Читать книгу Psychodynamische Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen - Arne Burchartz - Страница 14
3.1 Die Psychologie des Unbewussten
ОглавлениеDie Psychoanalyse fußt auf der Erkenntnis, dass die Motive menschlichen Verhaltens, Fühlens und Denkens sowie deren Einordnung in einen individuellen und kollektiven Sinnzusammenhang der bewussten Wahrnehmung entzogen sind: Sie sind unbewusst. Wie der Mensch sein Leben gestaltet, hängt von einem psychischen Kräftespiel ab, das sich unserer direkten Beeinflussung entzieht. Dies betrifft unsere psychische Befindlichkeit, psychosomatische Phänomene, unseren Alltag, die Organisation unseres familiären und gesellschaftlichen Zusammenlebens und eben auch all das, was wir als psychische Störung oder Krankheit beschreiben. Das Unbewusste lässt sich nicht einfach »bewusst« machen (dann wäre es ja nicht mehr »unbewusst«) – dies wäre auch ein Missverständnis der psychoanalytischen Therapie. Es lässt sich allerdings anhand seiner Manifestationen erkennen und erforschen und teilweise in das Ich integrieren – ein Anliegen, dem sich S. Freud lebenslang gewidmet hat und das in der Geschichte der Psychoanalyse bis heute zu beeindruckenden Ergebnissen geführt hat. S. Freud selbst hat seine Auffassung vom Unbewussten anhand dreier Manifestationen, die auch die Themen seiner grundlegenden psychologischen Schriften bilden, entwickelt: Der Traum, die Fehlleistungen und -handlungen im Alltag und der Witz3. In diesen Untersuchungen konnte er wesentliche Funktionsweisen des Unbewussten herausarbeiten: Das Fehlen sprachlich-logischer Verknüpfungen, stattdessen assoziative Verknüpfungen, Bilder- und Symbolsprache; Verdichtung, Verschiebung und sekundäre Bearbeitung, um nur die wichtigsten zu nennen. Die Differenzierung in einen Primärprozess, in dem eine direkte Wunscherfüllung gesucht wird, und einen Sekundärprozess, in dem sich entwickelnde Ich-Strukturen und -Fähigkeiten zunehmend die Realitätswahrnehmung und -bewältigung durch Beherrschung der Motilität, Triebaufschub, frühe Denkprozesse, Symbolisierungsfähigkeit etc. übernehmen, gehört ebenfalls zu den ersten Erkenntnissen über das Unbewusste. In einer späteren Phase der Theoriebildung entwickelte Freud das strukturale Modell des Unbewussten: Es, Ich und Über-Ich, wobei ein Teil des Ich – mit der Grenzlinie des Vorbewussten – dem bewussten Erleben und Verhalten zuzuordnen ist. Erweiterungen erfuhr die Theorie des Unbewussten durch die Ich-Psychologie mit der Beschreibung von Abwehrmechanismen (A. Freud 1936) und durch die Objektbeziehungstheorie, v. a. durch M. Klein, D.W. Winnicott u. a., in der die Bildung innerer Objektrepräsentanzen aus dem frühen Austausch zwischen dem Individuum und seinen primären Bezugspersonen untersucht und beschrieben werden. Von den neueren Beiträgen zum Verständnis unbewusster Determinanten sind v. a. die Selbstpsychologie (Kohut 1977), Narzissmus-Theorien (Kohut 1971, Kernberg 1975, Kernberg & Hartmann 2006), die Bindungstheorie (Bowlby 1969, Ainsworth 1977, Grossmann & Grossmann 2004, Brisch 1999 u. a.) und die Untersuchung der Entwicklung der Mentalisierungsfunktion (Fonagy u. a. 2002) hervorzuheben. War lange Zeit in der psychoanalytischen Theoriebildung die Triebtheorie mit ihren Beschreibungen unbewusster Konflikte vorherrschend, so liegt heute ein großes Gewicht auf der Untersuchung psychischer Strukturen, die sich aus unbewussten Verarbeitungsweisen früher Erfahrungen ergeben und die wiederum die Funktionsweise des Ich und die Selbst- und Objektrepräsentanzen beeinflussen. Solche strukturellen Bedingungen sind z. B. die Differenzierung zwischen Subjekt und Objekt, die Fähigkeit, symbolische Repräsentanzen zu bilden, die Mentalisierungsfähigkeit, Affektwahrnehmung und -steuerung und einige mehr (vgl. OPD-KJ-2 2016).