Читать книгу Mama allein zu Haus - Barbara Becker - Страница 16
DIESE UNFASSBARE LIEBE
ОглавлениеZwanzig Jahre lang war ich seine erste Ansprechpartnerin, obwohl ich nach drei Monaten Babypause gleich wieder zurück in den Job bin. Ohne meine Schwester Moni wäre das nicht gegangen. Barbara hatte ihre Sisterhood aus Freundinnen, ich hatte meine echte Sister Moni.
Ganz die stolze Tante, hat sie Nicholas schon an seinem ersten Tag auf dieser Welt in den Armen gehalten, ihn mir am Anfang zum Stillen in die Redaktion gebracht und geduldig mit ihm auf Spielplätzen rumgesessen – für mich die absolute Albtraumbeschäftigung. Als er größer wurde, gingen wir beide zusammen ins Büro – ich in die Redaktion und er in die Burda-Bande, unseren Betriebskindergarten. Nachmittags holte Moni den Kleinen dann ab, wenn es bei mir mal wieder länger dauerte.
Nein, gar kein Problem, das noch schnell fertig zu schreiben – wirklich. »Mein Kind ist versorgt.« Das war mein Mantra über viele Jahre und ist es wohl für die meisten arbeitenden Mütter. Wollen Chefs das wirklich wissen, wie wir das hinkriegen? Die meisten nicht. Die wollen nur, dass die Mütter funktionieren und ihre Kinder irgendwie wegorganisiert sind. Zum Glück hatte ich Moni. Mehr Glück kann man eigentlich nicht haben als so eine Schwester. Ich weiß nicht, wie ich in meinem Vollzeitjob samt Wochenenddienst und Abendschichten anders hätte überleben können, denn komischerweise kam meinem Mann in solchen Situationen oft ein wichtiger Termin dazwischen. Die meisten arbeitenden Mütter sind perfekte Organisatoren, aber allein können wir es nicht schaffen. Da ging es mir wie Barbara, die ihren Freundinnenkokon in Miami um ihre Kinder und sich gewebt hatte.
Als Nicholas klein war, hörte ich schon manchmal von meinem Sohn: »Also die Mama von Luis ist immer zu Hause. Warum bist du eigentlich nicht immer hier?«
Ja, warum nicht? Weil ich meinen Job liebe und eine unzufriedene, weil unterbeschäftigte Mama auf Dauer keine glückliche Mama ist.
Das hat er schon ziemlich früh kapiert und ehrlich gesagt habe ich meinen Sohn und seine Kumpels auch gnadenlos damit eingelullt, dass ich regelmäßig Premierenkarten für die neuesten coolen Filme besorgt habe. Da war ich dann Supermom, auf die mein Sohn sichtlich stolz war. Man muss eben mit allen Tricks arbeiten!
Schon in der Grundschulzeit hatten Nicholas und ich zudem wegen meines Jobs ein Ritual entwickelt, das wir bis zum Abitur beibehalten haben. Wenn er mittags nach Hause kam, rief er als Erstes mich an – noch vor dem Mittagessen. Dann wurde besprochen, wie der Tag so gelaufen war, welcher Lehrer blöd und welche Note noch blöder war. Und was er noch vorhatte, bis ich nach Hause käme. Vielleicht funktioniert unsere Long-Distanz-Kommunikation deshalb heute so gut …
Wobei, jetzt, da ich so schweißgebadet am Fenster stehe, wüsste ich doch schon gern ein bisschen genauer, was mein Sohn gerade tut – oder welche schrägen Typen er möglicherweise gerade kennengelernt hat, denen er vielleicht blind vertraut.
Nur nicht darüber nachdenken …
Aber wie Barbara war und bin ich eben eine gnadenlose Mama Kontrolletti. Mama is watching you – vor allem, was die Schule anging. Spätestens in der Pubertät war mein Sohn sogar froh darüber, dass ich nicht schon mittags zu Hause war: »Nein, Mama, bestimmt. Ich zocke nicht, ich muss ja noch so viel machen bis morgen.«
Wir Mütter vertrauen ja unseren Kindern, aber bitte nicht in der Pubertät! Da habe ich ständig kontrolliert, ob wirklich alle Hausaufgaben erledigt waren und die Xbox oder Playstation nicht stattdessen in Dauerbetrieb war – so weit man das als Vollzeit arbeitende Mutter eben kontrollieren kann, indem man ganz überraschend einmal früher nach Hause kommt.
