Читать книгу Bella Calabria - Barbara Collet - Страница 9

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Nach der Siesta trank er einen Espresso in Ciccios Bar. Das höhlenartige Geschäft, Teil des Hauses seines wohlhabenden Clans, lag an der Nationalstraße, über die vor dem Autobahnbau der gesamte Fernverkehr gerollt war. Das schien wie in einem fernen Jahrhundert. Heutzutage hielten nur lokale Fahrer, die einen schnellen Kaffee tranken und Zigaretten, Zeitungen oder Eis kauften. Ciccio arbeitete achtzehn Stunden täglich hinter dem Ladentisch. Manchmal löste ihn eine der zwei Schwestern ab. Zwischen Mitternacht und dem frühen Morgen um sechs zog er sich in sein Zimmer zurück. Keiner kannte den Grund, weshalb alle jungen Leute der Familie unverheiratet geblieben waren. Mittlerweile schritten sie auf die vierzig zu und an den Wunsch, einen eigenen Herd zu gründen, war nicht mehr zu denken. Für die Schwestern bedeutete ihr Status de facto völlige Abhängigkeit. Der ledigen Frau war Eigenleben fremd. In der Öffentlichkeit trat sie nur im Schlepptau ihrer Familienmitglieder oder in Begleitung einer Vertrauensperson auf. Die Finanzen wurden bis ins Detail vom Familienoberhaupt, hier der Mutter, geregelt.

Antonios vielköpfiger Clan spielte eine seltsame Rolle im Dorf. Man zollte ihm Respekt, keine Zuneigung. Leidtragend war die nachrückende Generation. Sie hatte es nicht geschafft, sich durch Auswandern aus dem Machtbereich der Alten zu entfernen. Ciccio pflegte zu sagen, dass er dasselbe Schicksal wie der Hund im Garten des Hauses habe: angekettet, ohne Aussicht auf eine verheißungsvolle Perspektive. Der Klatsch aus dem Paese hielt ihn am Leben. Ciccio hörte viel und einiges war bedeutsam. Neue Informationen würzten die Attraktivität seiner Bar und bereicherten den Dorftratsch.

Antonio trank den Espresso im Schatten des Maulbeerbaumes, der seine Äste weit ausspannte und für Erfrischung sorgte. Er beobachtete Kunden, die ihren Wagen mit laufendem Motor dicht neben dem Bareingang parkten. Man hat hier keine Ruhe. Diese Rücksichtslosigkeit ist ein Teil unserer Kultur. Jeder ist sich selbst der Nächste und er macht, was ihm gerade einfällt. Antonio schloss die Augen. Er träumte vom Mittelmeer, das er wie ein Vogel überflog. Er sah die Inseln von oben, das glitzernde Nass in seinen changierenden blau-grünen Farben, die Küsten Nordafrikas, roch den Duft uralter Kulturen aus engen Straßen mittelalterlicher, ockerfarbener Häuser, vermischt mit dem Parfüm von Lorbeer, Myrrhe, Minze, Thymian, Rosmarin, Lavendel, Jasmin und Oleander. Ein Bild aus dem Paradies. Neben diesem Garten der Natur sah er archäologische Ausgrabungsstätten und sich selber – den Kopf mit seinem Stetson-Filzhut bedeckt –, eine Tonscherbe analysierend. Er drehte sie sanft mit den Fingern, betrachtete Dekor und Farbe und überlegte, zu welchem Objekt sie gehörte. Amphore? Vase? Tasse?

»Sehen wir uns heute Abend noch einmal, um zu checken, ob alles für die Prozession in Ordnung ist?«, fragte Carlo, Mitglied der Bruderschaft.

Antonio öffnete die Augen, verärgert über die Störung des Tagtraums: »Mhm, ja, okay. Gegen zehn?«, murmelte er. »Sagst du den anderen Bescheid?«

Bella Calabria

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