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1.5 Die böhmischen Anlässe des Dreißigjährigen Krieges 1.5.1 Rückblicke: lange Tradition konfessioneller Heterogenität und ständischer Aufmüpfigkeit

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Dass die Funken, die seit 1620 Teile Europas in Brand setzten, aus Böhmen herüberwehten, ist ganz zufällig – wir sahen, dass das Reich ein Pulverfass war, das sich schon 1610 beinahe an niederrheinischem Konfliktpotenzial entzündet hätte. Dass die Funken, die seit 1620 Teile Europas in Brand setzten, aus Böhmen herüberwehten, ist höchst bezeichnend – auch so kann man es sehen: eine Frage der Perspektive.

Warum könnte man denn Böhmen gewissermaßen für seine Rolle prädisponiert sehen? Nun, zwei große politische Themen der Jahrzehnte um 1600, wohl die damals zentralen, waren erstens der Widerstreit der Konfessionen, zweitens der Widerstreit zwischen erstarkender Zentralgewalt im Vorhof des „Absolutismus“ und ständischen Partizipationsansprüchen. (Der Schulbüchern geläufige Terminus „Absolutismus“ gefällt vielen Wissenschaftlern nicht mehr als Epochenbegriff, manche verwenden den Terminus überhaupt nicht mehr – kein Thema für dieses Büchlein, das es, manchmal in Anführungszeichen, beim „Absolutismus“ belässt, schon weil sich bislang keine griffige Alternative etabliert hat.) Böhmen hatte damals eine schon lange Tradition weltanschaulicher Heterogenität; und es hatte ungewöhnlich [<<59] selbstbewusste Stände. Die beiden großen Antagonismen der Zeit waren in Böhmen schon seit Generationen virulent, wurden hier auf engem Raum ausgefochten. Zeittypisch waren der Kampf um Seelen und das Ringen um die Macht ineinander verknäuelt. Dennoch: Trennen wir beide Aspekte einmal der Übersichtlichkeit halber voneinander!

Warum die böhmischen Stände traditionell stark sind

Warum waren denn die böhmischen Stände besonders stark und selbstbewusst? Zum einen waren die Stände überall in Mittelosteuropa stark. Es hat auch ökonomische Gründe. Anders als die „Grundherren“ Westeuropas, die fast alles Land an weitgehend selbstständig arbeitende Bauern verliehen, bewirtschafteten die ostmitteleuropäischen Magnaten mithilfe der „niedergelegten“, faktisch zu Lohnarbeitern heruntergedrückten einstigen Bauern riesige Ländereien. Sie agierten dabei sprichwörtlich „nach Gutsherrenart“, ließen sich von der schwachen Zentrale nicht dreinreden. Bei den Ständen Habsburgs kam ein Zweites hinzu: Die Habsburgerlande grenzten ans osmanische Riesenreich, die „Türkengrenze“ lief mitten durch Ungarn, Böhmen war nicht weitab. Die Habsburger brauchten die Mitwirkung und Zahlungsbereitschaft ihrer Stände, waren gleichsam erpressbar. Die Stände hat auch dieser enorme Geldbedarf der Zentrale stark gemacht.

Die Steuerverwaltung war ständisch, wie vielerorts; auch die Aufbringung und Verwendung der indirekten Steuern, andernorts Ansatzpunkt frühabsolutistischer Vorstöße der Landesherren, war unter den Habsburgern Ständesache. Nicht einmal Kriegsherren waren die Habsburger unumschränkt, man war dort als Militär nicht habsburgischer, sondern „der Landschafft Kriegs officir“, der ständische Einfluss auf die „Landesdefension“ war groß. Sogar außenpolitisch wurden die Landstände bisweilen aktiv – so verhandelten sie beispielsweise in den Anfangsjahren der Union (wenn auch ohne bleibende Resultate) mit Vertretern dieses Konfessionsbündnisses über Kooperationsmöglichkeiten.

