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Von Vicenza auf die Visayas
ОглавлениеPigafettas Reisebericht hat seinen Autor weltberühmt gemacht. Doch viel mehr als das, was er darin schreibt, wissen wir nicht über seine Person – trotz intensiver Forschungen in den Archiven. Bevor Pigafetta sich im Sommer 1519 mit Magellan einschiffte, hat er so gut wie keine Spuren in der Geschichte hinterlassen, was jedoch nicht weiter verwundern muss, lebte er doch in einem Zeitalter, das sich noch nicht dem Datensammeln verschrieben hatte.
Gesichert ist, dass Antonio Pigafetta in eine wohlhabende und fromme Familie geboren wurde, die seit alters zum Patriziat von Vicenza in Norditalien zählte. Vicenza hatte sich zu Beginn des 15. Jahrhunderts der Republik Venedig unterworfen. Seither ging es in Pigafettas Heimatstadt zumeist friedlich zu, und die regierende Adelsschicht – mithin auch die Familie des Autors – konnte mittels ihrer Pacht- und Renteneinkünfte ein annehmliches, geruhsames Leben führen.
Antonios Vater hieß Giovanni und war insgesamt dreimal verheiratet. Entweder aus der ersten oder der zweiten, 1492 geschlossenen Ehe dürfte der künftige Seefahrer hervorgegangen sein. Eine Schwester (oder Halbschwester) trat 1503 als Nonne in den Augustinerorden ein, sein Vater übernahm in späteren Jahren eine leitende Funktion im Dritten Orden, das heißt der Laienbruderschaft der Franziskaner, und Antonio selbst gelang es, in den Ritterorden von Rhodos aufgenommen zu werden – eine elitäre religiöse Vereinigung, die auf die frühen Tage der Kreuzzüge zurückging und sich ehedem „Orden vom Hospital des heiligen Johannes zu Jerusalem“ nannte. Wie einst die Kreuzritter weihten die cavalieri von Rhodos ihr Leben dem bewaffneten Kampf gegen die Feinde Christi, als welche damals in erster Linie die Türken angesehen wurden. Wann Pigafetta die Ehre der Mitgliedschaft in diesem Orden zuteilwurde, wissen wir nicht; dokumentiert ist sie erst ab 1524, also nach der Rückkehr von seiner Weltreise, als er dem Großmeister der Rhodosritter, Philippe de Villiers de l’Isle-Adam, seinen Bericht widmete.
Wie aus dem Widmungsschreiben hervorgeht, trat Pigafetta irgendwann in den Dienst des päpstlichen Protonotars und Nuntius Francesco Chiericati, eines erfahrenen und weitgereisten Kirchendiplomaten, der wie er aus Vicenza stammte. Ende 1518 wurde Chiericati von Papst Leo X. mit einer Mission an den spanischen Königshof betraut. Im Gefolge des Nuntius gelangte Pigafetta nach Barcelona, wo er von einer bewaffneten Schiffsflotte hörte, einer sogenannten Armada, die zur Stunde in Sevilla ausgerüstet wurde und deren Ziel die Gewürzvorkommen auf den Molukken waren.
Anscheinend interessierte Pigafetta sich schon länger für die Schifffahrt über den Ozean, die damals vor allem Portugiesen und Spanier mit Eifer betrieben, denn wie er schreibt, hatte er bereits viele Bücher zu dem Thema gelesen. Nun sah er die Chance gekommen, „selbst Erfahrungen zu sammeln und auszufahren, um solche Dinge zu sehen, die mir womöglich einige Befriedigung und einen gewissen Namen bei der Nachwelt verschaffen könnten“. Er bat darum, auf der Armada anheuern zu dürfen. Sowohl der König als auch sein Dienstherr, der Nuntius, gewährten ihm die Bitte, und so schiffte Pigafetta sich nach Málaga ein, um sich von dort auf dem Landweg nach Sevilla zu begeben.
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Der Patriziersohn aus Vicenza vernahm also in Barcelona den Lockruf der Ferne – und zwar der größten Ferne, die man sich damals vorstellen konnte, liegen doch die Molukken von Europa aus gesehen auf der anderen Seite der Erde. Im Jahr 1519 bildeten sie den südöstlichsten, entlegensten Winkel der Welt, soweit sie den Europäern – das heißt den besser Informierten – bekannt war. Nur ganz wenige Europäer hatten die Inseln bisher mit eigenen Augen zu Gesicht bekommen. Und diese wenigen stammten ausnahmslos aus Portugal.
