Читать книгу Die Lagune - Armand Marie Leroi - Страница 49
XXXVI
ОглавлениеDie Naturphilosophen der Renaissance betrachteten die Welt mit Neugier, entdeckten, dass sie fast gar nichts über sie wussten, und wandten sich wie selbstverständlich Aristoteles zu als einem, der mehr wusste. Für sie war Aristoteles vor allem ein Naturforscher, der sich an einer umfassenden Darstellung aller Lebewesen versucht hatte, die er kannte, dem es aber unerklärlicherweise nicht gelungen war, seine Daten richtig zu ordnen.
Im Jahr 1473 legte Theodorus Gaza seinem Mäzen Papst Sixtus IV. seine Übersetzung Aristoteles’ zoologischer Werke in ciceronischem Latein vor. In seinem Vorwort beschreibt Theodorus, worum es in den Büchern ging:
Die rationale Untersuchung der Natur verläuft ordentlich durch alle Unterscheidungen, die die Natur getroffen hat, sodass all ihre Lebewesen verschiedenartig gestaltet sind: Sie gruppiert die großen Gattungen und erläutert einzeln die restlichen Aspekte: Sie unterteilt Gattungen in Arten und beschreibt sie nacheinander (und diese Bücher enthalten etwa 500 von ihnen); weiterhin wird erklärt, wie sich jede von ihnen fortpflanzt (sowohl die landlebenden als auch die wasserlebenden Arten), aus welchen Gliedmaßen sie besteht, welche Nahrung sie frisst, was sie verletzt, was ihre Gewohnheiten sind, wie lange sie leben darf, wie groß ihr Körper ist, welches die größte und welches die kleinste ist sowie Form, Farbe, Stimme, Wesen und Gefügigkeit; kurz, sie lässt kein Tier aus, das die Natur hervorbringt, ernährt, gedeihen lässt und schützt.
Das falsche Werbeversprechen springt direkt ins Auge. Aristoteles benennt in der Tat rund 500 »Arten«[∗] und er hat über viele von ihnen wirklich eine Menge zu sagen, aber mit Sicherheit beschreibt er nicht die »Arten nacheinander«. Man denke nur daran, was er über den Elefanten schreibt. Wenn man bedenkt, dass er nie einen gesehen hat, weiß er viel über ihn zu erzählen. Aber um herauszufinden, was genau, muss man zunächst auf das Register von Historia animalium zurückgreifen, wo man die Teile und Gewohnheiten des Elefanten stückweise im ganzen Buch verteilt findet:
Elefant: Alter des -en 586a3–13; 630b10–31; Brustdrüsen des -en 498a1; 500a17; Fortpflanzung des -en 540a20; 546b7; 579a18–25; Gefangennahme des -en 610a15–34; Ernährung des -en 596a3; Erkrankungen des -en 604a11; 605a23b5; Reiter des -en 497b27; Füße des -en 497b23; 517a31; Galle des -en 506b1; Genitalien des -en 500b6–19; 509b11; Gewohnheiten des -en 630b19–31; Haare des -en 499a9; Gliedmaßen des -en 497b22; Schlaf des -en 498a9; Schädel des -en 507b35; Sperma des -en 523a27; Temperament des -en 488a28; Zähne des -en 501b30; 502a2; Rüssel des -en 492b17; 497b23–31; Stimme des -en 536b22 …
und dann auf De partibus animalium:
Elefant: Wassergewohnheiten des -en 659a30; Rüssel und seine verschiedenen Funktionen 658b30; 661a25; 682b35; Vorderfüße des -en 659a25; -fuß hat Zehen 659a25; Brustdrüsen des -en 688b15; Schutz durch Masse 663a5 …
wo seine Zergliederung sich fortsetzt.[∗] Vielleicht in dem Versuch, seinem Gönner die Zoologie schmackhaft zu machen, ließ Theodorus diese Art der Ordnung unaufrichtig unter den Tisch fallen und präsentierte Aristoteles als Enzyklopäden. Eigentlich bewirbt er Aristoteles als einen griechischen Plinius.
Im ersten Jahrhundert nach Christus schrieb und veröffentlichte Plinius der Ältere seine Naturalis historia, die in Essay auf Essay das meiste von dem abdeckte, was sie abzudecken behauptete – alles. Es war eine wahre Naturgeschichte, wahrscheinlich die erste überhaupt. Plinius sammelte seine Tierkunde aus allen Quellen zusammen, die er finden konnte, und ordnete sie nach Arten. Er behauptete, Berichte aus erster Hand hoch zu schätzen, aber er meinte es nicht ernst. Vielleicht hatte er Elefanten in römischen Triumphzügen, Zirkussen und Schlachten gesehen, aber seine ergiebige Datenquelle hatte ihm nichts genützt. Ein paar Zitate machen das deutlich:
[Der Elefant] freut sich über Zuneigung und Ehrbezeugungen, darüber hinaus besitzt er Tugenden, die selbst unter Menschen selten sind: Ehrlichkeit, Weisheit, Gerechtigkeit und auch Respekt vor den Sternen und Ehrerbietung für Sonne und Mond.
[E]in Elefant verliebte sich einmal in ein Mädchen, das Blumen verkaufte und (damit niemand denkt, er hätte eine ordinäre Wahl getroffen) ein bevorzugter Günstling des sehr gefeierten Gelehrten Aristophanes war.
[A]ber die größten [Elefanten stammen aus] Indien, ebenso wie Schlangen, die ständig in Krieg und Fehde mit ihnen leben. Die Schlangen sind auch so groß, dass sie die Elefanten leicht umschlingen und in einem Knoten fesseln können.
Dies ist die authentische Stimme der antiken Naturgeschichte: tratschsüchtig, leichtgläubig und darauf beharrend, dass das, was der Autor zu erzählen hat, ganz wunderbar sei – was es auch wäre, wenn etwas davon wahr wäre. Wenn Plinius einen Vorgänger hatte, dann war es sicherlich Herodot mit seinen Geschichten von Gold schürfenden Ameisen, Greifen und einäugigen Arimaspen und selbst für Herodots Geschmack ist Letzteres allzu haarsträubend.
Doch es war Plinius und nicht Aristoteles, der das Modell für die Naturkunde der Renaissance lieferte, selbst wenn Aristoteles glücklicherweise einen Großteil des Materials beisteuerte. 1551 veröffentlichte der Schweizer Arzt und Gelehrte Konrad Gesner den ersten Band von Historia animalium, ein Kompendium all dessen, was über die Tierwelt bekannt war. Er filetierte Aristoteles’ Werk und ordnete wie Plinius sein Material nach Art einer Enzyklopädie. Anders als Plinius interessierte sich Gesner vor allem für die Biologie der Lebewesen, über die er schrieb, war lobenswert zurückhaltend und versuchte, die Daten der Antike zu bestätigen; in seinen Händen nimmt das Handbuch der modernen Naturkunde Gestalt an. Um von ihm zu »Britische Vögel – Nistreihe« zu kommen, fehlt nur noch die Wahrnehmung, dass die Natur nicht nur wunderbar ist, sondern erfüllt von Schrecken, Schönheit und Pathos.