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Einleitung zur dritten Auflage

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Die Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen wird heute als eines der zwei psychoanalytisch begründeten Verfahren angesehen (Dieckmann, Becker & Neher 2021, S. 92f.). Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Analytischer und Tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie sind auch im Kindes- und Jugendalter in der Fachdiskussion differenziert herausgearbeitet und begründet. Im Bereich der Erwachsenen-Psychotherapie liegt eine Fülle von Werken vor, welche das tiefenpsychologisch fundierte Verfahren theoretisch und praktisch darstellen (z. B. Dührssen 1988, Heigl-Evers & Ott 1994, Wöller & Kruse 2020, Jaeggi, Gödde, Hegener & Möller 2003, Küchenhoff 2005, Reimer & Rüger 2006, Dreyer & Schmidt 2008, Jaeggi & Riegels 2008, Rudolf 2010, Boll-Klatt & Kohrs 2014, Beutel, Doering Leichsenring & Reich 2010, um nur einige zu nennen). Für Kinder- und Jugendlichen-Behandlungen hingegen ist die Literatur zur TfP immer noch eher spärlich (Seiffge-Krenke 2007, Poser 2010, als Beiträge in Zeitschriften Pfleiderer 2002, Rüger 2002, Streek-Fischer 2002, Einnolf 2004, Burchartz 2004). Dies gilt insbesondere für das Verständnis der TfP als psychoanalytisch begründetes Verfahren. Offensichtlich besteht bei psychoanalytisch orientierten Psychotherapeuten nach wie vor eine gewisse Scheu, sich dieser Thematik gründlich anzunehmen, wiewohl die TfP in der klinischen Praxis eine große Rolle spielt. Einer der möglichen Gründe hierfür mag in der Befürchtung liegen, den verlässlichen Boden der reichhaltigen und differenzierten Tradition der Psychoanalyse des Kindes zu verlassen. Gleichwohl sind in vielen psychoanalytischen Ausbildungsinstituten spezielle Curricula für die TfP, ihre Grundlagen, Indikationen und Behandlungstechniken entstanden. Parallel dazu wächst in vielen TfP-Ausbildungsinstituten das Interesse, sich mit den psychoanalytischen Grundlagen auseinanderzusetzen. Möglicherweise haben diese Entwicklungen dazu geführt, dass das vorliegende Grundlagenwerk mit seinem Bezug zur klinischen Praxis eine starke Nachfrage erfährt, so dass nun eine dritte Auflage erscheint.

Die Darstellung verbindet vor allem aus klinisch-praktischer Erfahrung geronnene Einsichten mit theoretischen Reflexionen, ein Lernzusammenhang, der für die Psychoanalyse typisch ist (vgl. Kahl-Popp 2011). Ein solches Vorhaben bietet den Vorzug der Praxisnähe. Das Buch verfolgt durchaus die Absicht, dem Psychotherapeuten ein Repertoire an gut begründeten Interventionsmöglichkeiten an die Hand zu geben, es ist also kein rein wissenschaftliches Werk und erhebt auch nicht den Anspruch einer umfassenden Darstellung des Standes der Forschung. (Hierzu sei auf Burchartz (2021) verwiesen, in diesem Buch ist auch ein Beitrag von E. Windaus zum Stand der empirischen Forschung.) Beispiele aus der Behandlungspraxis verdeutlichen die Zielrichtung des tiefenpsychologisch fundierten Verfahrens. Diese didaktische Form hat allerdings auch Schwächen. Es könnte der falsche Eindruck entstehen, als sei das vorgeschlagene Vorgehen das einzig »richtige« im Sinne des Verfahrens. Dies zu suggerieren, ist keineswegs die Absicht des Autors. Jeder Therapeut hat seinen eigenen Stil, seine eigene Erfahrung und die daraus gewonnene handlungsleitende Theorie. Die Darstellung von Sequenzen und Vignetten aus der Behandlungspraxis bietet einen Einblick in mögliche Vorgehensweisen, die sich der Autor aus einer gründlichen Beschäftigung mit dem Thema, im Diskurs mit Fachkollegen und aus eigener praktischer Erfahrung erarbeitet hat. Sie sollen ermutigen, in ähnlicher Weise die eigene Arbeit theoretisch und praktisch zu erweitern und zu vertiefen, auch wenn im konkreten Fall ganz andere Interventionen für sinnvoll gehalten werden. Die Authentizität des Therapeuten in seiner Vorgehensweise ist entscheidend, sie ist nicht zuletzt ein wesentlicher Wirkfaktor in der Therapie.

