Читать книгу Narrenschicksal - Ava Lennart - Страница 12

Sternenhimmel

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Ehe sie sich versah, stand Stella, immer noch in den Armen ihres Kavaliers, in der eisigen Kälte auf dem kleinen Platz, den die Straßenecke vor der Bar bildete. Die Musik war durch die geschlossene Tür nur noch gedämpft und vornehmlich als Bass zu hören. Eng in den Schatten der Hauswand geschmiegt, knutschte, unterbrochen von leisem Gekicher, eine Biene Maja mit einem japanischen Handy.

Das Licht des angestrahlten Lokalschilds warf einen langen Hutschatten über Zorros Gesicht. Sein Duft hier draußen an der frischen Luft war jetzt intensiver als vorher. Stella schlug ihr Herz schon wieder bis zum Hals, und ihre Handflächen wurden vor Aufregung ganz feucht.

Wenn das so weiterging, falle ich noch irgendwann in Ohnmacht, dachte sie. Eine verhaltene Stimme in ihrem Hinterkopf warnte: „Du kennst den Typen doch gar nicht. Der ist doch viel zu schön. Das gibt nur Probleme.“

Stella hatte Männer, die sie schön fand, bisher möglichst vermieden. Unvermittelt befangen löste sich Stella abrupt aus seiner Umarmung, vermisste aber sogleich die Wärme, die seine Nähe ihr gegeben hatte. Sie rieb sich unbewusst die nackten Arme. Zorros Mund zuckte leicht bedauernd. Dann besann er sich, knotete seinen schwarzen Umhang auf und legte ihn um Stellas fröstelnde Schultern.

„Hier!“ Nur zögerlich löste er seine Hände wieder von ihr.

Stella war leicht überrumpelt von dieser achtsamen Geste, spürte aber doch, dass ihr verräterisches Herz ihm umso mehr zuflog. Wie der wahre Zorro schien auch dieser Mann ein rarer Gentleman zu sein.

„Greif zu, Stella!“, hörte sie eine drängende Stimme in ihrem Kopf. „Es ist Karneval und überhaupt: Wo findet man heute noch einen solch aufmerksamen und dazu noch so attraktiven Mann? Und noch dazu ungebunden.“

Da mischte sich eine andere Stimme ein: „Moment mal, ob er ungebunden ist, steht doch noch gar nicht fest!“

„Stopp, nicht so viel denken, genießen!“, übertönte die erste Stimme die zweite.

„Bist du Schauspieler und beherrschst Method Acting, Zorro?“, fragte Stella betont cool, als sie auf die Schauspielmethode anspielte, bei der die Rolle konsequent verkörpert wird.

Zorro stutzte, warf den Kopf in den Nacken und lachte laut auf. Ein sehr schönes Lachen, wie Stella fand. Tief, kehlig und ehrlich. Stella schaute fasziniert auf seinen wohlgeformten Hals und die jetzt vorgereckte, leicht vibrierende Kuhle am Halsansatz. Diese Stelle fand sie ohnehin eine der anziehendsten am männlichen Körper. Unweigerlich dachte sie an eine andere Lieblingsstelle und fragte sich im Bruchteil einer Sekunde, ob seine Leistengegend zwischen Oberschenkel und Hüfte wohl ebenso muskulös und dabei glatt und seidig war wie diese Vertiefung zwischen Brust- und Halsmuskeln.

Stella konnte sich selbst nicht erklären, wie dieser Fremde es geschafft hatte, ihren jahrelang sorgsam hochgezogenen inneren Damm anzukratzen. Weshalb nur war sie so erotisiert? Stella seufzte, nein, stöhnte schwach.

Zorro verharrte und schaute weiterhin nach oben, dann reagierte er auf ihren Laut und atmete hörbar tief ein. Wie in Zeitlupe legte er erneut seine Hand unter ihr Kinn, was fast schon eine vertraute Geste zu sein schien, und schob ihren Kopf nach hinten, sodass sie in den Kölner Nachthimmel blickte.

„Umgeben von so vielen Sternen muss ich gar nicht spielen, wo doch der schönste Stern bei mir strahlt. Schau dir deine Geschwister an, Stella!“

Soweit Stella das gegen das schummrige Straßenlicht ausmachen konnte, war der Himmel über Köln diese Nacht tatsächlich sternenklar. Während sie sich noch fasste und ihr Verstand abzuwägen versuchte, ob das nun Kitsch oder Romantik war, neigte sich Zorro vor, und sein Mund näherte sich bedachtsam dem ihren. Stella blickte in das schattige Gesicht des Fremden. Alle ihre Sinne spannten sich an. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Trotz des Umhangs zog sich eine Gänsehaut ihren Unterarm hinauf. Sie sah alles überdeutlich scharf und fühlte sich gleichzeitig seltsam entrückt. Sein Duft – sie schien süchtig danach. Dabei kannte sie ihn doch erst seit knapp fünf Minuten ...

Ihr Verstand, der „Verrückt, verrückt!“ hämmerte, hatte jedoch keine Chance mehr. Zorro würde sie tatsächlich gleich küssen. Und sie war mehr als bereit, dies zu erwidern. Stella leckte leicht ihre Lippen und reckte sich ihm sacht entgegen. In diesem Moment öffnete sich die Tür des Lokals, und eine Gruppe lachender Menschen strömte heraus.

„Alter, hier bist du, du Schwerenöter! Wir suchen dich überall“, rief einer von ihnen.

