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Stern

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Der Wagen hielt vor der Südstadtkneipe Spielplatz. Zum Glück hatte sich Stella dafür entschieden, mit einem Taxi zu fahren. Obwohl es noch nicht schneite, war der Wind eisig. Als sie ausstieg, fuhr er ihr glitzerbestrumpftes Bein entlang bis unter das strassbesetzte Minikleid. Dazu trug Stella – seit Langem wieder einmal – mörderisch hohe Schuhe. Es gab einfach sonst nichts, was ihr Kostüm als Stern so perfekt ergänzt hätte wie die goldenen Pumps, die ihre Schwester Elena ihr mit einem verschmitzten Grinsen vor drei Jahren zu ihrem dreißigsten Geburtstag geschenkt hatte.

Ihre deutlich jüngere Schwester arbeitete, seit sie sechzehn Jahre alt war, als Model und war in puncto Mode absolut stilsicher. Die Schuhe hatte sie Stella mit den Worten überreicht: „Zeig, was du hast, jetzt erst recht!“ So einen Spruch konnten wirklich nur achtzehnjährige Models von sich geben, und Stella hatte er eher an den Achtzigerjahrefilm „Stirb langsam, jetzt erst recht“ denken lassen.

Ein von Stella noch am Vorabend zusammen mit Bernd selbst angefertigter Haarreif, mit Sternen aus glänzendem Goldtüll beklebt, sowie auffällige Goldglitterstreifen, die sich von den Augen zu ihren Schläfen zogen, komplettierten ihre Maskierung.

Bernd hatte recht behalten. Bereits die vergnügten, maskierten Gruppen, die sie auf der Fahrt hierher passiert hatte, ließen ihre Vorfreude auf einen ausgelassenen Partyabend steigen. Ihr Freund hatte sie mal wieder sehr geschickt aus ihrem selbst erwählten Kokon herausgelockt.

Bernd war für Stella die perfekte Schulter zum Ausheulen und ein Party-Animal in einer Person. Seit Jahren behielt er Stellas holpriges Liebesleben seufzend im Blick: mehrere längere, aber ziemlich belanglose Beziehungen während des Studiums, die nach dem Uniabschluss mehr oder weniger im Sande verlaufen waren, und nichts Nennenswertes, was danach passierte. Es hatte sie, ehrlich gesagt, auch noch nie einer so richtig „vom Hocker gefetzt“.

Durch den Aufbau ihrer Praxis war Stella wenig Zeit für Männer geblieben. Stella wusste, dass Bernd ihre leichte Fixierung auf ihn als männlichen Begleiter schon lange erkannt hatte. Schließlich war er Psychologe. Er versuchte ab und zu, sich zurückzuziehen, oder aber er startete fruchtlose Kuppelversuche. Andererseits hatte Bernd ein zu großes Herz, um Stella stehen zu lassen, wenn diese einen männlichen Begleiter suchte.

Den anerkennenden Blicken von drei vor dem Eingang rauchenden, sehr jungen Männern nach zu urteilen, sah Stella in ihrem zusammengewürfelten Sternenoutfit gar nicht so übel aus. Ihre Partylaune regte sich. Sie rückte den leicht verrutschten Haarreif zurecht, und mit einem Lächeln öffnete sie die Tür zu dem bereits rammelvollen Laden. Fast wäre sie wieder hinauskatapultiert worden, denn ihr scholl das kollektiv rhythmische Klatschen der grölenden Gästemenge zu einer der kölschen Karnevalshymnen, „Superjeilezick“ von Brings, entgegen.

Nachdem Stella sich aus dem einen Windfang bildenden schweren Vorhang geschält hatte, schlugen ihr saunamäßige Temperaturen entgegen. Der Atem der Feiernden kondensierte an den kalten Fenstern. Auffordernd auf die beschlagenen Fenster geschriebene Telefonnummern zerflossen langsam. Stella war froh über die viele freie Haut, die sie in dem trägerlosen Funkelkleid zeigte, denn die Temperatur in der Bar war fast dreißig Grad wärmer als draußen.