Die Anordnung des Stoffes folgt – das legt der Anspruch der Praxisbezogenheit nahe – dem Prozess der Therapie von ihrem Beginn bis zur Beendigung. Es ist daher kein Zufall, dass das Werk darin anderen Darstellungen ähnelt, die dem nämlichen Prinzip folgen (vgl. z. B. Wöller & Kruse 2020). Im Hintergrund stehen eine Fülle von Anregungen, die aus Arbeiten stammen, die sich mit Theorie und Technik der TfP bei Erwachsenen auseinandersetzen und die wertvolle Anknüpfungspunkte für die Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen bieten.

Grundlage der hier vorgetragenen Auffassung der TfP ist das wissenschaftliche und klinische Gebäude der Psychoanalyse. Kollegen, die in der TfP ein von der Psychoanalyse abgetrenntes oder diese erübrigendes Verfahren sehen, werden das Buch vielleicht enttäuscht zur Seite legen. Andere Kollegen, die den Ansatz verfolgen, die Psychoanalyse als Verfahren möglichst ohne Beimischungen anscheinend verfahrensfremder Elemente anzuwenden, werden von einer anderen Richtung her ebenfalls kritische Einwände erheben. Freilich kann auch dann die vorgetragene Sichtweise zu einer – hoffentlich fruchttragenden – diskursiven Auseinandersetzung führen. Gemäß den Grundlagen der Psychoanalyse kann jede Erkenntnis nur vorläufigen Charakter haben, bis sie einer besseren Einsicht zugeführt wird.

Die TfP ist ein störungsübergreifender Behandlungsansatz, von dieser Sichtweise her ist das Buch konzipiert. Entsprechend stammen die Beispiele aus einer Vielfalt von Störungsbildern. Freilich gewinnt das Verständnis störungsspezifischer Dynamiken und ihrer Behandlung auch in psychodynamischen Verfahren an Bedeutung. Es wäre reizvoll, störungsspezifische Vorgehensweisen in der TfP darzustellen. Dies würde allerdings den Rahmen eines Grundlagenbuches sprengen. Die vorliegende dritte Auflage wurde ergänzt durch zwei Kapitel: »Psychopharmaka und Psychotherapie« und »Mentalisieren«. Das schwergewichtige Thema der spezifischen Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit einem unbewältigten Trauma musste aus dem gleichen Grund zurückstehen – vgl. hierzu Winkelmann (2007) und Burchartz (2019c). Der Leser sei verwiesen auf die Darstellung störungsspezifischer Interventionen in Hopf & Windaus (2007) und Heinemann und Hopf (2015) sowie auf die sukzessive Erscheinung der »Leitlinien« in der Zeitschrift »Analytische Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie«, deren Zusammenfassung in einem Band geplant ist. Eine kritische Sicht zur Störungsspezifität und Leitlinienorientierung legt Auchter (2003) dar.

Psychotherapeuten, die in den beiden Verfahren Analytische und Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie ausgebildet sind, werden an vielen Stellen feststellen: »Aber das machen wir doch in der Analytischen Psychotherapie auch.« Das hört man in theoretisch-technischen und kasuistischen Diskussionen häufig und es ist richtig. Zum einen ist die probatorische Phase bis zur Indikationsentscheidung identisch, auch manche Grundlage wie z. B. das Arbeitsbündnis spielt in beiden Verfahren eine gleichwertige Rolle. Zum anderen finden sich in einer Analyse oder in einer Analytischen Psychotherapie regelmäßig Elemente, die man eher einem tiefenpsychologisch fundierten Vorgehen zurechnen kann. Je nach dem Prozess innerhalb der Beziehung zum Patienten werden auch in einer Analytischen Psychotherapie z. B. zeitweise regressionsbegrenzende, antwortende oder auf das Arbeitsbündnis bezogene Interventionen weiterführend sein. Umgekehrt finden sich auch in einer tiefenpsychologisch fundierten Behandlung Elemente, die dem Vorgehen in einer Analytischen Psychotherapie entsprechen, z. B. Widerstands- und Übertragungsdeutungen. Wir müssen in beiden Verfahren von einer Ergänzungsreihe ausgehen, wobei deren Charakter darin besteht, welche therapeutische Haltung vorherrscht und welche Art der Intervention überwiegt.