Der Zauber verflog.

Zorro wandte sich dem Sprecher zu und sagte mit einem Anflug von Bedauern in der Stimme: „Mensch, Michi, dein Timing war schon immer grottig.“

Stella erblickte einen blonden, schlaksigen Cowboy sowie einen neugierig blickenden Scheich, der eine sympathische schwarzhaarige Frau, deren Verkleidung Stella unter dem Mantel nicht erkennen konnte, im Arm hielt. Der Cowboy hob fragend die Augenbrauen und machte eine wenig dezente Kopfbewegung in Stellas Richtung. Zorro seufzte, und Stella vermisste schmerzlich die intime Zweisamkeit, die soeben noch so präsent gewesen war.

„Darf ich vorstellen: Stella! Stella, das sind meine lästigen Freunde Michi, Hannes und Babs.“

Stella blickte einem nach dem anderen in die Augen und nickte leicht. Der Cowboy klopfte Zorro grinsend auf die Schulter, wobei er Stella anerkennend ansah.

„Du, wir gehen jetzt zu Gregor. Wie sieht’s mit dir aus?“, fragte Hannes.

Zorro blies die Luft durch die Lippen und lächelte schief zurück.

„Tja, um ehrlich zu sein, hab ich hier noch eine Mission. Ich komm später nach.“

Vielsagend schaute Hannes ihn an. „Okay. Aber mach nicht zu lange. Du weißt doch, wie wichtig es Gregor ist.“

Die drei winkten Stella und Zorro zu und überquerten lachend den Ubierring.

„Eine Mission also?“ Stella schaute fragend auf Zorro.

Nicht im Geringsten beschämt, strahlte er sie an. „Ja, ich muss dich noch davon überzeugen, dass du mit mir mitgehst.“

Stella glaubte, sie würde nicht richtig hören, und runzelte leicht die Stirn.

„Nein!“, stellte er sogleich klar. „Doch nicht so, wobei ...“ Eine eindrucksvolle Kunstpause lang musterte er sie interessiert. „Ein guter Freund von mir, Gregor, organisiert Events und veranstaltet heute im Alten Wartesaal eine Megaparty. Das wird bestimmt toll. Aber, um ehrlich zu sein, kann ich mir gerade nicht vorstellen, irgendetwas anderes könnte das hier toppen.“

Er grinste sie wieder so zauberhaft schief an, dass ein sanftes Kribbeln zwischen ihren Schulterblättern hinablief.

„Auf jeden Fall nähme es mir Gregor sehr übel, wenn ich seine Party schwänzen würde. Und für dieses Dilemma gibt es nur eine Lösung: Du musst mit mir mitkommen.“ Er sah sie erwartungsvoll an.

Der Satz hing in der Luft, und Stella war so überrumpelt, dass sie erst einmal nichts sagen konnte.

„Ich weiß, wir kennen uns nicht ...“ Er zögerte, schien über etwas nachzudenken und blickte ihr geradewegs in die Augen. „Vielleicht kennen wir uns doch ...?“ Er schüttelte leicht den Kopf, hob wie zur Bekräftigung seiner Worte seine Hand und legte sie auf ihren Unterarm. „Wie dem auch sei: Ich würde mich sehr, sehr freuen, wenn du mitkämst.“

Stellas Verstand hatte während seiner Worte zuerst bei dem „wobei ...“ eingehakt. Das Nachgrübeln darüber ließ sie dann rasch links liegen, als Zorro zu der Stelle mit dem „Vielleicht kennen wir uns doch?“ gekommen war. Noch ehe ihr Intellekt diese Information einordnen konnte, spürte sie nur noch die Wärme seiner Hand auf ihrem Arm, und zugleich rief ihr Mund, getrieben von ihrem verräterischen Herzen und etwas zu atemlos: „Ja, gerne!“

Als sich Stella dieser mutigen Ungeheuerlichkeit bewusst wurde, stahl sich ein unsicheres Lächeln in ihre Züge. Sie war sonst nicht so spontan. Eigentlich hatte sie es ganz gerne, wenn das Leben vorhersehbar verlief. So hatte sie es die letzten Jahre gehalten, und es war gut so. Sie fühlte sich einfach sicherer. Auch wenn einige ihrer Freunde, allen voran Bernd und Julia, sie deswegen gerne als „Spießerin“ bezeichneten, ließ Stella sich nicht darin beirren. Ihren Freund Bernd stehen zu lassen und mit einem völlig Fremden – zugegeben einem sehr anziehenden, charmanten Fremden – mitzugehen, gehörte definitiv nicht zu diesem Lebensplan. Hinzu kam: Was sollte dieser Mann nur von ihr denken? Dass sie sehr leicht zu haben war? Es vielleicht sogar nötig hatte? Oh weh!

Zorros offensichtlicher Freude über ihre Antwort nach brauchte sie sich aber nicht weiter zu grämen. Kurz wirkte es sogar so, als wollte er sie vor Überschwang mit beiden Händen an der Hüfte fassen und hochheben. Dann schien er sich zu besinnen und nickte mehrmals hintereinander.

„Gut, das ist sehr gut!“

Stella löste seinen Umhang von ihren Schultern und gab ihn zurück. Mit der rasch gemurmelten Erklärung „kurz meinen Mantel holen“ und „Bescheid sagen“ wandte sie sich fast flüchtend ab und betrat wieder die Bar.

Narrenschicksal

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