1497 war eine portugiesische Flotte unter Vasco da Gama um die Südspitze Afrikas gesegelt und hatte erstmals die indische Malabarküste erreicht1. Dort lag eines der Zentren des globalen Gewürzhandels, der von den Molukken bis nach Antwerpen und London reichte; andere wichtige Umschlagplätze waren Malakka (heute Melaka) auf der Malaiischen Halbinsel, die ägyptische Hafenstadt Alexandria und Venedig. Weil die auf dieser Route gehandelten Spezereien – Pfeffer, Zimt, Ingwer, Muskatnuss, Nelken und andere – einen weiten Weg kamen, waren sie teuer und entsprechend hoch die Margen der Händler, desgleichen die Zölle, die unterwegs erhoben wurden. Es war ein sehr einträgliches Geschäft, an dem Europäer freilich nur als zahlende Endkunden beteiligt waren – mit Ausnahme der Venezianer, die als einzige in Alexandria Gewürze aus Asien einkaufen durften und somit für diese Luxuswaren in Europa ein Handelsmonopol ausübten.
Mit der Ankunft Vasco da Gamas in Indien änderte sich die Situation von Grund auf. Von nun an konnten Händler unter portugiesischer Flagge den Venezianern und deren Geschäftspartnern in Alexandria Konkurrenz machen, indem sie Gewürze aus Indien auf dem Seeweg nach Europa importierten – und die portugiesische Krone durfte sich über satte Zolleinnahmen freuen. Damit keineswegs zufrieden, bemühten sich die Portugiesen in den folgenden Jahren, den gesamten Indienhandel unter ihre Kontrolle zu bringen. Auch wenn ihnen das letztlich nicht gelingen sollte, erzielten sie doch beachtliche Erfolge. Seit der Schlacht von Diu 1509 beherrschten ihre Schiffe das Arabische Meer, 1511 eroberten sie Malakka, die Drehscheibe des Handels in Südostasien, und wenig später steuerte eine portugiesische Vorhut bereits Banda und die Molukken an, wo die kostbarsten aller Gewürze produziert wurden: Muskat und Nelke. Diese Erfolge machten aus dem vormals randständigen Königreich Portugal eine Großmacht, deren Herrscher Manuel I. davon träumen konnte, Jerusalem zu erobern und sich zum Kaiser der Christenheit zu erheben.
Naturgemäß sorgte Portugals kometenhafter Aufstieg nicht überall für Entzücken. Abgesehen von den Venezianern und den – vorwiegend muslimischen – Kaufleuten im Indischen Ozean und in Alexandria, die sich unmittelbar geschädigt sahen, waren auch die meisten Herrscher der Christenheit wenig erfreut. Vor allem Manuels Nachbarn in Kastilien und Aragón beäugten den neuen Reichtum ihres Lissaboner Kollegen und Schwiegersohnes mit Missgunst.
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Kastilien und Aragón wurden seit 1479 vom „Katholischen Königspaar“ Isabella und Ferdinand regiert; aus dieser dynastischen Allianz sollte das moderne Spanien entstehen. Das Herrscherpaar verwandte zunächst seine ganze Energie darauf, das letzte muslimische Reich auf der Iberischen Halbinsel, das Emirat von Granada, zu erobern, was ihm 1492 gelang. Noch im selben Jahr begannen Isabella und Ferdinand, ihrerseits Schiffe auf den Ozean zu entsenden, und schon die erste Expedition unter Christoph Kolumbus zeitigte spektakuläre Ergebnisse. Der Genuese kam mit der Sensationsmeldung zurück, auf seiner Fahrt nach Westen Asiens Ostküste erreicht zu haben, die Gestade Chinas, von dessen Macht und Reichtum man sich in Europa seit Marco Polo Wunderdinge erzählte.
Daraufhin schlossen Kastilien und Portugal 1494 in Tordesillas einen Vertrag, worin sie die Erde in zwei Hälften aufteilten. 370 Leugen, das heißt ca. 2200 Kilometer, westlich der Kapverdischen Inseln zogen sie eine Demarkationslinie von Pol zu Pol und vereinbarten, dass alle Inseln und Festländer, die östlich dieses Meridians bereits entdeckt wurden oder künftig entdeckt würden, Portugal gehören sollten; der ganze Westen sollte hingegen der kastilischen Krone zufallen.