Zusammen mit der dröhnenden Musik und dem Gesumme der Stimmen, die diese übertönen musste, herrschte ein unglaublicher Lärm. Stella benötigte einen Augenblick, um anzukommen. Sie blieb kurz stehen und scannte die Menge nach einem bekannten Gesicht.

In diesem Moment kam auch schon Bernd, der Stella sofort geortet hatte, strahlend auf sie zu und tänzelte leicht euphorisiert um sie herum, wobei er kleine Pfiffe über ihr Aussehen von sich gab und vielsagende Blicke in Richtung Fenstertisch warf.

Stella konnte bei den Nebengeräuschen seine flüsternde Begrüßung kaum verstehen, folgte aber brav Bernds Blickrichtung. Sie wunderte sich, warum Bernd, der zwar nicht gerade hochgewachsen und eine klassische Schönheit, aber doch recht ansehnlich war, sich ausgerechnet in den dicklichen Rothaarigen verguckt hatte, der ihr gerade mit einem breiten Grinsen zuwinkte. Aber, wo die Liebe hinfällt!

Bernd umfasste ihre Taille und zog sie mit sich.

„Komm, ich stell dir den Mann mit dem unglaublichsten Lächeln der Welt vor.“ Bernd neigte zu solch blumigen Schwärmereien.

Stella hatte längst aufgegeben, seine himmelhochjauchzende Verherrlichung seiner neuen Errungenschaften dämpfen zu wollen. Wozu auch? „Das Leben ist zu kurz, um sich zu mäßigen!“, hatte Bernd ihr bisher immer entgegnet, und sie beneidete ihn insgeheim um diese naive Lebenslust.

„Hey, ich bin Marie!“, rief sie laut in Rorys Ohr. Der schaute sie verwirrt an.

„Marie? Ich dachte, Stella?“ Rory war Ire, und Stella bemerkte seinen charmanten Akzent.

Bernd grinste verliebt.

Stella neigte sich wieder vor und erklärte: „Ja, auch. Stella ist mein Spitzname seit der sechsten Klasse.“

Nach ein paar weiteren Sätzen, die sie mit Rory wechselte, korrigierte Stella ihren ersten Eindruck von ihm ganz schnell. Trotz des gebrochenen Deutschs schaffte es Rory, durch seinen Witz und seine vor Charme sprühende Ausstrahlung innerhalb kürzester Zeit, Stella so zu verzaubern, dass auch sie Rory richtig sexy fand. Nachdem die Unterhaltung ins Englische gewechselt war, hatte Stella keinen Zweifel mehr daran, wie toll Rory war. Stella freute sich aufrichtig für Bernd und zeigte diesem bei der nächsten Gelegenheit dezent hinter dem Rücken beide Daumen hoch, was Bernd stolz zu einem verliebten Strahlen brachte.

„Dein Kostüm ist umwerfend!“ Rory betrachtete sie beifällig.

Stella mochte das Kompliment und blickte Bernd dankbar an. So sexy hatte sie sich schon lange nicht mehr gefühlt. Sie übertrieb es in letzter Zeit wirklich mit ihrem Arbeitspensum und dem abendlichen Einigeln auf ihrem Sofa. Aber gerade in diesem Moment fühlte sie sich in ihrer Haut so richtig wohl. Eine Woge des „Selbst-Bewusstseins“ durchflutete sie, und sie war froh, dass sie Bernd nachgegeben hatte. Kurz, der Abend konnte richtig losgehen! Und wie ginge das besser als mit einem kühlen Gin Tonic?

Ohne auch nur einmal getanzt zu haben, löste die hohe Luftfeuchtigkeit im Raum bereits ein kitzelndes Rinnsal unter ihrem recht schweren Strasskleid aus.

„Ich besorg mir mal was zu trinken!“, rief sie den Turtelnden mit einem leichten Nicken Richtung Bar zu und bahnte sich ihren Weg durch die ausgelassenen Narren.

Narrenschicksal

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