Text in den Bibliotheken der Rhodosritter (oder vielmehr der Malteser, wie sie sich seit ihrer Übersiedlung nach Malta 1530 nennen) verschwand. Nur ein einziges Exemplar fand seinen Weg in die ehrwürdige Biblioteca Ambrosiana zu Mailand, wo Carlo Amoretti es entdeckte und 1800 als gedrucktes Buch herausgab. Die Wiederentdeckung von Pigafettas Bericht wurde enthusiastisch aufgenommen, Übersetzungen in mehrere Sprachen folgten auf dem Fuße. Nun endlich wurde dem Patrizier aus Vicenza der literarische Ruhm zuteil, auf den er eigenem Bekunden zufolge bereits spekuliert hatte, als er im Sommer 1519 auf Magellans Armada anheuerte.