Lange Zeit schien es, als hätte Kastilien in diesem Arrangement den Kürzeren gezogen. Während Portugal bald von Jahr zu Jahr größere Flotten aussandte und sich am Kai von Lissabon der Pfeffer bergeweise aufstapelte, brachte Kolumbus auch von seiner vierten und letzten Fahrt über den Ozean 1504 nicht die erhofften Reichtümer, sondern bloß Hiobsbotschaften mit.
Inzwischen verging kein Jahr, ohne dass von Europas Atlantikküste aus Schiffe westwärts segelten. Einige verschwanden auf Nimmerwiedersehen, aber die meisten kehrten mit der Nachricht zurück, nach Tausenden Meilen Fahrt über den Ozean auf weitläufige Küsten gestoßen zu sein. Wie bei einem Puzzle zeichneten sich allmählich die Konturen einer immensen Landmasse ab, die vom Äquator weit nach Norden und Süden reichte. Von den prächtigen Hafenstädten Chinas, die Marco Polo und andere beschrieben hatten, fand sich indes keine Spur. Kolumbus’ Auftraggeber in Spanien mussten einsehen, dass, was auch immer ihr Admiral im Westen entdeckt hatte, nicht Asien sein konnte. Offenbar lag jenseits des Ozeans ein Erdteil verborgen, von dem die gelehrten Autoritäten der Antike nichts gewusst hatten – eine „Neue Welt“. Das war nun zwar eine atemberaubende Entdeckung, jedoch keine, die sich so schnell in kommerziellen und fiskalischen Gewinn ummünzen ließ wie Portugals Handelsimperium in Indien.
Unterdessen erreichte die portugiesische Konkurrenz die Molukken – ein Erfolg, von dem man bald auch in Spanien Wind bekam. Weil aber einerseits in Europa niemand wusste, wo die Molukken genau lagen, andererseits unter den Gelehrten Uneinigkeit herrschte, was den Umfang der Erde betraf, argwöhnten manche, die Gewürzinseln lägen so weit im Osten Asiens, dass sie eigentlich zum Westen gehörten – das heißt zur kastilischen Erdhälfte, wie sie im Vertrag von Tordesillas definiert worden war. Die kastilische Krone musste also fürchten, dass Portugal sich Länder und Reichtümer unter den Nagel riss, die von Rechts wegen ihr zustanden. Und weil ihr der Seeweg nach Westen versperrt war, konnte sie nicht einmal etwas tun, um den Verdacht zu erhärten.
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Als König Ferdinand 1516 starb – seine Gattin Isabella war ihm zwölf Jahre im Tod vorangegangen –, hatte sich an der Situation wenig geändert. Außer dass in Kastilien mittlerweile ein bürokratischer Apparat entstanden war, der die Erkundung und Ausbeutung der Länder in Übersee kontinuierlich vorantrieb. Er wurde vom Königlichen Rat und Bischof von Burgos, Juan Rodríguez de Fonseca, geleitet, dem wiederum die Casa de la Contratación unterstand, eine Institution, die viele Funktionen in sich vereinte: Sie war Handelskammer, Zollbehörde, Gericht, Bank, Reederei und Studienzentrum für nautische und geographische Fragen. Der Casa de la Contratación oblag es, den gesamten Schiffsverkehr von Spanien nach Übersee zu kontrollieren. Ihren Sitz hatte sie im labyrinthischen Palastkomplex des Alcázar – der im maurischen Stil erbauten Königsburg – von Sevilla.
Dort wurden Ende 1517 zwei Portugiesen vorstellig, die der kastilischen Krone ein Geschäft anbieten wollten: Wenn man ihnen Schiffe gäbe, würden sie gegen angemessenen Lohn nicht nur den lang gesuchten westlichen Seeweg nach Asien finden, sondern auch beweisen, dass die Molukken in der kastilischen Erdhälfte lägen. Die beiden Männer hießen Rui Faleiro und Fernão de Magalhães – Letzterer ist heute als Ferdinand Magellan weltbekannt. Sie bildeten ein ungleiches, sich jedoch perfekt ergänzendes Paar.
