Читать книгу Mama allein zu Haus - Barbara Becker - Страница 5
ОглавлениеMünchen, eine Stunde vor Beginn der feierlichen Abiturzeugnisverleihung: »Mama, wo sind meine Socken?«
Mein Sohn darf ab heute studieren, eine Partei gründen, ein Techunternehmen leiten oder eine Bar eröffnen – vorausgesetzt er schafft es je, seine Socken zu finden. Aber noch hat er ja seine persönliche Assistentin und die wird ihren Job wohl noch eine Weile behalten, wie es gerade aussieht.
Wie viele Seufzer stößt eine Mutter wohl im Laufe ihres Lebens aus? Ja genau, Millionen, wenn sie, wie schon so oft zuvor, ins Kinderzimmer geht, den Kleiderschrank öffnet und stumm auf die Socken in der Sockenschublade zeigt. Oh – Zauberei – da ist es ja, wonach das Kind gesucht hat.
»Ich hab die nicht gesehen. Ehrlich, Mama.«
Ja klar. Passt schon, Schatz. Du hast ja mich.
Als Mutter ist man Putzfrau, Köchin, Abhol- und Bringservice, Motivatorin mit dem ewigen »Du schaffst das«-Mantra und Trösterin, wenn doch mal etwas schiefgeht. Ich glaube, fast jede Mutter sehnt in solchen Momenten, in denen mal wieder die ganze Last des kindlichen Lebens auf ihren Schultern ruht, den Tag herbei, an dem das Kind keine Hilfe mehr beim Anziehen braucht, an dem sie es nicht mehr wecken muss, weil wie jeden Tag die Schule überraschenderweise um acht Uhr anfängt.
Zwölf Jahre Schule und jeden Morgen die gleiche Hektik.
»Nicholas, in zehn Minuten müssen wir los.«
Keine Antwort, dafür läuft der Föhn. Immer noch? Seit fünfzehn Minuten? Wie lange kann ein Jugendlicher eigentlich seine Haare föhnen?
»Nicholas! Du kommst zu spät. Jetzt mach hinne!«
Immer wieder hatte ich diesen Gedanken: Wenn ich eines Tages an einem Herzinfarkt sterben sollte, dann wird das am frühen Morgen geschehen, wenn ich zum zehnten Mal meinen Sohnemann zur Eile angetrieben hätte.
Ein typischer Morgenablauf gefällig, nachdem mein Sohn doch endlich das Bad verlassen hat? Im schlimmsten Fall ist der Schulbus schon vor einer halben Stunde losgefahren. Wir wohnen auf dem Land, keine U- oder S-Bahn in der Nähe. Wenn mein Herr Sohn es noch rechtzeitig in die Schule schaffen will, müssen wir die Abkürzung quer durch den Wald nehmen. Mit hundert Stundenkilometern auf fünfhundert Metern gerader Strecke. Mein Sohn findet es uncool, dass ich mich jedes Mal darüber aufrege.
»Dem Papa macht das nichts aus, so schnell zu fahren«, murmelt es vom Sitz neben mir – er ist offenbar noch immer nicht ganz wach. Zumindest sind seine Augen zu. Na klar. Mein Mann Matthias fährt gerne »zügig«, wie er sagt. Ich nicht so.
»Hallo wach bitte! Gleich schreibst du einen Test!«
Dafür ernte ich nur einen mitleidigen Blick: »Ach, Mama. Woher willst du das denn wissen? Ich gehe schließlich zur Schule.«
Ja, und ich weiß, dass am Gymnasium nach jedem abgeschlossenen Kapitel ein unangesagter Test geschrieben wird … Nein, ich rege mich nicht auf. Ich bleibe cool. Und konzentriere mich auf die Straße. Ich bete wie jeden Morgen, dass die Rehe, die nachts manchmal mitten auf dem Weg stehen und einen anglotzen, nicht irgendwann morgens dort auftauchen.
Mit quietschenden Reifen halte ich vor der Schule, der Junior sprintet los, ist plötzlich hellwach. Das Morgenwunder! Jeden Tag. Sogar ein Lächeln kriege ich noch, manchmal auch ein Bussi, wenn ihn doch das schlechte Gewissen plagt. Puh, ich bin fertig.
Gaaaanz langsam fahre ich nach Hause, spüre, wie das Adrenalin langsam aus meinem Körper weicht, und trinke daheim erst einmal eine riesengroße Tasse Ingwertee, um die toxischen Morgenemotionen aus dem Körper zu spülen. Herrlich. Ruhe zu Hause. Jetzt gemütlich Zeitung lesen und danach ohne Stress ins Büro fahren.
Das war mein Morgenritual über Jahre. Fragen Sie mal eine Mutter, ob sie zu niedrigen Blutdruck hat – Sie werden nur ein müdes Lächeln ernten. Denn der mütterliche Blutdruck kommt während der Schulzeiten zwischen halb acht und acht automatisch und ohne eigenes Zutun in Schwung.