Читать книгу Mama allein zu Haus - Barbara Becker - Страница 19
LEINEN LOS
ОглавлениеTrotzdem rumort das Japanthema noch ein wenig in mir, denn diese fremde Kultur kann ich nicht wirklich einschätzen. Ich brauche Zuspruch von meiner Leidensgenossin. Also rufe ich mal wieder Barbara an, denn seitdem unsere Kinder volljährig sind, haben wir sozusagen eine Facetime-Standleitung. Ich erwarte eine Runde Mitleid, doch stattdessen höre ich ein leichtes Kichern aus der Leitung.
»Dein Sohn zeigt es dir aber richtig«, lacht sie. »Erst Südamerika, jetzt Japan. Will der noch zum Nordpol irgendwann? Ist schon witzig, dass unsere Kinder gar nicht weit genug weg von uns sein wollen.«
Also so habe ich das noch gar nicht gesehen. Nicholas kommt doch wieder, oder? Ist ja nur eine Phase, eine Art verlängerter Urlaub. Oder, wie man heute so schön sagt, ein »Gap Year« nach dem Abi.
Barbara sieht das mit ihrer Erfahrung schon etwas klarer. »Meine Kinder leben dauerhaft auf einem anderen Kontinent«, sagt Barbara. »Ich konnte sie ja nicht festbinden. Die wollen das so. Da müssen wir beide durch.« Aber Japan? Das ist doch ewig weit weg und so ganz anders als alles, was wir kennen. Doch was soll ich machen? Nicholas wird schon wissen, was ihn an dem Land so fasziniert, und vielleicht hat es sich dann ja auch erledigt, wenn er sich das mal gründlich angeschaut hat. Barbara bezweifelt das zwar und als gute Freundin hält sie mir schonungslos den Spiegel vor die Nase, damit ich auch ganz genau dorthin sehe, wo mein Problem ist. Jaja, ich weiß. Das Loslassen, das Fliegenlassen unserer Küken, die längst schon als stolze Jungadler davongesegelt sind. Mein Verstand hat das längst erkannt, aber mein Herz schlägt noch in einem anderen Rhythmus. Trotzdem geht es mir nach dem langen Telefonat besser. Geteilter Schmerz ist eben wirklich halber Schmerz.
Und so gebe ich am nächsten Tag mein Okay mit angezogener Handbremse. »Wenn’s denn unbedingt sein muss, gehst du halt auch noch nach Japan. Du weißt aber schon, dass die Schriftzeichen sauschwer zu lernen sind. Dass du dich bloß mal nicht übernimmst! In der Schule hast du ja auch nicht so schnell gelernt«, texte ich. Ja, ich kann eine total positive, motivierende Mutter sein, wenn es sein muss.
»In der Schule. Klar«, kommt seine prompte Antwort. »Da hatte ich ja auch keinen Bock zu lernen. Das mache ich jetzt freiwillig und das wird endgeil.«
»Aha« ist das Einzige, was mir darauf einfällt. Ich starre völlig perplex auf mein Handy. Mein Kind will lernen. Freiwillig. Und findet es auch noch … äh … »endgeil«. Wer oder was hat in den letzten Monaten meinen Sohn gebrainwasht? Fühlt sich das so an, wenn der Nachwuchs erwachsen wird? Man sitzt und staunt und wundert sich, was auf einmal so anders ist als noch vor ein paar Monaten vor dem Abitur. Als hätte eine unbekannte Macht meinem Sohn einen Turbobooster verpasst. Er kriegt sich gar nicht mehr ein mit all seinen Plänen und seinem Mut und seinem Drauflosrennen in die Welt. Endgeil.
Stimmt schon. Irgendwie. Aber auch gewöhnungsbedürftig. Barbara ist inzwischen bei ihrer Freundin Tatjana in Berlin, mit der sie seit Kindertagen befreundet ist. Ich brauche noch einmal eine große Portion Freundinnenpower, um das alles zu verarbeiten. Also klingle ich bei ihr durch und höre sofort etwas zwischen Lachen und Schluchzen in der Leitung.
»Alles okay?«, frage ich.
»Ja, du passt in unsere Runde«, lacht sie und stellt mich auf laut. »Ich sitze hier mit vier anderen verlassenen Müttern bei Tee und Champagner zusammen. Ich muss dir unbedingt was vorlesen. Du wirst gleich auch heulen, sage ich dir.«