Der Wissenschaftler Rui Faleiro hatte sich an der Universität eingehend mit Kosmographie befasst, dem Studium von Himmel und Erde, und dabei Lösungen für ein kniffliges Problem entwickelt, das seinerzeit Gelehrte ebenso wie Seefahrer umtrieb. Faleiro behauptete, den Längengrad eines beliebigen Ortes auf Erden bestimmen zu können. Das war in einer Zeit, als es noch keine transportablen Uhren gab, die hinreichend genau gingen, nur auf der Basis höchst fehleranfälliger astronomischer Beobachtungen und diffiziler Berechnungen möglich. Mit ihrer Hilfe wollte Faleiro den Längengrad der Molukken ermitteln und ihre – vermutliche – Zugehörigkeit zur kastilischen Hemisphäre beweisen. Zuerst aber musste der Kosmograph auf die Molukken gelangen, und dafür sollte sein Kompagnon sorgen: Ferdinand Magellan.
Magellan stammte aus einer adligen, aber nicht reichen Familie. Seine Eltern besaßen ein Gut in der Nähe von Porto, der Hafenstadt im Norden Portugals. Acht Jahre hatte er als Ritter in königlichen Diensten in Indien zugebracht und dabei oft genug, so auch 1509 in Diu und 1511 in Malakka, in vorderster Linie gekämpft. Nebenbei hatte er sich profunde Kenntnisse der Geographie Asiens und der Hochseeschifffahrt angeeignet und wertvolle Kontakte geknüpft – Kenntnisse und Kontakte, die ihm auch in seiner Heimat, in die er wohl 1513 zurückkehrte, zugutekamen. Dank seinem Insiderwissen investierte er nicht ohne Erfolg in den Indienhandel und erfuhr frühzeitig von neuen Geschäftschancen.
Zwei von Magellans Kontakten sollten sich als besonders nützlich erweisen: Francisco Serrão, ein Waffenbruder aus seinen Tagen in Indien, erreichte 1513 als erster Europäer die Molukken, wo es ihm offenbar so gut gefiel, dass er sich als Militärberater eines Fürsten, des Sultans von Ternate, niederließ. Von Ternate aus schrieb Serrão seinem Freund Magellan Briefe, in denen er von den Schätzen der Molukken schwärmte – im Wesentlichen Gewürznelken, die zu jener Zeit nur dort gediehen – und ihre geographische Lage genau beschrieb. Damit gab er seinem Freund Information an die Hand, die in Portugal als Staatsgeheimnis galt.
Der zweite Kontakt, der für Magellan geradezu schicksalhaft werden sollte, war Cristóbal de Haro, ein in Lissabon ansässiger Kaufmann mit kastilischen Wurzeln, der einem international operierenden Handelskontor vorstand. Haro, seinerseits am Molukkenhandel interessiert, hatte schon auf eigene Rechnung Schiffe ausgesandt, die im Süden der „Neuen Welt“ einen Seeweg nach Asien suchen sollten. Unzufrieden mit der restriktiven Wirtschaftspolitik der portugiesischen Krone, die den Indienhandel kräftig besteuerte, kehrte Haro 1516 oder 1517 in seine Heimatstadt Burgos zurück, wo der Chef der kastilischen Kolonialbürokratie, Juan Rodríguez de Fonseca, als Bischof amtierte. Mit großer Wahrscheinlichkeit war es Haro, der Magellan von der möglichen Existenz einer südwestlichen Seeroute nach Asien überzeugte und ihm nahelegte, sein Glück in Kastilien zu versuchen. Und Haro war es auch, der im Hintergrund dafür sorgte, dass Magellan und Faleiro offene Türen vorfanden, als sie im Februar 1518 der neuen kastilischen Regierung in Valladolid ihre Pläne unterbreiteten.
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Nur wenige Wochen vor den beiden portugiesischen Glücksrittern war im September 1517 der neue König von Kastilien und der erste von ganz Spanien, Karl I., auf der Iberischen Halbinsel gelandet. Die Ratgeber des kaum volljährigen Königs erkannten sofort, dass das Projekt der beiden Portugiesen enorme Gewinne versprach – bei überschaubaren Risiken. Eine Flotte auszurüsten, kostete Geld, aber im Verhältnis zu den Unsummen, die der Königshof tagtäglich für seine Prachtentfaltung ausgab, fielen diese Kosten kaum ins Gewicht. Sicherzustellen war lediglich, dass die geplante Expedition kein Zerwürfnis mit Portugal hervorrief. Aber dafür würden die beiden portugiesischen Anführer sorgen – allein schon im Interesse ihrer Angehörigen, die sie in Portugal zurückgelassen hatten.