Im Austausch mit Ausbildungskandidaten und erfahrenen Psychotherapeuten entsteht regelmäßig das Bedürfnis, im Rahmen einer Falldiskussion die unterschiedliche Arbeitsweise beider Verfahren anhand von Momenten der »Weichenstellung« in der Therapie praktisch darzustellen. Ein solcher Versuch misslingt meistens. Die Intervention eines bestimmten Therapeuten in einem bestimmten Moment der Behandlung mit einem bestimmten Patienten ergibt sich aus einem Prozess, der zwar anhand der Übertragungsdynamik reflektiert und vertieft verstanden werden kann. Was man in einem anderen Verfahren in diesem konkreten Moment hätte »anders machen« können, bleibt aber rein spekulativ. Jede Behandlungssequenz ist eingebettet in einen Prozess mit vielen, v. a. auch unbewussten Determinanten und lässt sich nicht isoliert verstehen oder gar manipulieren. Deshalb verzichtet der Autor darauf, diesem Bedürfnis entgegenzukommen, es erschiene allzu künstlich und entspricht nicht dem Verständnis der Psychotherapie als dynamisches Geschehen innerhalb einer spezifisch und individuell sich konstellierenden Beziehung.

Die meisten Fallbeispiele in diesem Buch sind als wörtliche Rede dargestellt. Das dient der Lebendigkeit und Prägnanz. Sie werden so übernommen, wie sie aus dem Gedächtnis des Therapeuten niedergeschrieben worden sind, entspringen also bereits einer Bearbeitung. Das ist unvermeidlich, denn auch bei größter Sorgfalt und Redlichkeit ist natürlich mit einer gewissen Verfälschung zu rechnen. Das entspricht der Realität eines niedergelassenen Psychotherapeuten, der aus grundsätzlichen, aber auch praktisch-behandlungstechnischen Erwägungen darauf verzichtet, Aufnahmegeräte während einer fortlaufenden Therapie zu verwenden. Aber dies ist kein Mangel. Es entspricht der Erkenntnis, dass das innere Bild, das im Therapeuten vom Behandlungsprozess entsteht, eine Quelle spezifischer Einsicht und Wirksamkeit darstellt. Wollte man ein exaktes äußeres Bild von Behandlungsausschnitten gewinnen, müsste man auf Videoaufzeichnungen zurückgreifen. Aber auch diese sind nicht »objektiv«, da sie auch lediglich Abbilder innerer Prozesse sind, die erschlossen werden müssen. Das gilt erst recht für das bloße gesprochene und aufgezeichnete Wort, bei dem wichtige Vorgänge wie Gestik und Mimik ausgeblendet bleiben.

Die Beispiele sind selbstverständlich anonymisiert und, wo nötig, in einigen Details verfremdet, die der Autor nicht für zentral hält. Der Leser wird ausdrücklich dazu eingeladen, in ihnen auch andere Facetten als die vom Autor benannten zu entdecken.

Das Verfassen eines Textes steht in einem unausweichlichen Konflikt zwischen flüssiger Lesbarkeit und gerechter Sprache. Um Ersterer willen wird durchgängig die männliche Form verwendet, wo auch die weibliche Form oder eine Kombination möglich wäre, in der Hoffnung, der Leser kann sich darauf einlassen, dass in solchen Textpassagen die weibliche Form mit gemeint und gedacht ist.

Viele haben das Buches mit Ermutigung, Gesprächen und kritischen Einwänden begleitet, ihnen sei hier herzlich gedankt; ganz besonders meiner Frau, Angelika Pannen-Burchartz, und Dr. Hans Hopf, dessen unermüdlicher Ansporn eine unverzichtbare Hilfe ist. Ein spezieller Dank geht an die Kolleginnen und Kollegen in der TfP-Forschungsgruppe des Psychonalytischen Instituts Stuttgart, die in langjähriger freundschaftlicher Kollegialität und Zusammenarbeit die Basis zu diesem Buch überhaupt erst gelegt haben. Last not least gilt der Dank auch den Ausbildungskandidaten, die sich dem gemeinsamen Lernen geöffnet haben. Sehr dankbar bin ich Kathrin Kastl, die die dritte Auflage als Lektorin geduldig und sorgfältig begleitet hat.

Wenn das Buch die Diskussion erweitert, die Praxis bereichert und dazu anregt, die vorgetragenen Gedanken kreativ weiterzuentwickeln, hat es seinen Zweck erfüllt.

Öhringen, im April 2021Arne Burchartz
Psychodynamische Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen

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