Читать книгу Mama allein zu Haus - Barbara Becker - Страница 7
ZUM ABSCHIED LEISE DANKE
ОглавлениеIch atme einmal tief durch.
»Wartest du mal schnell?«, sage ich zu Moni. »Ich muss mich unbedingt noch bei der Direktorin bedanken.« Vier Jahre zuvor hatte es nämlich nicht nach einem Happy End für Nicholas und die Schule ausgesehen. Ganz und gar nicht. Wie ein Häuflein Elend saß er damals mit mir im Büro von Frau Dr. Fischer, der Direktorin seines heutigen Gymnasiums – damals besuchte er noch eine andere Schule, wo ihn Notendruck, Mobbing und die falsche Fremdsprache lust- und mutlos hatten werden lassen. Der ganze kleine vollpubertäre Mensch war vor meinen Augen zusammengekrümmt zu einem einzigen Fragezeichen, von Selbstvertrauen keine Spur. Doch Frau Dr. Fischer sah irgendetwas in ihm, vielleicht eine winzige Möglichkeit, dass man den Kerl doch noch durchbringen konnte durch das bayerische G8 und dass er nicht einfach nur völlig überfordert war, wie es ihn die andere Schule glauben ließ.
Er könne doch Französisch abwählen und es bei ihnen mit Spanisch versuchen, bot sie an.
Unter seinem langen Pony – ja, den trug er damals – wagte Nicholas ein vorsichtiges »Ja, vielleicht«.
Und damit war es besprochen.
Die neue Schule war nicht leichter, eher im Gegenteil. Kein privates Gymnasium, sondern wieder eine staatliche Schule. Dafür aber wurde die Work-Life-Balance beachtet, wie man im Berufsleben sagen würde. Mobbing hatte hier keine Chance, denn die Schule kümmerte sich intensiv um solche Themen. Zusammenhalt, Herzlichkeit und Humor waren genauso wichtig wie Belastbarkeit und Leistungswille.
Ratzfatz hatte mein Sohn neue Freunde gefunden, die noch heute seine allerbesten sind. Genau deswegen will ich mich bei Frau Dr. Fischer bedanken, die meinem Kind eine zweite Chance gegeben hat.
Da stehe ich also in der Turnhalle und kriege noch raus: »Ich wollte … huhu.« Hilfe, waren das Schluchzer? »Sie haben …« Oh mein Gott. Nur weg von hier.
Frau Dr. Fischer greift meine Hand. »Alles gut. Passt schon.«
Nein! Es passt nicht. Hallo? Ich bin Journalistin! Ich bin souverän, selbstsicher, eloquent. Ich bin eine Frau, die Job und Familie immer gewuppt hat, die die härtesten Interviewpartner bezirzt und in Redaktionskonferenzen Themen durchgeboxt hat. Und jetzt? Bin ich das?
Nein, gerade bin ich nur Mutter. Eine gefühlsduselige, von der Situation völlig überforderte Mutter.
Ich flüchte zu meiner Schwester, krächze: »Geht nicht.« Dann fliehen wir aus der Turnhalle zeitgleich mit dem Schulgong, der zum Abschied noch einmal für uns ertönt.
In mir drin ist es dagegen ganz still. Seltsam leer, nachdem all diese Tränen aus mir herausgeflossen sind. Ich spüre Freude, das schon, aber eben auch noch ein anderes Gefühl, das ich noch nicht ganz deuten kann. Mit Freunden und anderen Eltern gehen wir in einen Biergarten zum Mittagessen. Die Kinder lachen und strahlen, wir Eltern auch. Fotos für die Ewigkeit von diesen jungen Menschen in Dirndl und Lederhose unter einem fast schon kitschigen weiß-blauen Himmel. Kurz schaue ich zu Mathieus Mama rüber. Glitzert da eine Träne in ihrem Augenwinkel, die sie schnell wegblinzelt? Oje, wir Weichkeksmütter! Da kommt noch was auf uns zu …
Zu meiner Ehrenrettung kann ich noch anmerken, dass ich ein Jahr später doch Gelegenheit hatte, mich ordentlich von Frau Dr. Fischer zu verabschieden: Da griff nämlich nach der feierlichen Verleihung des Bayerischen Fernsehpreises im herrlichen Gartensaal des Münchner Prinzregententheaters plötzlich eine Hand nach mir. Zwei Frauen im Abendkleid, von mir kam nur ein fragender Blick.
»Erinnern Sie sich noch? Ich war die Lehrerin Ihres Sohnes. Wie geht es ihm denn jetzt?«
Frau Dr. Fischer!
Endlich konnte ich mich ganz ohne Schluchzer und Stottern in blumigen Worten bei der Frau bedanken, die meinem Sohn völlig uneigennützig eine riesige zweite Chance gegeben hatte. Blumen hatte ich nach meiner missglückten Dankesrede bei der Abifeier natürlich gleich am nächsten Tag in der Schule abgegeben. Ich wollte ja nicht als schlimmste Heulsuse ever im Gedächtnis bleiben.