Und so hielten Faleiro und Magellan schon bald besiegelte Urkunden in den Händen, die sie zu Geschäftspartnern des kastilischen Königs bei der Entdeckung der Gewürzinseln machten und ihnen den Rang „königlicher Kapitäne an Land und zur See“ verliehen. Aber bis die beiden Abenteurer wirklich in See stechen konnten, blieb noch einiges zu tun. Für die nächsten anderthalb Jahre schlugen sie daher ihre Zelte in Sevilla auf, wo ihnen die Casa de la Contratación mit ihren personellen und materiellen Ressourcen zur Verfügung stand.
Hochseetaugliche Schiffe wollten angeschafft und für die lange Fahrt über den Ozean flottgemacht werden. Man musste Ausrüstung, Proviant, Waffen und Munition für zwei Jahre einkaufen und eine tatkräftige Mannschaft anheuern. Zudem waren etliche Widerstände aus dem Weg zu räumen, die teils auf interne Querelen, teils auf portugiesische Versuche zurückgingen, der kastilischen Konkurrenz bei ihrem erneuten Vorstoß nach Asien Steine in den Weg zu legen. Und nicht zuletzt mussten die Kapitäne dafür sorgen, dass König Karl I., der im Frühjahr 1519 seine Hände nach der Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reiches auszustrecken begann, seine finanziellen Verpflichtungen einhielt und der Expedition nicht den Geldhahn zudrehte.
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Als Antonio Pigafetta im Frühsommer 1519, mehrere Empfehlungsschreiben in der Tasche, in Sevilla eintraf, waren die Vorbereitungen für die weite Fahrt in vollem Gange. Im Puerto de las Muelas, dem Hafen am rechten Guadalquivir-Ufer, lagen fünf Naos vertäut, Schiffe von zwanzig bis dreißig Metern Länge mit jeweils drei Masten und turmartigen Aufbauten am Bug und am Heck. Über die Decks spazierten Kalfaterer mit Töpfen voll Pech in den Händen, um die letzten Fugen abzudichten. Offiziere erklärten Zimmerleuten, wie sie ihre Kajüten zu möblieren hätten. Stauer rollten Tonnen mit Wein aus Jerez die Laufplanken hinauf und ließen sie, nebst Säcken voll Zwieback, Tonkrügen gefüllt mit Öl, Pulverfässern und anderen Vorräten in den Bäuchen der Schiffe verschwinden. Doch nur ein Teil der Ladung kam schon jetzt an Bord. Das meiste würde erst später gestaut werden, nachdem die Schiffe bis zur Guadalquivir-Mündung hinabgefahren waren, denn der Fluss war für voll beladene Schiffe dieser Größe zu seicht.
Den Kommandanten dieser kleinen Armada traf Pigafetta möglicherweise in seiner Wohnstätte an, während er „Korkdosen und Holzkisten mit konservierten Lebensmitteln und anderen Dingen ordnete“ – eine solche Szene findet sich im Brief eines portugiesischen Agenten geschildert, der Magellan in den Wochen vor der Abreise daheim aufsuchte. Ein anderer Zeitgenosse beschrieb den „Generalkapitän“ der Molukken-Armada als kleinwüchsig und auf den ersten Blick unscheinbar, aber als „beherzten und couragierten“ Mann, der Entschlossenheit ausstrahlte. Über Pigafettas äußere Erscheinung wissen wir hingegen nichts (ein Bildnis des 16. Jahrhunderts, das ihm oft zugeordnet wird, stellt einen Verwandten dar). Fest steht jedoch, dass beide Männer rasch einen guten Eindruck voneinander gewannen, denn Pigafetta findet sich kurz darauf als „Antonio, Lombarde“ in den Lohnbüchern der Expedition verzeichnet, wobei „Lombarde“ hier mit Norditaliener zu übersetzen ist.
