Читать книгу Psychodynamische Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen - Arne Burchartz - Страница 19
3.6 Die Theorie der Abwehr, die Auffassung des Widerstandes und deren Einbezug in die therapeutische Arbeit
ОглавлениеInnere Realität und äußere Realität treten von Beginn der Entwicklung an in einen Widerspruch: Die Befriedigung elementarer Triebwünsche, das Stillen unabweisbarer Bedürfnisse, die Bewältigung von Ängsten können von den primären Bezugspersonen nicht uneingeschränkt sichergestellt werden, die soziale und dingliche Realität stellen sich der direkten Erfüllung in den Weg. Das Individuum sieht sich einer doppelten Aufgabe gegenüber: Einerseits muss es Fähigkeiten erwerben und einsetzen, die Umwelt so zu gestalten, dass ein möglichst optimales Milieu zur psychischen Entwicklung entsteht, andererseits muss es die innere Welt so modulieren, dass sie sich in die sozialen Erfordernisse einpasst. Die innere Instanz, welche diese Vermittlung zwischen Innen und Außen leistet, wurde von Freud Ich genannt. Psychische Reifung lässt sich als ein Fortschreiten dieser Ich-Fähigkeit beschreiben, die innere Modulation der psychischen Strukturen erfolgt durch Vorgänge, die als Abwehr bezeichnet werden. Zu Beginn der psychoanalytischen Theoriebildung wurde diese Abwehr als Verdrängung beschrieben und an einem zentralen Konflikt besonders verdeutlicht: der Verdrängung inzestuöser libidinöser Strebungen im Rahmen des Ödipuskomplexes. Aber nicht allein diese Strebungen fallen der Verdrängung anheim, eigentlich ist die Arbeit der Verdrängung lebenslang wirksam und entzieht jegliche unerwünschten Anteile des motivationalen Geschehens dem Bewusstsein des Menschen, indem sie diese im Unbewussten gleichsam deponiert und damit sowohl für das Individuum als auch für seine Umwelt unkenntlich macht. Bereits die Ersetzung der Vorherrschaft des Lustprinzips durch das Realitätsprinzip lässt sich als Verdrängung beschreiben. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die Bildung des Über-Ich, einer inneren Instanz, in der sich die – tatsächlichen und/oder phantasierten – Versagungen und Verbote der Umwelt niederschlagen. Aus zunächst äußeren Konflikten werden somit innere Konflikte zwischen Triebwunsch und Verbot. Für das Ich entsteht damit nicht nur Angst aus realen Versagungen und Gefahren, sondern auch Angst aus inneren, als inkompatibel empfundenen Reizen, die dem Lustprinzip folgen. Es war das Verdienst von A. Freud (1936), die Arbeit der Verdrängung sehr differenziert beschrieben und als eine Reihe von Abwehrmechanismen zusammengefasst zu haben. Dazu gehören neben der Verdrängung im eigentlichen Sinn Vorgänge wie Affektabwehr bzw. Affektisolierung, Verleugnung, Ich-Einschränkung, Identifizierung mit dem Aggressor, Altruismus als Reaktionsbildung, in der Pubertät Askese und Intellektualisierung; nicht zuletzt Verschiebung der Triebregungen auf andere Objekte. M. Klein (1952c) hat besonders Spaltung und projektive Identifizierung als elementare Abwehrmechanismen hervorgehoben. Abwehr ist eine Ich-Leistung und zur Herstellung einer Balance zwischen individueller Psyche und sozialer Realität lebenslang wirksam, sie ist deshalb nicht primär pathologisch. Im heutigen Sprachgebrauch hat sich der umfassendere Begriff der Bewältigung etabliert, insbesondere bei strukturellen Störungen beobachten wir Bewältigungsversuche, die sich im ungünstigen Fall als psychosomatische Erkrankungen oder als maladaptive Arrangements in der Beziehungsgestaltung niederschlagen. Hier wird der Körper bzw. die soziale Umwelt zum Schauplatz der Inszenierung unerträglicher Angst, die aus unbewältigten Konfliktspannungen entsteht.
Gleich ob die lebensgeschichtlich etablierten Abwehrstrukturen dem Menschen ein zufriedenes Leben in lebendigem Austausch mit seiner Umwelt ermöglichen oder ob sie ihn krank und unglücklich machen, immer handelt es sich um Versuche, psychisches Leben und Überleben in einer spezifischen Umgebung zu organisieren, wobei immer auch die Komponente enthalten ist, unbewusst zu machen, was für das Selbstbild und für die Vorstellung vom Anderen unvereinbar scheint. Die unbewussten Abwehrleistungen schützen damit das Ich vor der Gefahr, das Erleben einer Selbst-Kohärenz zu verlieren, sowie vor der Gefahr, von anderen Menschen, die für uns überlebensnotwendig sind, isoliert zu werden. Nun ist dieses Unkenntlichmachen im Unbewussten nie vollständig möglich. Zu groß wäre der ständige psychische Energieaufwand, Unerwünschtes in der Verdrängung zu halten. Dessen Auftauchen jedoch signalisiert Gefahr, weshalb die Psyche dagegen einen Widerstand organisiert. Auch der Widerstand gegen das Auftauchen von unbewussten Elementen ins Bewusstsein ist deshalb ein notwendiger und keinesfalls primär pathologischer Vorgang und er dient dem Schutz der psychischen Integrität und Kohärenz. Das dynamische Kräftespiel von Verdrängtem, Abwehr und Widerstand bindet Angst und ergibt Kompromissbildungen, die sich in unseren Träumen, in Alltagshandlungen, in spezifischen Charakterstrukturen und Symptombildungen zeigen. Sofern Letztere zu manifestem Leiden führen, steht das Individuum vor der Aufgabe – womöglich mit Hilfe eines Therapeuten –, eine neue Balance zu finden zwischen einer Abwehr, die der Persönlichkeit und der Umwelt förderlich ist, und einer Realisierung bisher übermäßig eingeschränkter Lebensmöglichkeiten. Eine solche Aufgabe ist nicht leicht zu bewältigen, denn hier wird sich aller Widerstand mobilisieren, um die Entbindung von (neurotischer) Angst zu verhindern. In psychoanalytisch orientierten Therapieverfahren rechnen wir mit diesem Widerstand und müssen ihm besondere Aufmerksamkeit widmen, auch über technische Möglichkeiten verfügen, um ihn zu bearbeiten.