Kurz, die habsburgischen (auch, und zumal die böhmischen) Landstände agierten, als seien sie Reichsstände, eigene Herrschaftsträger. War es nicht ein signifikanter Unterschied, dass sich die Reichsstände zwar einem Habsburger unterstellten, den aber als Reichsoberhaupt frei und zu ihren – in der Wahlkapitulation festgehaltenen – Bedingungen wählten, während Böhmen Erbbesitz der Dynastie war? Sogar dieses Erbrecht der Habsburger wurde immer wieder angezweifelt [<<60] oder relativiert. So führte man bei jedem Herrscherwechsel Huldigungsverhandlungen – man stellte also seine Bedingungen für die ‚Unterwerfung‘, eben die Huldigung. Oder man behauptete ganz offen, die böhmische Krone sei tatsächlich eine Wahlkrone; Matthias (Böhmenkönig seit 1611) musste ein Dokument unterzeichnen, das seine Nachfolge als „freie Wahl“ der Landstände deklariert. Es gab unter den Landständen in dieser Frage drei Positionen: ein kleines Häuflein, das der Erbkrone das Wort redete; gemäßigte Anhänger der Wahlkrone; und radikalere. Letztere behaupteten, „Wahl“ meine nicht nur Auswahl innerhalb der angestammten Dynastie, sondern beinhalte auch die Möglichkeit des Dynastiewechsels.

Hinzu kommt, dass die im Konfessionellen Zeitalter so zentrale Kirchengewalt traditionell eher ständisch als landesherrlich war. Ungefähr vier Fünftel der von den katholischen Habsburgern regierten Adeligen waren im 16. Jahrhundert evangelisch geworden, sie nötigten diese Option auch ihren Hintersassen auf; was die Regierungen durch weitreichende Konzessionen absegneten. Faktisch besaß also in den Habsburgerlanden nicht die Landesherrschaft, sondern der landständische Adel das Ius reformandi.

Warum Böhmen schon lange nicht mehr geschlossen katholisch ist

Jetzt sind wir fast unvermerkt doch schon beim zweiten Aspekt angekommen: der konfessionellen Ausrichtung. Die meisten böhmischen Adeligen waren keine Mitglieder der römischen Kirche. Welcher Konfession gehörten sie denn an? Nun, zum Teil tendierten sie zu den neueren europäischen Reformationsströmungen (wie dem Calvinismus oder, häufiger, dem Luthertum); zum Teil standen sie in der älteren, einheimischen hussitischen Tradition.

In Böhmen gab es nämlich schon hundert Jahre vor der Publikation der lutherschen Ablassthesen Nichtkatholiken. Ein Prager Prediger, Jan Hus, fand mit seinen kirchenkritischen, in manchem die lutherische Reformation vorwegnehmenden Ansichten begeisterte Zustimmung. 1414 wurde er zum Konzil nach Konstanz geladen, mit einem Geleitbrief, der ungestörtes Reisen und ungehinderte Anhörung in Konstanz garantierte – und doch wurde er dort, am Bodensee, verhaftet und verbrannt. Jan Hus ist tot – der Hussitismus setzt sich in Böhmen weitgehend durch. Übrigens sah der damalige Kampf um Prag einen „Fenstersturz“: Einige reformunwillige Ratsherren stürzten in den Burggraben. Die Hussiten gewannen in Prag und anderswo, [<<61] genauer: ihr gemäßigter Flügel, die sogenannten „Utraquisten“. Es ging keine Sprengwirkung davon aus, die Bewegung, pointiert tschechisch von Anfang an, expandierte nicht in andere Teile Europas – anders als hundert Jahre später das Luthertum, dann der Calvinismus. Aber geschlossen „römisch-katholisch“ war Böhmen schon hundert Jahre vor Luther nicht mehr.

Böhmen als Bestandteil der habsburgischen Composite Monarchy

Freilich kam das Land dann in die Hände einer erzkatholischen Dynastie: der Habsburger. Im Jahr 1526 fiel der letzte Jagiellonenkönig im Kampf gegen das Osmanische Reich. Die Habsburger erhoben Erbansprüche auf die Kronen Ungarns und Böhmens, die Stefans- wie die Wenzelskrone. Den Anspruch auf Ungarn konnten sie nur zum kleinen Teil realisieren, sie regierten einen schmalen westlichen Gebietsstreifen, den Rest besetzte das Osmanische Reich. Mit der Stefanskrone hat das Haus Habsburg die welthistorische Aufgabe geerbt, das christliche Abendland gegen einen immer wieder die Expansion suchenden Islam zu verteidigen. Genau deshalb wird es in den nächsten beiden Jahrhunderten wieder und wieder den Kaiser stellen: In kurfürstlichen Wahlgutachten steht stets dieser Gesichtspunkt (wer kann das Alte Reich am wirkungsvollsten vor dem islamischen „Türken“ schützen?) im Zentrum.