Magellan und Pigafetta waren nicht nur Standesgenossen, sie dürften auch eine gewisse Verwandtschaft im Geiste aneinander festgestellt und bald schätzen gelernt haben. Ob Pigafetta schon vor seiner Einschiffung zu den Molukken ein Rhodosritter war, konnte bisher nicht nachgewiesen werden, aber zum frommen Kriegertum der Kreuzfahrer fühlte der Patrizier aus Vicenza sich gewiss schon länger hingezogen. Desgleichen Magellan, der von Karl I. zu einem Komtur des Ordens von Santiago ernannt worden war – auch dies ein Ritterorden mit Wurzeln in der Kreuzzugszeit. Wie aus Magellans Testament und vor allem sehr deutlich aus Pigafettas Bericht hervorgeht, bedeutete ihm diese Ernennung nicht nur eine äußerliche Ehre, sondern er dürfte sie als echten Auftrag zur christlichen Mission empfunden haben: Sowohl Magellan als auch Pigafetta waren in der Wolle gefärbte katholische Ritter.
So nimmt es nicht wunder, dass Magellan den Neuankömmling auf sein Flaggschiff Trinidad holte. In der Mannschaftsliste firmiert Pigafetta unter der Rubrik sobresalientes – das waren die „Überzähligen“, die keine bestimmte Funktion an Bord ausübten. Mit einer monatlichen Heuer von tausend Maravedis verdiente er weniger als ein gemeiner Matrose, aber er zählte zu den criados, das heißt den „Dienern“ oder „Gefolgsleuten“ des Generalkapitäns – ein weiteres Indiz für das Vertrauen, das Magellan schon vor der Abreise in den reiselustigen Italiener gefasst hatte.
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Am 10. August 1519 legte die Molukken-Armada mit Wimpelgeflatter und Böllerschüssen vom Ufer des Guadalquivir ab, zunächst ohne Magellan und, nach seinem Bericht zu urteilen, wohl auch ohne Pigafetta. Ihre erste Station war der Hafen Bonanza an der Mündung des Guadalquivir in den Ozean, unweit des befestigten Ortes Sanlúcar de Barrameda. Hier lagen die Schiffe einige Wochen, bis der gesamte Proviant und vor allem die Waren verstaut waren: gefärbte Tuche, Mützen, Glasperlen, Spiegel, Scheren, billige Messer und anderer Tand, der auf den Molukken gegen Nelken und andere in Europa gefragte Spezereien eingetauscht werden sollte.
Schließlich kamen auch Magellan und die übrigen Kapitäne nach. Unter ihnen fehlte Rui Faleiro, den die Auftraggeber – offenbar im Zweifel über seine geistige Gesundheit – kurz vor der Abfahrt abberufen hatten. Faleiros Platz neben Magellan nahm Juan de Cartagena ein, Patrizier aus Burgos, der das Vertrauen der Krone genoss und als Oberaufseher ein Auge auf den Generalkapitän haben sollte, während die wissenschaftlichen Aufgaben dem königlichen Steuermann Andrés de San Martín, einer Koryphäe seines Fachs, übergeben wurden.
Sechs Wochen, nachdem sie von Sevillas Mole abgelegt hatten, stachen die fünf Naos am 20. September 1519 endgültig in See. Sie segelten über den Golf von Cádiz, und nach einem letzten Zwischenstopp auf Teneriffa nahmen sie Kurs nach Süden, immer die afrikanische Küste entlang. Nach einigen Flauten und Stürmen, die die Moral untergruben und Konflikte zwischen Magellan und den Schiffsführern schürten, gelangten sie an die westlichen Gestade des Atlantiks. Die Seefahrer folgten der brasilianischen Küste bis 23 Grad südlicher Breite, wo sie vermutlich auf der heutigen Ilha do Governador, einem Stadtteil Rio de Janeiros, bei den dort ansässigen Tupi-Indianern eine zweiwöchige Rast einlegten. Kurz vor Weihnachten setzten sie ihre Reise nach Süden fort und erreichten schließlich den gewaltigen Mündungstrichter der Flüsse Paraná und Uruguay, der heute den Namen Río de la Plata trägt.
Am Nordufer des Río de la Plata endete der geographische Horizont der Europäer. Magellan und seine Gefährten durften daher hoffen, südlich davon den vermuteten Seeweg nach Westen zu finden. In den nächsten Monaten erkundeten sie jede Bucht und Flussmündung entlang der Küste südwärts, bis sie das harsche Klima und der anbrechende Winter Ende März zwangen, bei 49 Grad Süd innezuhalten. Magellan befahl seiner Flotte, in einem natürlichen Hafen zu überwintern – fünf lange Monate in extrem karger Umgebung, während derer der Generalkapitän einer Meuterei Herr werden und einen Schiffbruch verdauen musste. Dem Land, in dem er überwinterte, drückte er bis heute seinen Stempel auf, indem er den dort lebenden Menschen den Namen „Patagonier“ gab.
