Читать книгу Bella Calabria - Barbara Collet - Страница 13

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Antonio war mit dem Ablauf des Festes zufrieden. Alles war wie immer sorgfältig organisiert. Den ganzen Tag zuvor war die Heilige in der geöffneten Kirche von den ersten Neugierigen besucht worden. Um die Mittagszeit des sechzehnten Juli hatten zwölf Böllerschüsse, weithin für alle umliegenden Küstendörfer bis nach Sizilien als dumpfe Kanonenschläge vernehmbar, den Tag der Prozession eröffnet. Ein fünfminütiges Feuerwerk unterstützte diesen seit langem erwarteten Moment. Der Sommerhimmel wurde mit explodierenden Blitzen und Tausenden Sternchen dekoriert. Aufgeregte Kirchenglocken, bewegt von Annunziatas Mann, kündeten das bevorstehende Ereignis an.

Die Frauen legten letzte Hand an den Schmuck der Madonna und prüften die Sicherheitsnadeln der Geldscheine – anonyme Gaben der Besucher – am Gewand ihrer Heiligen. – Eine Vorsichtsmaßnahme gegen allzu klebrige Finger.

Am Nachmittag trafen die Gläubigen auf dem Vorplatz ein. Dreißig Burschen der Bruderschaft verteilten sich um die Madonna, schulterten sie mitsamt Trage und Aufbauten und, unter allgemeinem Geraune, erschienen mit der schweren Last auf dem von Carabinieri überwachten freigeräumten Korridor vor der Kirche. Diese Fujuta – die Flucht ins Freie – war wegen der Unfallgefahr durch Neugierige, die den Weg blockierten, gefürchtet. Das Gefährlichste war heute wieder überstanden.

Die Träger verharrten in der Mitte des Kirchenvorplatzes und drehten die Last um neunzig Grad. Die Heilige richtete ihren Blick auf den Horizont, dessen feine Linie sich zwischen dem hellblauen Himmel und dem dunklen Nass abzeichnete. Don Giovanni, der Priester, segnete die Beziehung der Gemeinde zum Meer und sprach ein Gebet. Antonio hatte ihn eingeladen, einen Tag lang die Zeremonien zu übernehmen und solange seine eigene Kirche im Fischerviertel zu verlassen. Den ehrgeizigen Priester der Nachbargemeinde hatte er geschickt ausgeladen. Ihm war zu Ohren gekommen, welch seltsame Verbindungen dieser Pater unterhielt. Er galt mit Christdemokraten übelster Couleur und Faschisten verbandelt. Von Don Giovanni war bekannt, dass er seine kleine Fischergemeinde als Lebensaufgabe betrachtete und sich mit dieser kräftezehrenden Rolle zufriedengab. Antonio war seit jeher Sozialist und hegte eine tiefe Abscheu gegen die korrupte rechte Elite. Die Faschisten, sei es aus den Reihen der MSI oder Gruppierungen jüngeren Datums, waren ihm zuwider. Seit der Revolte gegen die Rechten in Reggio Calabria Anfang der Siebzigerjahre, die er als Junge erlebt hatte, war er froh über jeden Tag, an dem die Faschisten nicht das Ruder in der Hand hielten. Nie vergaß er das Blutbad am 20. Oktober 1972, das dank des Liedes Giovanna Marinis im öffentlichen Gedächtnis bleiben wird. Die Braunen sprengten mit acht Bomben einen Zug, voll besetzt mit solidarischen norditalienischen Arbeiterfamilien und Gewerkschaftern. Ciccio Franco, ihr Anführer, bejubelte allerdings zu früh seinen Sieg über die Demokratie. Jung und Alt – aus Angst vor einem neuen Faschismus – kämpften zu Tausenden gemeinsam in Straßenschlachten gegen die Gefahr. Der Neofaschismus war fürs Erste gebannt.

Der Prozessionszug setzte sich in Bewegung. An ihrer Spitze marschierten Priester und Mitglieder der Bruderschaft, erkennbar am weißen Umhang mit dem roten Kreuz in der Mitte, um das sich vier kleinere drapierten. Lokalforscher führten dieses Zeichen auf Godefroy de Bouillon, den Kreuzritter des ersten Kreuzzuges zurück. Frauen jeden Alters begleiteten – Kirchenlieder singend – den Zug. Der Lärm der Kirchenglocken verschluckte ihren Gesang, was nicht weiter störte. Die durchdringende Musik des Musikkorps mit seinen Pauken und Blasinstrumenten – oft einen halben Ton daneben und daher selten aufeinander abgestimmt – schuf eine Fellini-artige, von den enthusiastischen Gläubigen unbemerkte, ironische Distanz.

