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3.8 Das Ziel, Heilung durch Einsicht und Sinngebung in einer therapeutischen Beziehungsmatrix zu erreichen

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Allen psychoanalytisch begründeten Verfahren ist gemeinsam, dass sie die Beziehung zwischen Patient und Therapeut als Kern der therapeutischen Wirkung auffassen. Neben der angeborenen psychischen Konstitution (etwa der Reizempfindlichkeit) ist die Beziehung zwischen Kind, Eltern, Geschwistern und weiterem sozialem Umfeld entscheidend für die Ausprägung der seelischen Entwicklung des Menschen und seiner adaptiven Möglichkeiten. Aufgrund seiner Plastizität bilden sich im menschlichen Gehirn insbesondere durch frühe Beziehungserfahrungen individuell geprägte Strukturen heraus. Umgekehrt können psychische Fehlentwicklungen auch durch eine spezifische neue, nicht alltägliche Beziehungserfahrung korrigiert werden. Dies umso mehr, da sich Kinder und Jugendliche noch in einer rasanten Entwicklung befinden und sie für solche korrigierenden Beziehungserfahrungen meist sehr empfänglich sind.

Damit kommt der therapeutischen Beziehungsgestaltung eine zentrale Stellung in der Therapie zu. In der TfP arbeiten wir näher an der Realbeziehung bzw. an den bewusstseinsfähigen Anteilen der szenischen Gestaltung unter Beachtung der Übertragung und Gegenübertragung, während die analytische Therapie die Übertragung in ihrer Intensität fördert und als zentrales therapeutisches Agens nutzt.

Von Beginn an formulierten psychoanalytische Verfahren den Anspruch, durch wachsende Einsicht des Patienten in seine Innenwelt und ihre dynamischen Vorgänge eine Integration der abgewehrten Inhalte ins Ich zu erreichen und damit die Symptombildung überflüssig zu machen. Freud: »Wo Es war soll Ich werden« (Freud 1933a, S. 86). Dieses Verfahren stößt, wie gezeigt, auf das Problem des Widerstandes. Die Funktion der neurotischen Symptombildung ist u. a., die abgewehrten Inhalte vom Bewusstsein fernzuhalten und damit Angst zu binden. Deshalb geht die fortschreitende Einsicht mit Entbindung von Angst einher, die wiederum abgewehrt werden muss – etwa durch die Intensivierung der Übertragung, die so gesehen die Funktion des Widerstandes annimmt, weil sie eine direkte Wunscherfüllung anstrebt anstatt einer psychischen Integration. (Dass anders das wesentliche Konfliktmaterial meist gar nicht in die Beziehung kommt, darauf hat – wie gezeigt – v. a. Ferenczi hingewiesen.) Eine andere Form des Widerstandes ist die Isolierung des Affekts von dem ursprünglichen Konflikt. Es entsteht dann eine theoretische Einsicht, die aber keine Veränderungen nach sich zieht. Deshalb gehört zu einer Einsicht im therapeutischen Sinne immer auch die zugehörige emotionale Erfahrung. Eine solche ist nur im Rahmen eines Beziehungsgeschehens möglich, das die Ängste aufnimmt, hält, versteht und ich-verträglich bearbeitet. Die »holding function« des Therapeuten bzw. seine Fähigkeit, sich als Container im Bion’schen Sinn zur Verfügung zu stellen (Bion 1959), ist in einer TfP deshalb unverzichtbare Grundlage.

Die Integrationsleistung des Ich besteht auch darin, dem inneren Geschehen eine Bedeutung abzugewinnen und ihm einen Sinn zu geben. Damit ist gemeint, das Unverstandene, Abgespaltene und Abgewehrte zu verstehen und in den größeren Zusammenhang der eigenen Persönlichkeit und seiner Beziehungen einzuordnen. Damit werden Fragmentierungen der Psyche aufgehoben und wird ein Gefühl für die Kohärenz des Selbst entwickelt. Wir dürfen nicht vergessen, dass jeder Abwehrvorgang, jede Symptombildung, jede Selbst-Einschränkung den ursprünglichen Sinn hat, psychische Funktionen zu schützen und wenigstens leidlich das psychische Überleben zu garantieren. Das Aufgeben dieses Schutzes und sein Ersatz durch flexiblere, reifere und freiere Bewältigungen ist daher immer auch ein Prozess sich verändernder Sinngebung. Die Fähigkeit, die Widerfahrnisse des eigenen Schicksals in einem Sinnzusammenhang zu begreifen, der von Antonovski (1979) sog. »Kohärenzsinn«, lässt die Psyche auch schwerere Belastungen überstehen und stellt somit einen wirksamen protektiven Faktor dar.

Psychodynamische Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen

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