Zu den Ländern der Wenzelskrone gehörte Böhmen. Dieses Königreich war nun habsburgisch, geschlossen römisch-katholisch wurde es deshalb (wie wir soeben schon sahen) noch lange nicht. Im Gegenteil, zu den alten hussitischen traten neue lutherische, später calvinistische Einflüsse. Mit der „Confessio Bohemica“ gaben sich die verschiedenen nichtkatholischen Bewegungen 1575 eine gemeinsame Rahmenordnung. Sie sollte politische Verhandlungen mit der Landesobrigkeit erleichtern, also politisch und nach außen wirksam sein, nicht die konfessionellen Binnenunterschiede einebnen.

Lang musste Habsburg zusehen, aber nicht ewig. Die Habsburgerlande gehörten zu denjenigen Gebieten, in denen der nachtridentinische Kampfkatholizismus seit den 1570er-Jahren am frühesten und entschiedensten Terrain zurückeroberte.

„Die Habsburgerlande“: Warum steht das hier im Plural? Nun, es handelt sich um eine „composite monarchy“. Solche „dynastische Unionen von Ständestaaten“ (wie der ältere deutsche Ausdruck hierfür lautet) waren im vormodernen Europa nicht untypisch: Territorien mit [<<62] ganz unterschiedlichen kulturellen Traditionen und administrativen Strukturen werden auf der obersten staatsrechtlichen Ebene dadurch verklammert, dass sie von Mitgliedern ein und derselben Dynastie regiert werden. Im zuletzt gestreiften Zeitraum der habsburgischen Gegenreformation gab es fast durchgehend drei regierende Habsburger, dementsprechend drei größere Happen vom Gesamtbesitz, die jeweils in sich mehrere historische Landschaften vereinten. Erstens sprach man von „Niederösterreich“ – meinte: die Erzherzogtümer Österreich ob der Enns (Hauptort Linz) und unter der Enns; Regierungssitz war Wien. Der dort residierende Erzherzog regierte außerdem, unter der Wenzelskrone, die böhmischen Länder: das Königreich Böhmen, die Markgrafschaft Mähren, das Herzogtum Schlesien, die Markgrafschaften Nieder- und Oberlausitz. Und er regierte ferner, unter der Stefanskrone, das „Königliche Ungarn“ (also jenen schmalen westlichen Teil von Ungarn, der nicht vom Osmanischen Reich besetzt war). Zweitens gab es „Innerösterreich“: die Herzogtümer Steiermark, Kärnten, Krain und einige kleinere Gebiete wie die Grafschaft Görz oder die Markgrafschaft Istrien, Regierungssitz war Graz. In unserem Zeitraum regierte sodann fast immer, und zwar von Innsbruck aus, ein weiterer, dritter Habsburger Oberösterreich (dessen Kernland Tirol war) sowie Vorderösterreich (also den Streubesitz im heutigen Oberschwaben sowie den Breisgau).

Energische habsburgische Gegenreformation

In fast allen Landesteilen (am wenigsten in Oberösterreich) fanden evangelische Anschauungen zeitweise großen Anklang. In den späten 1570er-Jahren setzte indes die habsburgische Gegenreformation ein. Sie zeitigte insgesamt große Erfolge, am durchschlagendsten in Innerösterreich; auch in Böhmen erstarkte der Katholizismus unübersehbar. Dann freilich schienen mehrere Turbulenzen die habsburgischen Terraingewinne infrage zu stellen: der Lange Türkenkrieg (1593–1606), der Bocskay-Aufstand sowie der „Bruderzwist“ im Hause Habsburg. Damit bewegen wir uns endlich wieder in den Jahren um und nach 1600.

Der Dreißigjährige Krieg

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