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EIN LANGER WEG

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Ja, kann sein, aber bitte möglichst mit Schulabschluss, denkt man so als Mutter. Braucht man den und wenn ja, wozu? Denken die Kinder zwischendrin immer wieder. Hier in Miami genauso wie woanders schießen an jeder Ecke Start-ups aus dem Boden, das wusste mein Sohn schon mit vierzehn als Argument gegen den regelmäßigen Schulbesuch anzuführen. Jeder ist kreativ, jeder kann die ultimativ geniale Businessidee haben, die ihn in einem Jahr erfolgreich und unabhängig macht. Wozu also lernen, was man später überhaupt nicht brauchen kann? Und macht der Besuch einer Universität heutzutage noch Sinn in der schönen großen Welt der Selfmademänner und -frauen?

Lange Diskussionen mit meinem Sohn und seinen Kumpels begleiteten mich in Elias’ letzten Schuljahren. Wann werden wir Eltern eigentlich uncool? Irgendwann in der Pubertät kommt der Tag, an dem die Kinder plötzlich ihre eigene Sichtweise entwickeln und sich die Welt selbst erklären wollen. Manchmal sind mir in den Diskussionen wirklich die Argumente ausgegangen und ich habe einfach entschieden, was ich für richtig hielt. In solchen Fällen marschierte Elias wieder einmal die Straße runter zu Jen. Dort beschwerte er sich dann: »Mama versteht mich nicht, es ist alles so schwierig mit ihr. Sie hört mir gar nicht wirklich zu.« Und ich saß zu Hause und dachte genau das Gleiche. Dabei tun wir Mütter ja nur so, als würde uns jeden Morgen die große Weisheit erleuchten und uns einflüstern, wie wir unsere Kinder zu erziehen haben. Wir kennen alle die Momente, in denen man oft einfach nur improvisiert. Und trotzdem musste ich die Richtung angeben, ich war das Familienoberhaupt, wie es so schön altmodisch heißt. Ich musste sagen, wo es langgeht.

Aber ich war auch bereit, Hilfe anzunehmen. Deswegen habe ich die Tür zu meinem Familienleben so weit aufgemacht. Ich habe immer von einer Großfamilie geträumt, mit vielen Onkeln, Tanten, Cousinen und Schwägerinnen. Und da ich die nun mal nicht vor meiner Haustür hatte, habe ich mir meine Wahlfamilie gesucht – Menschen, bei denen ich mich wohlfühle, bei denen ich ich selbst sein darf. Die meisten Singlemütter arbeiten hart, um ihren Kindern etwas zu bieten. Wie soll man das alleine schaffen? Mir ist es vollkommen egal, dass meine Freunde genau wissen, wann und warum es bei uns kracht. Denn der Vorteil ist so viel größer: Keiner von uns badet in Selbstmitleid oder fühlt sich unverstanden. Denn die anderen hören zu und springen ein.

Ja, unsere Wahlfamilie hat unser aller Leben bereichert und uns Mütter sehr entlastet. Doch mehr als das: Meine Freunde sind großartige, hilfsbereite Menschen mit gesundem Menschenverstand, die ich bewundere. Ich habe mir immer gewünscht, dass sie ein bisschen von ihrem Feenstaub auf meine Kinder versprühen. Und das haben sie.

Doch nun stehe ich hier, lasse die Schönheit des Sonnenaufgangs wirken und mache mir bewusst: Die Schule ist ein für alle Mal vorbei. Der Schulabschluss ist geschafft. Und nein, ich werde die Schule nicht vermissen, vor allem nicht diese hübschen rosa, gelben und grünen Zettelchen, die meine Kinder regelmäßig nach Hause gebracht haben, weil mal wieder eine Prüfung danebengegangen war. Oder das ständige Antreiben, wenn Elias mal wieder nicht einsah, warum man pünktlich um halb neun Uhr in der Schule sein muss. Geht nicht auch drei viertel neun oder neun?

Nein! Und dann das Weckritual: Ich kam teilweise drei bis vier Mal zum Aufwecken in die Zimmer meiner Jungs, wenn ich mit dem Fahrdienst für die Kids dran war! Nur wenn Jen die Jungs zur Schule chauffierte, war plötzlich alles anders. Wenn sie vor der Tür gehupt hat, gab es keine Ausflüchte mehr. Sie ist nicht der Typ, der lange wartet. Kommst du nicht rechtzeitig, ist sie weg. Und oh Wunder! Plötzlich war mein Sohn pünktlich fertig, denn vor seinem besten Freund wollte er sich nicht blamieren. An Jen-Tagen brauchte man ihn tatsächlich nur einmal zu wecken und gleich war der Morgen entspannter.

Noch schlimmer als die berühmten Zettel sind mir die Anrufe der Lehrer in Erinnerung. In Amerika kann so ein Anruf alles bedeuten – von »normalen« Notfällen bis hin zum Amoklauf. Auf jeden Fall bekam ich nie einen Anruf, wenn es etwas zu feiern gab.

Ich war gerade in Düsseldorf zur Besprechung für meine neue Teppichkollektion, als es mal wieder klingelte. Ich meldete mich schon mal etwas atemlos und hörte zuerst: »Keine Panik. Alles ist gut. Ihrem Kind ist nichts passiert.«

Mein Herzschlag beruhigte sich etwas, aber entspannen konnte ich noch nicht. Denn das Gespräch war noch nicht zu Ende: »Sie wissen ja, wie sehr ich Sie persönlich schätze, und ich mag auch Ihren Sohn.«

Pause. Aber?

Ja genau, da kam es: »Aber so geht das wirklich nicht weiter. Wenn er jetzt nicht endlich anfängt zu lernen und seine Hausaufgaben zu machen, wird er die Klasse nicht schaffen. Dann kann ich nichts mehr für ihn tun.«

Ich stürzte aus meinem Meeting, murmelte eine kurze Entschuldigung an die verblüffte Runde meiner Geschäftspartner und zückte das Telefon. Natürlich war der Sprössling beleidigt, weil Mama sich aus der Ferne um seine Schulprobleme kümmerte, wo er doch alles so super im Griff hatte, wie er meinte.

»Kannst du dich nicht einmal entspannen, Mama? Und nicht so einen Stress machen«, bekam ich zu hören. Würde ich ja gerne, aber nicht, wenn die Lehrerin anruft.

Doch auch das: vorbei! Bei der ganzen Aufregung in den letzten Wochen vor der Graduation hatte ich mich so sehr darauf fokussiert, dass Elias seinen Abschluss schafft, dass mich die Erkenntnis hier draußen auf meinem Balkon fast ein bisschen überraschend trifft.

Doch ich habe keine Zeit, weiter meinen Gedanken nachzuhängen. Jetzt müssten meine Söhne nur vielleicht mal aufstehen, damit Elias nicht seinen eigenen Abschluss verpasst.

Mama allein zu Haus

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