Im antarktischen Frühjahr 1520 setzten die Seefahrer ihre Suche fort. Und endlich war ihnen das Glück hold: Am 21. Oktober fanden sie bei 52 Grad Süd die Einfahrt in eine Meerenge. Aber diese entpuppte sich als Labyrinth von verästelten Wasserstraßen, und die Wind- und Strömungsverhältnisse waren derart schwierig, dass die Durchfahrung der künftigen „Magellanstraße“ erst nach sechs zähen Wochen gelang, und nachdem ein weiteres Schiff – diesmal durch Desertion – verloren gegangen war.
Dennoch war die Stimmung an Bord gehoben, als die verbliebenen drei Schiffe, neben der Trinidad die Concepción und die Victoria, am 27. oder 28. November 1520 die Meerenge im Osten hinter sich ließen. Vor ihnen lag das Meer und damit – hoffentlich! – der Weg nach Asien offen.
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Die Fahrt über diesen – bei Pigafetta erstmals „pazifisch“, also friedlich genannten – Ozean sollte sich mehr als drei Monate hinziehen und viele Männer das Leben kosten, denn die bisherige Reise hatte sowohl an der Widerstandskraft der Besatzung als auch an den Vorräten gezehrt. Frisches Wasser und Essen wurden rar, und die gefürchteten, in ihrer Ursache freilich noch unerkannten Symptome des Skorbuts machten sich bemerkbar.
Um die erste europäische Überquerung des Pazifiks rankt sich mancher Mythos. So liest man oft, Magellan und seine Steuermänner hätten keine Ahnung gehabt, wie groß die Distanz war, die sie zu überwinden hatten. In Wahrheit waren sie auf der Höhe der fortschrittlichsten geographischen Theorien ihrer Zeit. Mit diesen ging Magellan von einem ca. sieben Prozent geringeren als dem realen Erdumfang aus, während er die Lage der Molukken um nur wenige Längengrade zu weit östlich veranschlagte. In Summe dürfte er sich bei einer Gesamtbreite des Pazifiks (am Äquator) von rund 16 000 Kilometern um tausend Kilometer verschätzt haben – keine Kleinigkeit, aber auch nicht so weit jenseits der Realität wie oft behauptet.
Auch dass Magellan seine kleine Flotte – obwohl er wusste, dass die Molukken nah am Äquator lagen – weit in die nördliche Hemisphäre segeln ließ, hatte gewiss wohlkalkulierte Gründe. Während seines Aufenthalts in Indien dürfte ihm zu Ohren gekommen sein, dass der Ostküste Asiens ein großer Archipel vorgelagert war, auf dem es neben anderen Reichtümern jede Menge Gold gab: die heutigen Philippinen. Wohl in der Hoffnung, dieses Land zu finden, hatte Magellan sich in seinem Vertrag mit dem kastilischen König Handelsprivilegien und das Gouverneursamt für alle Inseln ausbedungen, die er auf seiner Fahrt zu den Molukken entdecken würde. Also wies er auf dem Pazifik seine Steuermänner an, ihre Schiffe über den Äquator hinaus bis zum 12. nördlichen Breitengrad und dann erst wieder westwärts zu steuern.
Auf diesem Kurs stießen sie – nach einem Zwischenhalt auf Guam, der für die Seefahrer unergiebig, für die Einheimischen jedoch tragisch endete – am 16. März 1521 auf eine große Inselgruppe, deren Bewohner augenscheinlich zivilisierte Menschen waren und die obendrein üppigen Goldschmuck trugen. Magellan hatte sein erstes Ziel erreicht: die Visayas, die mittlere Inselgruppe der Philippinen.
Für den Generalkapitän sollten die Visayas zugleich die Endstation seiner Reise sein, „denn so wollte es sein unglückliches Los“. Magellans treuem Chronisten Pigafetta aber boten diese Inseln, die kein Europäer je zuvor betreten hatte, so reichlich Stoff zum Schreiben, dass seine Hoffnung, sich „einen gewissen Namen bei der Nachwelt (zu) verschaffen“, in Erfüllung gehen sollte.