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REISE INS UNBEKANNTE
ОглавлениеZwei Tage später läuft nichts mehr bei mir.
Es ist Wochenende und ich überlege dauernd, was »mein Kleiner« wohl so macht. Wann höre ich eigentlich auf, ihn in meinen Gedanken noch so zu nennen?
Er erlebt gerade die tollsten Sachen, sieht die schönsten Orte.
Ohne mich.
Das ist ein saublödes Gefühl, denn wir zwei waren immer das allerbeste Reiseteam. Mein Sohn und ich haben im Urlaub den gleichen Ferienrhythmus. Lange schlafen, viel ausspannen, irgendwo am Meer, bisschen Sport (also ich ein bisschen, er ein bisschen sehr viel Sport), mal Sightseeing und abends gemütlich irgendwo essen und chillen.
Seit Nicholas in der Schule war, bin ich mit ihm in den Sommerferien alleine gereist, denn mein Mann ist nicht so der Urlauber. Am Meer ist es ihm zu heiß und zu sonnig und in die berühmt-berüchtigten Ferienclubs, in die unser Sohn immer wegen der Action wollte, habe ich ihn einmal drei Tage gekriegt. Dann ist er abgereist.
»Das brauche ich echt nicht in meinem Leben. Da bin ich doch lieber im Büro«, sagte er zum Abschied.
Früher bin ich mit meinem Mann aufs Geratewohl nach Italien gefahren, wir haben uns ein schnuckeliges Hotel gesucht, alles ganz easy. Aber mit Kind muss man planen und wissen, wo der Pool ist, in den es sofort nach der Ankunft springen will.
Ich habe mich umgestellt und angepasst, denn wenn mein Kind Spaß hatte im Urlaub, ging es auch mir gut und ich konnte mich entspannen. So lag ich jahrelang mit einem Buch in der Hand an irgendeinem Strand am Mittelmeer oder in der Ägäis oder am Atlantik und habe stundenlang aufs Meer geglotzt.
Herrlich! Das perfekte Urlaubsfeeling.
Außerdem schweißten uns diese zwei Wochen Ferien-Quality-Time als Mutter-Sohn-Gespann jedes Mal aufs Neue eng zusammen. Wir lernten dabei beide ganz nebenbei, den anderen das machen zu lassen, was ihm gefällt, und ihm nicht ständig mit eigenen Wünschen auf die Nerven zu gehen.
Jetzt ist mein Sohn frei in der Wahl seiner Urlaubsorte – und seiner Begleiter. Aber mit wem zum Teufel soll ich eigentlich in Zukunft in den Urlaub fahren? Ich mag immer noch am liebsten mit einem Buch in der Hand aufs Meer schauen, doch bei unserem letzten gemeinsamen Urlaub in Vietnam war mein Mann nur mit roher Gewalt aus dem Zimmer zu kriegen, solange die Sonne noch am Himmel stand.
Ein Hautarzt hat ihm geraten, zu viel Sonne zu vermeiden, weil seine Haut durch frühere Sonnenbrände bereits geschädigt ist. Strandurlaube mit Matthias kann ich in Zukunft abhaken.
Das Problem meines neuen »best travel buddy« muss ich also irgendwie lösen. Vielleicht sollte ich einfach einmal eine Freundin fragen? Dazu habe ich mich noch nicht wirklich entschlossen, aber ich denke darüber nach. Als Studentin habe ich die Welt ja auch mit meinen Mädels erobert, aber das war damals. Wir alle haben uns verändert, andere Ansprüche als früher. Ob das noch gemeinsam funktioniert? Ich rufe Karin an, mit der ich als Studentin mal zwei wilde Monate auf Ibiza verbracht habe. Wir hingen während der Semesterferien wochenlang in den dortigen Surferkneipen ab, haben die Nächte durchgetanzt. Immer bereit für den ganz großen Kick, das nächste Abenteuer. Wie lange ist das her? Ewig – doch nicht in unserer Erinnerung. Eigentlich sind wir jetzt wieder so frei wie damals. Dieses Gefühl sickert langsam immer mehr in mein Bewusstsein.
Es wäre doch witzig, dreißig Jahre später noch einmal zusammen nach Ibiza zu fahren.
»Ob die uns noch in die Clubs reinlassen?«, lacht Karin.
Ach, in Clubs müssen wir doch gar nicht. Das hatten wir nun wirklich bis zum Exzess. Wir schauen nach Flügen, aber wahrscheinlich werden wir es erst im nächsten Herbst schaffen, auf die Insel zu fliegen. Karin lebt inzwischen am Tegernsee, radelt mit ihrem Mountainbike fast täglich die Berge hoch und arbeitet in einem Shop, der von Touristen lebt. Mit dem Saisongeschäft hat sie sicher erst Mitte September Zeit.
Ich habe also etwas, worauf ich mich im nächsten Jahr freuen kann, gleichzeitig möchte ich auch im heißen Sommer etwas unternehmen. Meinen Mann zieht es in die Berge, aber darauf habe ich nun gar keine Lust. Ich musste als Kind bei den Wandertagen auf jeden Berg bei uns in der Gegend rauf. Das reicht mir irgendwie immer noch …
Wie wäre es, wenn ich einmal etwas ganz anderes ausprobiere? Ich könnte ja auch endlich mal ein Yogaretreat am Meer mit meiner Berliner Freundin Anja machen. Darüber hatten wir schon oft geredet, aber ich wollte die Ferien ja immer mit meinem Sohn verbringen. Jetzt ist alles möglich, wird es mir klar, denn Betreuung braucht Nicholas nun wirklich nicht mehr. Anja ist begeistert und leitet mir sofort eine Seite mit den besten Yogaretreats weiter. Wir gleichen unsere Termine ab und finden schnell eine Übereinstimmung, weil ich mich ja nicht mehr nach den Schulferien richten muss.
