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Praxis

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So schlimm ist es heute aber nicht mehr, mag man hier einwenden. Das stimmt sicherlich. Aber die Gegenfrage muss erlaubt sein: Ist es denn viel besser geworden? Nach meinem Eindruck eher nicht. Gefühle traut man der Musik und der Kunst zu, aber selten der Predigt. Im Singen und Beten erwarten wir emotionale Berührungen, nur vereinzelt in der Verkündigung. Wie ist dieser Umstand zu erklären?

Erfahrungsgemäß bleibt es immer ein wenig spekulativ, Phänomene unserer Zeit auf geschichtliche Ereignisse der Vergangenheit zurückzuführen. Das gilt auch für die gefühlsarme Predigt unserer Zeit. Weder Aufklärung noch Drittes Reich können darum hier als die einzigen Faktoren zählen. Vielleicht liegt eine weitere Ursache auch an ganz anderer Stelle – nämlich in der Verwissenschaftlichung der Predigt. Die Sachlage ist folgende: In aller Regel lernen Prediger und Predigerinnen ihr Handwerk an Theologischen Seminaren, Hochschulen oder Fakultäten der Universitäten. Wie in anderen Fachbereichen ist auch hier die wissenschaftliche Lehrvermittlung maßgebend. Sie weist in vielen Fällen ein hohes Maß an abstraktem Denken und kritischer Analyse auf. Das gehört zum guten Studium und ist eine wesentliche Voraussetzung für Bildung. So weit, so gut. Das Problem beginnt an der Stelle, wo in der späteren Berufspraxis die Predigt mit der akademischen Lehrvermittlung in eins gesetzt wird. Das geschieht in vielen Fällen natürlich unbewusst, aber es passiert viel zu häufig. Frischgebackene Theologen und Theologinnen treten dann wie kleine Privatdozenten auf. Natürlich finden sich auch dann immer noch Zuhörer, die daran Gefallen finden. Doch vergleicht man den enormen Aufwand, der mit einem theologischen Studium einhergeht, mit der oft mageren Resonanz auf die gehaltenen Predigten, kann das schon wehmütig stimmen.

Das skizzierte Problem ist in der evangelischen Predigtgeschichte nicht neu – es existiert schon seit der Reformation. Die erste evangelische Predigtlehre erstellte bekanntlich der reformierte Theologe und Marburger Professor Andreas Hyperius (1511–1564). In seinem Handbuch von 1553 erörtert Hyperius die dringende Notwendigkeit, auf die Gefühle – er nennt sie Affekte – der Zuhörer einzuwirken. Ein wesentliches Hindernis empfindet er hierbei in der Verwechslung von Predigt und universitärem Unterricht:

Nicht zuletzt wird der Prediger darauf bedacht sein müssen, Affekte [d.h. Gefühle] zu erregen; denn alle Kundigen stimmen darüber überein, dass er wahrlich keines Dinges mehr bedürfe als dieser einen Tüchtigkeit. Die, welche im Gotteshause nicht anders lehren, als die Professoren in der Universität zu lehren pflegen, können niemals erhebliche Geistesfrucht erzeugen; und man findet sehr wenige oder doch nur einige, die durch solche Predigten zur Sinnesänderung oder zur Besserung ihres Lebens sich führen lassen. Deshalb wird jeder, der in der Kirche einmal ein Lehramt übernommen hat, Tag und Nacht darauf aus sein müssen, doch endlich mal des innewerden zu müssen, dass er in dieser Hinsicht etwas leisten könne. (Hyperius 1901, S. 75)

Die Ausführungen verdeutlichen das bisher Gesagte. Der Klassiker der evangelischen Predigtlehre erklärt die Fähigkeit, Gefühle zu erwecken, zur Grundvoraussetzung für eine gute Predigt. Ohne sie sei nur wenig Segen zu erwarten. Gewarnt wird im selben Zug ausdrücklich vor der sachlichen Redeweise der Akademiker. Der Grund ist offensichtlich: Bei Schule und Gottesdienst bzw. Katheder und Kanzel handelt es sich um zwei durch und durch verschiedene Systeme. Während die sachliche Analyse in der Lehre unumgänglich und oft beherrschend ist, kann sie in der Predigt zur Falle werden. Die Predigt ist eben kein Vortrag und keine Vorlesung, sondern eine Rede ganz eigener Prägung. Sie ist eine eigenständige Kommunikationsgattung mit eigentümlichem Profil. Sie kann im Gegensatz zur akademischen Vermittlung – so Hyperius – auf die Erregung der Gefühle keinesfalls verzichten.

Predigt braucht Gefühl

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