| Aber ein Neues ersann die liebliche Tochter Kronions: |
220 | Siehe sie warf in den Wein, wovon sie tranken, ein MittelGegen Kummer und Groll und aller Leiden Gedächtnis.Kostet einer des Weins, mit dieser Würze gemischet;Dann benetzet den Tag ihm keine Träne die Wangen,Wär’ ihm auch sein Vater und seine Mutter gestorben, |
225 | Würde vor ihm sein Bruder, und sein geliebtester Sohn auchMit dem Schwerte getötet, daß seine Augen es sähen.Siehe so heilsam war die künstlichbereitete Würze,Welche Helenen einst die Gemahlin Thons PolydamnaIn Ägyptos geschenkt. Dort bringt die fruchtbare Erde |
230 | Mancherlei Säfte hervor, zu guter und schädlicher Mischung;Dort ist jeder ein Arzt, und übertrifft an ErfahrungAlle Menschen; denn wahrlich sie sind vom Geschlechte Päeons.Als sie die Würze vermischt, und einzuschenken befohlen,Da begann sie von neuem, und sprach mit freundlicher Stimme: |
235 | Atreus’ göttlicher Sohn Menelaos, und ihr geliebten Söhne tapferer Männer; es sendet im ewigen WechselZeus bald Gutes bald Böses herab, denn er herrschet mit Allmacht.Auf, genießet denn jetzo in unserem Hause des Mahles,Euch mit Gesprächen erfreuend! Ich will euch was Frohes erzählen. |
240 | Alles kann ich euch zwar nicht nennen oder beschreiben,Alle mutigen Taten des leidengeübten Odysseus;Sondern nur eine Gefahr, die der tapfere Krieger bestandenIn dein troischen Lande, wo Not euch Achaier umdrängte.Seht, er hatte sich selbst unwürdige Striemen gegeißelt, |
245 | Und nachdem er die Schultern mit schlechten Lumpen umhüllet,Ging er in Sklavengestalt zur Stadt der feindlichen Männer.Ganz ein anderer Mann, ein Bettler schien er von Ansehn,So wie er wahrlich nicht im achaiischen Lager einherging.Also kam er zur Stadt der Troer; und sie verkannten |
250 | Alle den Helden; nur ich entdeckt’ ihn unter der Hülle,Und befragt’ ihn: doch er fand immer listige Ausflucht.Aber als ich ihn jetzo gebadet, mit Öle gesalbet,Und mit Kleidern geschmückt, und drauf bei den Göttern geschworen,Daß ich Odysseus den Troern nicht eher wollte verraten, |
255 | Bis er die schnellen Schiff’ und Zelte wieder erreichet;Da verkündet’ er mir den ganzen Entwurf der Achaier.Als er nun viele der Troer mit langem Erze getötet,Kehrt’ er zu den Argeiern, mit großer Kunde bereichert.Laut wehklageten jetzo die andern Weiber in Troja; |
260 | Aber mein Herz frohlockte; denn herzlich wünscht’ ich die Heimkehr,Und beweinte den Jammer, den Aphrodite gestiftet,Als sie mich dorthin, fern vorn Vaterlande geführet,Und von der Tochter getrennt, dem Eh’bett und dem Gemahle,Dem kein Adel gebricht des Geistes oder der Bildung! |
265 | Ihr antwortete drauf Menelaos der Bräunlichgelockte: Dieses alles ist wahr, o Helena, was du erzähltest.Denn ich habe schon mancher Gesinnung und Tugend gelernet,Hochberühmter Helden, und bin viel Länder durchwandert;Aber ein solcher Mann kam mir noch nimmer vor Augen, |
270 | Gleich an erhabener Seele dem leidengeübten Odysseus!Also bestand er auch jene Gefahr, mit Kühnheit und Gleichmut,In dem gezimmerten Rosse, worin wir Fürsten der GriechenAlle saßen, und Tod und Verderben gen Ilion brachten.Dorthin kamest auch du, gewiß von einem der Götter |
275 | Hingeführt, der etwa die Troer zu ehren gedachte;Und der göttergleiche Deiphobos war dein Begleiter.Dreimal umwandeltest du das feindliche Männergehäuse,Rings betastend, und riefst der tapfersten Helden AchaiasNamen, indem du die Stimme von aller Gemahlinnen annahmst. |
280 | Aber ich und Tydeus’ Sohn und der edle OdysseusSaßen dort in der Mitte, und höreten, wie du uns riefest.Plötzlich fuhren wir auf, wir beiden andern, entschlossen,Auszusteigen, oder von innen uns hören zu lassen.Aber Odysseus hielt uns zurück von dem raschen Entschlusse. |
285 | Jetzo saßen wir still, und alle Söhne der Griechen.Nur Antiklos wollte dir Antwort geben; doch eilendSprang Odysseus hinzu, und drückte mit nervichten HändenFest den Mund ihm zusammen, und rettete alle Achaier;Eher ließ er ihn nicht, bis Athene von dannen dich führte. |