Es gab Wochen, in denen viele Klausuren anstanden und in denen ich schlicht diese ganzen tollen Zockergeräte abgebaut und ins Büro geschleppt habe. Während mein Sohn in der Schule war. Ja, die anschließenden Hassanfälle muss man aushalten können als Mutter. Doch in der Abiturphase habe ich dann tatsächlich von meinem Sohn nicht nur einmal den Spruch gehört. »Kein Wunder, dass der die ganzen Klausuren versaut. Der zockt doch die ganze Zeit!«
Yeah!
Bei ganz wichtigen Problemfällen wartete Nicholas übrigens immer bis zum Abend, um mir alles in Ruhe zu erzählen. Ich war da bei Krankheiten, Schulstress, Playdates oder dem ersten Liebeskummer. Ich war diejenige, die nach den Fußball- oder Basketballspielen an den Wochenenden die Trikots gewaschen und alle verdreckten Kinder bis vor die Haustür gefahren hat. Ich wollte sicher sein, dass alle gut heimkommen und zuvor auch kein Spiel verpassen, keine Emotion bei Sieg oder Niederlage.
Mein Mann war zwar auch immer irgendwie präsent, aber er hat das Ganze sozusagen aus der sicheren Distanz heraus betrachtet. So nach dem Motto: Wenn ich nichts sage, mache ich auch nichts falsch. Vor allem in Sachen Schule war mir das auch bedeutend lieber, wenn er nicht mit den eigenen schlechten Noten vor dem Sohn prahlte oder davon erzählte, dass die ganze Oberstufe in seinem Nürnberger Gymnasium damals quasi ständig bekifft gewesen war. Nein, klar, er ja nur manchmal …
Da kriegt man als besorgte Mutter, die einfach nur das Kind wohlbehalten durchs Abi bringen will, durchaus mal Bluthochdruck.
Dabei waren der Notendruck und der Kampf gegen die Zockerei nicht die einzige Herausforderung, die wir zu bewältigen hatten. Es gab so viele Nächte, in denen ich kein Auge zugetan habe. Weil Nicholas krank war oder ich mir irgendwie Sorgen um ihn machte. Später, weil ich so lange wartete, bis endlich der erlösende Anruf kam, dass man ihn jetzt bitte von der Party abholen könne.
Ich habe meinen Sohn weinen, lachen und später auch sehr gut gelaunt bei seinem ersten Schwips gesehen. Ich war mit ihm beim Arzt, wenn er Fieber hatte und auch als er sich beim Fußballturnier das Handgelenk anbrach und beim Trampolinspringen den Fuß verletzte. Ich war an seiner Seite, als das Leben in der alten Schule schwieriger wurde, weil alle anderen cooler, intelligenter, beliebter waren – bis er in seiner neuen Schule dann seine Hood um sich versammelt, seine besten Freunde gefunden hatte.
Mal war ich die tollste, dann wieder die blödeste Mutter der Welt und klar hat es auch mal gekracht – meist wegen fehlender Lernbereitschaft, wenn er mal wieder den ganzen Nachmittag vertrödelt hatte, obwohl am nächsten Tag eine wichtige Prüfung anstand. Das hat mich so unglaublich genervt, weil ich nicht verstehen konnte, warum man sehenden Auges in eine Katastrophe segeln möchte. Aber was nützt den Kindern unser Wissen? Sie müssen ihre eigenen Erfahrungen machen und irgendwann hat Nicholas von allein gelernt, weil es ihm wichtig war, die Klasse mit anständigen Noten zu bestehen.
Einen ausgeprägten Sinn für Faulheit pflegte er allerdings weiterhin, was seine Mitarbeit im Haushalt betraf. »Och echt, den Müll raustragen? Muss das sein?« Und Staubsaugen oder die Geschirrspülmaschine einräumen? Ist das nicht Frauenarbeit? Nein, zum Henker! Ich höre ja immer wieder von Söhnen, die freiwillig mithelfen. Ich hatte kein so ein Exemplar daheim. Ja, selbst schuld wahrscheinlich. Zum Glück mag es Nicholas daheim gern relativ ordentlich, sodass ich mütterliche Verweigerungstaktik anwandte: Schulterzucken, Schweigen und den Staubsauger mitten im Zimmer stehen lassen. Irgendwann hat er aufgegeben, selbst geputzt – und wir haben uns angegrinst, denn es ging ja immer nur um Kleinigkeiten. Trotzdem waren das die ersten notwendigen Ablösungsprozesse in Richtung Eigenständigkeit. Zum Glück verband uns immer eine riesige Komplizenschaft und der gleiche Humor, das hat echt in fast allen Situationen geholfen. Zudem war die Liebe immer da, diese unfassbare Liebe zwischen Mutter und Kind, die über allem steht.
Und jetzt?
Jetzt habe ich keine Ahnung, wie es ihm geht, und das ist neu für mich und tut verdammt weh.