Die erste Route führte zu Anwohnern oberhalb der Kirche. Vor einem einstöckigen Haus hielt der Zug an. Ein leidendes Gemeindemitglied erwartete die Segnung des Priesters – durch großzügige Spenden im Vorfeld vereinbart. Die Familie – in ihrer Mitte saß der Kranke – wartete auf dem Balkon, um die Tröstung zu empfangen. Geraune unter den Prozessionsteilnehmern, die ihre Hälse nach oben reckten und über den gesundheitlichen Zustand des Erkrankten tuschelten. Don Giovanni ignorierte das respektlose Verhalten, segnete das Haus und sprach ein Gebet.

Die Prozession bewegte sich jetzt auf das Stadtzentrum zu. Unter dem Beifall der Stadtbewohner spazierte die Heilige stundenlang den gesamten Ort ab.

Kurz vor Mitternacht traf der Zug auf dem Vorplatz ein, von Hunderten wartender Menschen in Empfang genommen. Das glanzvolle Feuerwerk, weit über dem Mittelmeer sichtbar, bildete den krönenden Abschluss dieses Tages. Dicht gedrängt stand die Menge und applaudierte beim Anblick der kunstvollen Gestaltung der Pyrotechniker am Nachthimmel. Das letzte Geknatter, ein letztes Krachen explodierender Feuerwerkskörper verklang, da hörte Antonio Bravo-Rufe und finales Beifallklatschen seiner Gemeinde.

Im Anbau neben der Krypta versammelten sich die Träger, die Mitglieder der Bruderschaft und Pater Giovanni, um auf den gelungenen Tag anzustoßen. Das Büffet versorgte die hungrigen Männer mit Köstlichkeiten aus den Küchen ihrer Ehefrauen und Rotwein aus eigenen Ernten. Annunziata, die kirchliche Wächterin, war seit vierzig Jahren die Seele der Bruderschaft. Zusammen mit ihrem Mann versorgte sie die Kirche der Gemeinde mit allem Notwendigen. Sie hütete die Schlüssel, überwachte verborgene Schätze und organisierte die jährlichen Pilgerreisen nach Jerusalem, Lourdes, Sevilla, Toledo oder Burgos – den mediterranen Orten der Ordensgeschichte.

Die zierliche Frau wieselte von der Küche in die Kirche und zum Büffet, das unter ihrer Obhut stand, eilte geschäftig hin und her. Mitten während des vergnüglichen Zusammenseins verschwand sie und kehrte in Begleitung eines Unbekannten zurück. Antonio betrachtete überrascht das Skalupier mit den Emblemen der Karmeliter und schaute Annunziata fragend an.

»Ja, wir haben einen Gast. Pater Hernando. Rom hat ihn gesandt, scheint es.« Ihre Missbilligung über diesen unerwarteten Besuch war nicht zu überhören.

Antonio reichte dem Gast förmlich die Hand. Er könnte ein Bankbeamter aus Reggio sein, so unauffällig mit den kurzen Haaren und diesem Babygesicht. Was suchte der hier?

»Ich bin sehr erfreut, den Prior der Karmeliterbruderschaft kennenzulernen«, begrüßte ihn der Fremde.

»Was verschafft uns die Ehre?«, fragte Antonio in geschäftsmäßigem Tonfall.

»Nun, das wichtige Fest am sechzehnten Juli wollten wir schon immer aus der Nähe sehen. Und von der wunderbaren Kirche spricht man auch in Rom«, erwiderte der Pater mit höflichem Lächeln und quäkender Stimme.

Diplomatisches Gewäsch, dachte Antonio. Er würde dahinterkommen, was die Kurie bewegte.

»Ich habe den Pater im Gästezimmer untergebracht«, sagte Annunziata knapp. Sie meisterte die Situation pragmatisch.

»Dann ist ja alles gut«, kommentierte Antonio und warf ihr ein beifälliges Lächeln zu. »Morgen sehen wir weiter.«

Er fühlte eine bleierne Müdigkeit, nickte dem Gast kurz zu, wünschte allen eine angenehme Nachtruhe und begab sich auf den Heimweg.

Für die Gläubigen der Gemeinde stand das Kirchenportal offen. Stunden nach dem Feuerwerk pilgerten weiterhin Menschen zum Altar, um mit der Heiligen zu sprechen oder sie anzufassen. Antonio registrierte das alles mit Gleichmut. Er hatte die Aufgaben erfüllt. Keiner konnte ihm nachsagen, er nehme seine Pflichten nicht ernst. Zärtlich umarmte er Lisabetta und zog sie zu sich ins Bett.

Bella Calabria

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