290 | Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen: Atreus’ Sohn Menelaos, du göttlicher Führer des Volkes,Desto betrübter! Denn alles entriß ihn dem traurigen TodeNicht, und hätt’ er im Busen ein Herz von Eisen getragen!Aber lasset uns nun zu Bette gehen, damit uns |
295 | Jetzo auch die Ruhe des süßen Schlafes erquicke. Als er dieses gesagt, rief Helena eilend den Mägden, Unter die Halle ein Bett zu setzen, unten von PurpurPrächtige Polster zu legen, und Teppiche drüber zu breiten,Hierauf wenige Mäntel zur Oberdecke zu legen. |
300 | Und sie enteilten dem Saal, in den Händen die leuchtende Fackel,Und bereiteten schnell das Lager. Aber ein HeroldFührte Telemachos hin, samt Nestors glänzendem Sohne.Also ruhten sie dort in der Halle vor dem Palaste.Und der Atreide schlief im Innern des hohen Palastes; |
305 | Helena ruhte bei ihm, die schönste unter den Weibern. Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte, Sprang er vom Lager empor, der Rufer im Streit Menelaos,Legte die Kleider an, und hing das Schwert um die Schulter,Band die schönen Sohlen sich unter die zierlichen Füße, |
310 | Trat aus der Kammer hervor, geschmückt mit göttlicher Hoheit,Ging und setzte sich neben Telemachos nieder, und sagte: Welches Geschäft, o edler Telemachos, führte dich hieher, Über das weite Meer, zur göttlichen Stadt Lakedämon?Deines, oder des Volks? Verkünde mir lautere Wahrheit! |
315 | Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen: Atreus’ Sohn Menelaos, du göttlicher Führer des Volkes,Darum kam ich zu dir, um Kunde vom Vater zu hören.Ausgezehrt wird mein Haus, und Hof und Äcker verwüstet;Denn feindselige Männer erfüllen die Wohnung und schlachten |
320 | Meine Ziegen und Schaf’ und mein schwerwandelndes Hornvieh,Freier meiner Mutter, voll übermütiges Trotzes.Darum fleh ich dir jetzo, die Knie’ umfassend, du wollestSeinen traurigen Tod mir verkündigen; ob du ihn selberAnsahst, oder vielleicht von einem irrenden Wandrer |
325 | Ihn erfuhrst: denn ach! zum Leiden gebar ihn die Mutter!Aber schmeichle mir nicht, aus Schonung oder aus Mitleid;Sondern erzähle mir treulich, was deine Augen gesehen.Flehend beschwör’ ich dich, hat je mein Vater OdysseusEinen Wunsch dir gewährt mit Worten oder mit Taten, |
330 | In dem troischen Lande, wo Not euch Achaier umdrängte:Daß du, dessen gedenkend, mir jetzo Wahrheit verkündest! Voll Unwillens begann Menelaos der Bräunlichgelockte: O ihr Götter, ins Lager des übergewaltigen MannesWollten jene sich legen, die feigen verworfenen Menschen! |
335 | Aber wie wenn in den Dickicht des starken Löwen die HirschkuhIhre saugenden Jungen, die neugeborenen, hinlegt,Dann auf den Bergen umher und kräuterbewachsenen TälernWeide sucht; und jener darauf in sein Lager zurückkehrt,Und den Zwillingen beiden ein schreckliches Ende bereitet: |
340 | So wird jenen Odysseus ein schreckliches Ende bereiten!Wenn er, o Vater Zeus, Athene und Phöbos Apollon!Doch in jener Gestalt, wie er einst in der fruchtbaren LesbosSich mit Philomeleides zum Wetteringen emporhub,Und auf den Boden ihn warf, daß alle Achaier sich freuten; |
345 | Wenn doch in jener Gestalt Odysseus den Freiern erschiene!Bald wär’ ihr Leben gekürzt, und ihnen die Heirat verbittert!Aber warum du mich fragst und bittest, das will ich geradausOhn’ Umschweife dir sagen, und nicht durch Lügen dich täuschen;Sondern was mir der wahrhafte Greis des Meeres geweissagt, |
350 | Davon will ich kein Wort dir bergen oder verhehlen. Noch in Ägyptos hielten, wie sehr ich nach Hause verlangte, Mich die Unsterblichen auf, denn ich versäumte die Opfer;Und wir sollen nimmer der Götter Gebote vergessen.Eine der Inseln liegt im wogenstürmenden Meere |
355 | Vor des Ägyptos Strome; die Menschen nennen sie Pharos:Von dem Strome so weit, als wohlgerüstete SchiffeTages fahren, wenn rauschend der Wind die Segel erfüllet.Dort ist ein sicherer Hafen, allwo die Schiffer gewöhnlichFrisches Wasser sich schöpfen, und weiter die Wogen durchsegeln. |
360 | Allda hielten die Götter mich zwanzig Tage; denn niemalsWehten günstige Wind’ in die See hinüber, die SchiffeÜber den breiten Rücken des Meeres hinzugeleiten,Und bald wäre die Speis’ und der Mut der Männer geschwunden,Hätte mich nicht erbarmend der Himmlischen eine gerettet. |