»Das wird so toll!«, ist sie begeistert bei unserem nächsten Telefonat.
Jeden Morgen Yoga, dazu unterschiedliche Angebote für Meditationen, wir werden auf einer Finca mitten auf Ibiza wohnen. Das wird eine Reise zu uns selbst, auf der wir trainieren wollen, achtsamer mit uns selbst und unseren Kräften umzugehen. Ich kann es kaum erwarten, mit einer Freundin mal wieder einen Mädelstrip zu machen. Juhu! Auch wenn es bis dahin noch ein paar Monate sind, bringt der Gedanke daran meinen Bauch zum Kribbeln. Wäre doch gelacht, wenn ich nicht ohne meinen Sohn Urlaubsfreude erleben kann!
Ein paar Tage später bekomme ich auch schon aus Brasilien eine Mail von Nicholas.
»Also Mama«, fängt er an. »Ist das okay, wenn ich ab Januar einen Sprachkurs in Sapporo mache? Hier ist der Link. Du weißt ja, ich wollte schon lange nach Japan und ihr fahrt ja nicht mit mir.«
Japan? Geht’s noch?
Ich klicke auf den Link und bin auf das Schlimmste gefasst. Wenn das zu teuer ist, kann er sowieso nicht fahren, beruhige ich mich selbst. Und Japan ist teuer, das weiß doch jeder. Aber Kinder kennen ihre Eltern und mein Sohn kennt mich richtig gut. Er hat einen Kurs mit Unterkunft im Studentenwohnheim für drei Monate ausgesucht, der selbst für unsere Verhältnisse bezahlbar ist. »Wer fährt denn mit dir?«, schreibe ich zurück.
Seine Antwort ist typisch für meinen Sohn: »Wer außer mir will denn nach Japan? Keiner, Mama. Ich mache das allein.«
Aha. Ach so. Ganz allein jetzt auch noch nach Japan. Durch Brasilien reist er wenigstens mit einem Kumpel, der gut einen Meter neunzig groß ist, ein Kerl wie ein Schrank. Das fühlte sich für mich beruhigend an. Und jetzt auf die andere Seite der Welt ganz allein?
Während ich noch versuche, die Nachricht zu verdauen, schreibt Nicholas gut gelaunt: »Ich komme kurz zu Weihnachten nach München und dann fliege ich Anfang Januar rüber nach Hokkaido.«
Wohin?
»Nach Nordjapan, Mama. Die Gegend heißt Hokkaido. Saukalt da. Viel kälter als München und die Berge sind auch ganz nah. Da soll es super Snowboardpisten geben. Genialen Pulverschnee. Das muss man einfach einmal machen im Leben und nebenbei lerne ich Japanisch. Das ist doch geil. Bierbrauereien haben die auch in Sapporo. Ist also fast wie in München. Nur, dass ich da endlich jeden Tag Sushi oder Ramen essen kann.«
Was soll ich da noch sagen?
Nicht viel.
Der junge Mann hat die mütterliche Leine mal ganz easy gekappt und ich muss damit klarkommen. Und es ist ja nicht so, dass er jetzt in einer Bar auf Bali abhängt. Er will Japanisch lernen. Eigentlich schon ganz schön toll. Doch es arbeitet heftig in mir. Erst Brasilien, jetzt Japan. Nicolas ist in totaler Aufbruchsstimmung und dabei, die Welt zu erkunden. Ganz klar ohne mich.
Was spüre ich da gerade in mir? Eine Mischung aus Verwunderung und Bewunderung. Dafür, mit welchem jugendlichen Elan er die Dinge anpackt. Grenzen scheint es für ihn nicht zu geben. Auch keine emotionalen. Könnte ich mir davon vielleicht eine Scheibe abschneiden? Bin ich noch zu sehr in alten Mustern gefangen? Welche Projekte könnte ich denn so angehen? Eine neue Sprache wie Nicholas will ich sicher nicht lernen, ich komme mit Englisch, Spanisch und Italienisch ganz gut um die Welt. Aber ich nehme mir vor, an meiner Fitness zu arbeiten, denn 30 Jahre vor dem Computer sind nicht gerade die beste Rückenschule …
Ich wollte schon länger Barre Fusion, ein Ganzkörper-Workout, in dem Studio ausprobieren, in dem auch Barbara immer trainiert, wenn sie hier ist. Oder den Sonntagskurs Pilates belegen, den ich nie gemacht habe, weil unser Sonntagsfrühstück immer heilig war. Plötzlich habe ich jede Menge neue Möglichkeiten für die persönliche Zeitplanung, geht mir gerade auf. So sehr, wie ich es geliebt habe, Mutter zu sein, so sehr hat mir das Muttersein auch Fesseln angelegt. Klar, ich habe mich selbst angekettet, aber gerade schnuppere ich den Duft einer neuen Freiheit und das gefällt mir immer besser.
Ich muss mal in Ruhe nachdenken, wovon ich mich in den letzten Jahren noch habe abhalten lassen. Erst einmal melde ich mich zum Pilates-Reformer-Kurs an. Und mit Yoga fange ich auch wieder an …