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SO GROSS

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Ich zog in dieses Haus mit einem Kind vor den Bauch geschnallt und einem Kind an der Hand. Es war nie mein Plan, alleinerziehende Mutter zu werden, aber so war es dann eben, auch meine Mutter hat uns alleine großgezogen.

Kinder geschiedener Eltern haben oft das Gefühl, dass sie etwas vermissen. Ich habe immer darauf Wert gelegt, dass meine Kinder solch ein Gefühl nicht bekommen. Als wir in dieses schöne alte Haus einzogen, schlief ich die ersten Wochen mit meinen Jungs in einem kleinen Zimmer unten im Erdgeschoss. Ich habe das geliebt – wir drei zusammengekuschelt in einem großen Bett. Ich wollte für die beiden da sein, ein kindgerechtes, fröhliches Leben für sie aufbauen. Und dann, ganz langsam, habe ich mein Leben neu sortiert, ausprobiert, was mir beruflich Spaß macht, meine Schwestern im Geiste hier gefunden und meinen Söhnen eine Heimat gegeben. Mit meinen deutschen Freundinnen facetime ich regelmäßig, wenn ich in Florida bin. Vor allem auch mit Christiane. Ihr Sohn ist genauso alt wie Elias, und obwohl von hier aus achttausend Kilometer Luftlinie zwischen uns liegen, ähneln sich die Erlebnisse mit unseren Kindern manchmal auf geradezu groteske Art und Weise. Da reichen zwei, drei Worte und die andere ist im Bilde.

Unsere Insel gehört zu Miami, was nach einer riesengroßen Stadt klingt, aber wir leben eigentlich in einem Dorf. In meiner Siedlung gibt es kein hektisches Autogehupe, hier kann man gemütlich mitten auf der Straße laufen und dabei noch seinen Kaffee schlürfen. Entschleunigung ist hier gelebter Alltag. Und Zusammenhalt. Wenn ich während Elias’ Pubertät in einer Sackgasse steckte, habe ich ihn einfach die Straße runter zu meiner Freundin Jen geschickt. Sie lebte schon hier, als wie einzogen, hat zwei Jungs und einer davon ist Elias’ bester Freund. Jen ist alleinerziehend wie ich, das hat uns gleich verbunden. Wenn ich also manchmal mit Elias nicht weiterwusste, habe ich zu ihm gesagt: »Rede mit Jen! Vielleicht kann sie dir besser erklären, was ich meine.«

Und das hat sie auch, stundenlang. Mit Engelsgeduld.

Ich bin harmoniesüchtig, würden Psychologen sagen. Ich mag diese Formulierung lieber: Bei mir muss alles im Flow sein, dann ist es gut. Auf lange Streitgespräche habe ich keine Lust, dann schaltet irgendwann mein Gehirn ab. Zack. Schalter umgelegt. Doch ein harmonisches Leben mit pubertierenden Kindern gibt es noch nicht einmal im Märchen. Und so fanden auch in meiner Welt einige Kämpfe statt.

Jetzt sind meine beiden Söhne groß, größer als ich, wenn sie neben mir stehen. Irgendwie gewöhnungsbedürftig, aber zum Glück ist das nicht über Nacht so gekommen – wobei gerade Noah sich schon groß fühlte, als er noch klein war. Meine Freundin Heather hat mir das einmal so erklärt: »Noah ist eine alte Seele. Das haben wir alle schon früh gewusst.« Auf jeden Fall hat er sich schon sehr früh für Elias und mich verantwortlich gefühlt.

Miami ist an manchen Ecken durchaus eine gefährliche Stadt, und als unsere Alarmanlage einmal mitten in der Nacht losging, stürzte Noah wie ein Falke aus dem Bett und stellte sich neben mich in den Flur. Da war er gerade mal zehn Jahre alt und natürlich hätte er gegen einen Einbrecher nichts ausrichten können, aber sein Beschützerinstinkt war damals schon sehr ausgeprägt. Zum Glück kam der Sicherheitsdienst wenig später …

Als Noah vor einigen Jahren seinen Schulabschluss in der Tasche hatte, zog er nach Berlin. Dort lernte er unglaubliche Menschen kennen, die genau wie er ihre Kreativität voll ausleben und außerdem auf sich gegenseitig achten.

Die Gefühle, die Noahs Auszug damals in mir auslöste, und die Veränderung, die dies mit sich brachte, sind kaum zu beschreiben. Über zwei Jahrzehnte waren die Kinder damals schon Teil meines Lebens – und jetzt war eines davon weg. Aber der Alltag und das Leben gingen weiter. Ich organisierte weiterhin Lehrer, Tutoren, gemeinsame Unternehmungen und Termine. Ich habe mich in dieser Zeit, praktisch wie eine Henne, die ihr verbleibendes Ei unbedingt vor der großen weiten Welt beschützen will, auf Elias draufgesetzt, was er in der Pubertät teilweise völlig absurd und übertrieben fand. Und da hat er ja auch recht, weil jeder Mensch seine eigenen Erfahrungen machen muss.

Aber ich konnte nicht anders. Sechsundzwanzig Jahre lang waren meine Kinder mein Lebensinhalt. Meine Welt drehte sich nur um sie. Auch wenn ich nach Deutschland flog, um zu arbeiten – für Businesstermine oder TV-Aufzeichnungen-, wusste ich immer, was gerade anstand, wann wer zum Basketballtraining musste oder welcher Tutor bei uns zu Hause war, um sie auf die nächste Prüfung vorzubereiten. Ich habe in meiner Kindheit oftmals auch nicht verstanden, warum Hausaufgaben so wichtig sind. Wer kennt das nicht, man fragt seine Kinder, sind deine Hausaufgaben schon fertig, und mit der Blitzantwort »Ja« weiß man, dass dies fast schon eine rhetorische Frage ist.

Mein guter Freund Chris sagt: »Jungs in dem Alter wollen nur raus von zu Hause, weg von der Übermami, die ihr Leben kontrolliert. Das war bei mir genauso. So große Arme habt selbst ihr nicht, dass ihr sie für immer um eure Jungs schlingen könnt. Die müssen raus aus dem Nest, das ihr gebaut habt.«

Mama allein zu Haus

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