365 | Aber Eidothea, des grauen WogenbeherrschersProteus’ Tochter bemerkt’ es, und fühlte herzliches Mitleid.Diese begegnete mir, da ich fern von den Freunden umherging;Denn sie streiften beständig, vom nagenden Hunger gefoltert,Durch die Insel, um Fische mit krummer Angel zu fangen. |
370 | Und sie nahte sich mir, und sprach mit freundlicher Stimme: Fremdling, bist du so gar einfältig, oder so träge? Oder zauderst du gern, und findest Vergnügen am Elend:Daß du so lang auf der Insel verweilst? Ist nirgends ein AuswegAus dem Jammer zu sehn, da das Herz den Genossen entschwindet? |
375 | Also sprach sie; und ich antwortete wieder und sagte: Ich verkündige dir, o Göttin, wie du auch heißest,Daß ich mitnichten gerne verweile; sondern gesündigtHab’ ich vielleicht an den Göttern, des weiten Himmels Bewohnern.Aber sage mir doch, die Götter wissen ja alles! |
380 | Wer der Unsterblichen hält mich hier auf, und hindert die Reise?Und wie gelang’ ich heim auf dem fischdurchwimmelten Meere?Also sprach ich; mir gab die hohe Göttin zur Antwort: Gerne will ich, o Fremdling, dir lautere Wahrheit verkünden. Hier am Gestade schaltet ein grauer Bewohner des Meeres, |
385 | Proteus, der wahrhafte Gott aus Ägyptos, welcher des MeeresDunkle Tiefen kennt, ein treuer Diener Poseidons.Dieser ist, wie man sagt, mein Vater, der mich gezeuget.Wüßtest du diesen nur durch heimliche List zu erhaschen;Er weissagte dir wohl den Weg und die Mittel der Reise, |
390 | Und wie du heimgelangst auf dem fischdurchwimmelten Meere.Auch verkündigt’ er dir, Zeus’ Liebling, wenn du es wolltest,Was dir Böses und Gutes in deinem Hause geschehn sei,Weil du ferne warst auf der weiten gefährlichen Reise. Also sprach sie; und ich antwortete wieder, und sagte: |
395 | Nun verkünde mir selber, wie fang’ ich den göttlichen Meergreis,Daß er mir nicht entfliehe, mich sehend oder auch ahnend?Wahrlich, schwer wird ein Gott vom sterblichen Manne bezwungen! Also sprach ich; mir gab die hohe Göttin zur Antwort: Gerne will ich, o Fremdling, dir lautere Wahrheit verkünden. |
400 | Wann die Mittagssonne den hohen Himmel besteiget,Siehe dann kommt aus der Flut der graue untrügliche Meergott,Unter dem Wehn des Westes, umhüllt vom schwarzen Gekräusel,Legt sich hin zum Schlummer in überhangende Grotten,Und floßfüßige Robben der lieblichen Halosydne |
405 | Ruhn in Scharen um ihn, dem grauen Gewässer entstiegen,Und verbreiten umher des Meeres herbe Gerüche.Dorthin will ich dich führen, sobald der Morgen sich rötet,Und in die Reihe dich legen. Du aber wähle mit VorsichtDrei von den kühnsten Genossen der schöngebordeten Schiffe. |
410 | Alle furchtbaren Künste des Greises will ich dir nennenErstlich geht er umher, und zählt die liegenden Robben;Und nachdem er sie alle bei Fünfen gezählt und betrachtet,Legt er sich mitten hinein, wie ein Schäfer zwischen die Herde.Aber sobald ihr seht, daß er zum Schlummer sich hinlegt; |
415 | Dann erhebet euch mutig, und übet Gewalt und Stärke,Haltet den Sträubenden fest, wie sehr er auch ringt zu entfliehen!Denn der Zauberer wird sich in alle Dinge verwandeln,Was auf der Erde lebt, in Wasser und loderndes Feuer.Aber greift unerschrocken ihn an, und haltet noch fester! |
420 | Wenn er nun endlich selbst euch anzureden beginnet,In der Gestalt, worin ihr ihn saht zum Schlummer sich legen;Dann laß ab von deiner Gewalt, und löse den Meergreis,Edler Held, und frag’ ihn, wer unter den Göttern dir zürne,Und wie du heimgelangst auf dem fischdurchwimmelten Meere. |
425 | Also sprach sie, und sprang in die hochaufwallende Woge. Aber ich ging zu den Schiffen, wo sie im Sande des UfersStanden; und viele Gedanken bewegten des Gehenden Seele.Als ich jetzo mein Schiff und des Meeres Ufer erreichte,Da bereiteten wir das Mahl. Die ambrosische Nacht kam; |
430 | Und wir lagerten uns am rauschenden Ufer des Meeres.Als die heilige Frühe mit Rosenfingern erwachte,Ging ich längst dem Gestade des weithinflutenden MeeresFort, und betete viel zu den Himmlischen. Von den GenossenFolgten mir drei, bewährt vor allen an Kühnheit und Stärke. |